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Die Geschichten des Nahen Ostens

Feature
Die Geschichten des Nahen Ostens

Seit 20 Jahren stellt Elisabeth Knoblauch für zenith die wichtigsten Bestseller und die besten Geheimtipps vor. Die zenith-Leseliste, von Algerien bis Afghanistan.

Marokko: Bevor aus dem 1947 in Fès geborenen Schriftsteller Tahar Ben Jelloun ein Erklärer wurde, war er einmal ein großartiger Schriftsteller. Einer der Höhepunkte seines Schaffens: »Zina oder die Nacht des Irrtums« (1999). Ein Roman der, ausgehend von einer Nacht, Geschichten erzählt, viele widersprüchliche Wahrheiten ans Tageslicht bringt und den Leser wunderbar irritiert zurücklässt.

 

Ägypten: Als das Mädchen Nada in einem Beduinenzelt blau angelaufen zur Welt kommt, nennen es ihre Eltern »blaue Aubergine«. Die in sie gesteckten Erwartungen sind hoch, Weltraumforscherin oder Prinzessin soll sie werden. Doch als sie an die Universität kommt, versteht sie die Welt und ihren Körper nicht mehr. Miral Al-Tahawis zweiter Roman »Die blaue Aubergine« (2004) ist eine Geschichte zwischen Tradition und Aufbruch, die keine einfachen Antworten gibt.

 

Türkei: Es sei sein »erster und letzter politischer Roman«, sagte Orhan Pamuk später über »Schnee« (2005). Ein Roman, der den Mikrokosmos der Stadt Kars nachzeichnet, von revolutionären Islamisten, enttäuschten Linken auf Gottessuche und Mädchen, die sich wegen des Kopftuchverbots umbringen, erzählt und fast schon prophetisch die innere Zerrissenheit der Türkei darstellt. Im Jahr 2006 erhielt Pamuk den Literaturnobelpreis.

 

Israel: Als er den Nobelpreis für Literatur im Jahre 2009 nicht erhielt, obwohl es viele vorausgesagt hatten, sagte Amos Oz, das mache ihm nichts aus. Er werde nicht als unglücklicher Mensch sterben. Er könne gar nicht anders, als zu schreiben, Preis hin oder her. In seinen autobiographischen Roman »Eine Geschichte zwischen Liebe und Finsternis« (2006), erzählt er die Geschichte seiner Familie, vom Selbstmord seiner Mutter und spannt einen grandiosen Bogen zwischen Europa und Israel.

 

Iran: Streng genommen ist »Persepolis, Eine Kindheit im Iran« (2007) kein Roman sondern eine Autobiografie der 1969 in Rascht geborenen und in Teheran aufgewachsenen Marjane Satrapi, aber kaum ein Buch gibt so einen tiefen Einblick in ein Land, eine Zeit und eine Gefühlslage, wie dieser Comic über ihre Kindheit in Iran der 1980er Jahre. Zugleich ist es Vorläufer der gleichsam wunderbaren autobiografischen Graphic Novel des in Libyen, Frankreich und Syrien aufgewachsenen Riad Sattouf: »Der Araber von morgen« (2015).

 

Iran: Anhand der Geschichte einer jungen hübschen Frau zwischen zwei Männern, einem älteren angesehenen Arzt und einem jungen Gefängniswärter, zeichnet der iranische Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan in seinem (nicht auf Farsi) erschienen Roman »Teheran Revolutionsstraße« (2009) ein düsteres Bild der iranischen Gesellschaft. Unterdrückt von einem brutalen Machtapparat, zwischen Glauben und Aberglauben, scheint es keinen Ausweg zu geben.

 

Afghanistan: Eine Frau sitzt neben ihrem sterbenden Mann in einem zerbombten Haus und hat Angst. Angst, dass ihr Mann sterben wird. Angst, dass ihr Mann leben wird. Angst, dass die Soldaten kommen. Angst, dass sie nicht kommen. Der kurze Roman des 1962 in Kabul geborenen Atiq Rahimis »Stein der Geduld« (2009) ist ein eindringliches Zeugnis über die Sinnlosigkeit des Krieges, über die Unterdrückung der Frau und die Verrohung einer ganzen Gesellschaft.

 

Libanon: Den großen palästinensischen Roman über 1948 und die Folgen hat ein libanesischer Christ geschrieben. Schauplatz des mehr als 740 Seiten zählenden Romans »Das Tor zur Sonne« (2007) ist ein Krankenhaus im Flüchtlingslager Schatila, am Stadtrand von Beirut. Hilfsarzt Khalil Ayub kämpft um das Leben des legendären Freiheitskämpfers Yunus, indem er ihm in einem furiosen Monolog Geschichten erzählt. Antworten findet Elias Khourys keine – getreu der Grundidee des Romans, »dass der palästinensische wie der israelische Schmerz ein Spiegel für die jeweils andere Seite sein muss«.

 

Algerien: Ihr Leben, ihre Sprache, ihr Werk, ist geprägt von den Erfahrungen des französischen Kolonialismus, unter dem sie gelitten und von dem sie profitiert hat. War sie doch eines der ersten Mädchen ihres Dorfes, das ein Gymnasium besuchen, nach Frankreich gehen und dort studieren konnte. In ihrem Roman »Das verlorene Wort« (2006) erzählt Assia Djebar anhand von Berkane, der nach 20 Jahren in Frankreich nach Algerien zurückkehrt, nicht nur über die Bedeutung von Sprache für die Erinnerung und das Gefühlsleben.

 

Ägypten: Es war der Überraschungserfolg des Jahres 2007: Der ägyptische Zahnarzt Alaa Al-Aswani beschrieb in dem Roman »Der Jakubijan-Bau« die Bewohner eines Wohnhauses in Kairo: kriminelle Neureiche, verarmte Adlige, französische Intellektuelle und potenzielle Terroristen. Mit diesem bitterbösen und eindrücklichen Porträt der ägyptischen Gesellschaft der 1990er Jahre gelang ihm einer der erfolgreichsten arabischen Romane überhaupt.


Elisabeth Knoblauch arbeitet in Hamburg bei der ZEIT und ist seit 1999 bei zenith für die belletristische Literatur zuständig.

Von: 
Elisabeth Knoblauch

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