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Satire, Türkei, Erdoğan

»Die Rechten nicht links liegen lassen«

Kommentar
Kolumne Daniel Gerlach

Der türkische Präsident hat einen Artikel für die FAZ geschrieben. Ich wollte ihm vorher noch Feedback geben, aber das kam dann irgendwie zu spät. Anbei die Korrespondenz im Original. Rica ederim!

Verehrter Cumhurbaşkanı,
liebe Brüder im Palast,

 

vielen Dank für den Meinungsbeitrag in der FAZ. Sind ein paar hervorragende Gedanken drin. Das ganze bewegt sich sprachlich auf einem hohen Niveau, das der Zeitung sicher gefallen wird. Ich hoffe trotzdem, dass Ihr es noch nicht abgeschickt habt. Hier das (hoffentlich noch) erwünschte Feedback.

 

Ich würde etwas emotionaler loslegen. Wir wissen doch, dass das deutsch-türkische Verhältnis vor allem von Leidenschaften geprägt wird. Wir sind uns doch viel ähnlicher, als wir es zugeben. Wir halten uns jeweils entweder für das beste Volk der Welt oder wir leiden, je nach Wetterlage, unter Minderwertigkeitskomplexen. Außerdem verbringen wir unsere Wochenenden am Liebsten im Baumarkt.

 

Also: Ein bisschen mehr Feeling. Ist schon okay, dass Ihr nach langer Überlegung schließlich doch den Passus mit der deutsch-osmanischen Waffenbruderschaft im Ersten Weltkrieg rausgenommen habt. (Liman von Sanders, Gallipoli, wo wir es den Briten gezeigt haben ;-)

 

Ich gebe aber zu bedenken, dass die Nostalgiker in Deutschland gerade wieder tonangebend werden. Insofern sollte man sich schon überlegen, ob man denen nicht auch was anbietet. Ihr versteift Euch in dem Beitrag ganz schön auf den Kampf gegen die Rechtspopulisten und überseht da ein Potenzial: Autoritäre Durchregierer, die dem linksliberalen Establishment was auf die Mütze geben und die Volksseele massieren können, finden die nämlich gar nicht so schlecht.

 

Wir müssen uns schon mal darauf vorbereiten, dass bei der Pressekonferenz am Freitag gefragt wird, inwiefern die AKP selbst rechtspopulistisch ist und ob ihre Regierung sich im Parlament nicht von einer rechtsradikalen Partei dulden lässt. Aber das muss man jetzt nicht vertiefen.

 

Mit dem Merkantilismus würde ich nicht anfangen, zumindest nicht im ersten Absatz. Die FAZ-Leser haben vielleicht was übrig für frühkapitalistische Wirtschaftstheorie. Aber Ihr wisst ja, dass die Deutschen ihren Handelsbilanzüberschuss überhaupt nicht kritisch sehen. Außerdem kommen dann gleich wieder die Besserwisser mit Vergleichen um die Ecke: absolutistische Wirtschaftspolitik, Mega-Paläste (und Flughäfen) auf dem Rücken der Arbeiterklasse, staatlich gelenkte Industrien, Enteignung privater Firmen, die Sache mit der Gleichschaltung der Zentralbank.

 

Das Fass machen wir besser nicht auf. Sagen wir einfach: Wirtschaftlich läuft es gerade nicht so gut, die Türken in Deutschland leiden potenziell auch darunter, also lasst uns bitte nicht hängen. Wenn Ihr wollt, bauen wir Euch auch einen Flughafen in Berlin dafür und nehmen Euch Eure nagelneuen, sauberen Dieselautos ab, die auf dem BER-Gelände geparkt werden und keine Zulassung bekommen.

 

Anmerkungen zu Erdoğans FAZ-Beitrag

 

Zur Reform des UN-Sicherheitsrats (erste Spalte): Klasse, da trefft Ihr einen Nerv bei den Deutschen. Grundsätzlich wären wir auch gern ständiges Mitglied. Die Amerikaner wollen das gerade nicht und bei unseren besten Freunden, den Franzosen, waren wir uns auch nie so ganz sicher. Aber wir können jede Unterstützung gebrauchen. Ihr solltet also etwas klarer formulieren: Die Türkische Republik unterstützt eventuell einen ständigen Sitz der Bundesrepublik Deutschland im UN-Sicherheitsrat. Das wäre mal ein Incentive.

 

Insgesamt verstehe ich nicht, wieso der Artikel so bescheiden formuliert ist. Nicht, dass da noch jemand auf die Idee kommt, der Chef könnte den nicht selbst geschrieben haben. Man darf ruhig mal darauf hinweisen, dass Tayyip Erdogan in den muslimischen Staaten Asiens derzeit wohl als der mächtigste und beliebteste muslimische Führer überhaupt gilt.

 

Noch eine grundsätzliche Sache: Ihr benutzt hin und wieder den Begriff »Türkeistämmige«, am aber Ende, wenn es um die Politik Ankaras gegenüber diesen Leuten geht, sprecht Ihr von »türkischer Diaspora«. Ganz ehrlich: Das klingt zwar politisch korrekt, aber irgendwie nicht nach Erdo. Was ein Deutscher und was Türke ist, damit tun wir uns ja beide schwer. Andere Nationen sind da schon weiter mit der Integration, während wir uns tief im Innern noch so fühlen wie ein Stamm aus Zentralasien oder dem Teutoburger Wald.

 

Zur »Diaspora«: Der Begriff hat was Tragisches an sich, als wären die Leute durch einen Schlag des Schicksals aus ihrem Heimatland vertrieben worden. Man denkt bei uns da immer noch an die Juden oder die Armenier (Entschuldigt, ich wollte nicht taktlos sein, aber es geht ja um die Sache). Bei Diaspora könnte man schon auf die Idee kommen, dass das auch Türken einschließt, die in letzter Zeit vermehrt ausgewandert sind, weil es ihnen schlecht geht, oder gar aus politischen Gründen Asyl in Deutschland beantragen. Und hier, so behaupten sie und einige Behördenvertreter, würden sie dann noch vom Auslandsgeheimdienst bespitzelt und von AKPlern drangsaliert.

 

Anmerkungen zu Erdoğans FAZ-Beitrag

 

Der Versuch von Teilen des Militärs, Euch aus dem Amt zu putschen, war eine Sauerei. Das geben mittlerweile auch die Deutschen zu, die sich darauf zunächst keinen Reim machen konnten. An der Formulierung »unvergleichliches Massaker in der Geschichte unserer Republik« sollte man aber vielleicht nochmal feilen. Ich will jetzt nicht wieder mit den Armeniern und dem Ersten Weltkrieg anfangen (da gab es ja auch noch keine Republik), aber in Deutschland sitzen sie schon in den Startlöchern, um Euch Dersim (1937/38) und dergleichen vorzuhalten. Der öffentliche Diskurs wird hier halt doch ziemlich von den Kurden, Aleviten und anderen Minderheiten dominiert.

 

Anmerkungen zu Erdoğans FAZ-Beitrag

 

Zum Schluss zwei heikle Themen: Die PKK und die Gülen-Bewegung (ist das eigentlich jetzt das Gleiche wie FETÖ oder nur deren zivilgesellschaftliche Tarnung?). Fangen wir mit dem zweiten an: Ihr könnt es vergessen, dass die Deutschen in Zukunft von der »Fethullahistischen Terrororganisation« sprechen werden. Erstens kann das keiner aussprechen, zweitens klingt FETÖ ziemlich albern – und vor allem nicht gefährlich. Vom Sound her ist das eine Verbalhornung von Feta-Käse. Und in Deutschland machen Comedians, die im Privatfernsehen auftreten, gern Witze über Worte mit Umlaut, die Türkisch klingen sollen.

 

Es gibt aber ein anders Problem: Irgendwie vermutet man in Deutschland schon lange, dass mit den Gülen-Leuten etwas nicht stimmt. Nachdem Ihr aber bis vor ein paar Jahren noch Gülen und seine Anhängerschaft gefeiert und die Bewegung im Ausland als friedliche, moderne, weltläufige und engagierte Alternative im Islam promotet habt, fällt den Deutschen das Umdenken einfach noch ein bisschen schwer.

 

Anmerkungen zu Erdoğans FAZ-Beitrag

 

Es ist ein bisschen so wie mit den Türken in Deutschland, denen die eigenen Medien und die eigene Politik jahrelang erzählt haben, dass Tayyip Erdogan und seine AKP die Türkei modernisieren, demokratisch und erfolgreich machen und endlich das Versprechen einlösen, dass politischer Islam und Pluralismus wunderbar zusammenpassen. Jetzt soll der Cumhurbaşkanı auf einmal ein Autokrat sein, der das Land ins Verderben führt? Kein Wunder, dass sie da nicht mitziehen.

 

Zur PKK und dem »IS«: Die Behauptung, die Türkei habe zwei Terrorstaaten verhindert, geht, wenn wir Glück haben, durch. Die Deutschen finden dieses Rojava zwar gar nicht so schlimm wie den IS, und bei der Bekämpfung des letzteren habt Ihr Euch ja auch lange bitten lassen ;-) Irgendwann könnt Ihr auch ruhig mal erzählen, dass die mit der PKK verbündeten syrischen Kurden Euch sogar geholfen haben, das Grab eures Urahnen Suleyman Shah vor den Dschihadisten zu beschützen und Eure Truppen da rauszuholen. Aber das behalten wir wohl vorerst besser noch für uns.

 

Anmerkungen zu Erdoğans FAZ-Beitrag

 

Alles andere wird schon passen. Ach ja, bis auf die Überschrift: »Erwartungen an Deutschland«. Von wem kommt die? Ich fände, »Angebot an Deutschland« besser oder einfach »Für die deutsch-türkische Freundschaft«. Dann fühlen sich die älteren FAZ-Leser vielleicht doch ein bisschen an 1915 erinnert. Insgesamt bin ich, wie gesagt, positiv überrascht. Hoffe aber, dass Ihr es noch nicht abgeschickt habt. Habe das hier jetzt sehr in Eile geschrieben, bitte deshalb, Tippfehler zu entschuldigen.

Von: 
Daniel Gerlach

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