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Religion, Verständigung und Dialog in Zeiten der AfD

Tot oder lebendig

Kommentar
Kolumne Daniel Gerlach

Der schwarze Turban, die Gewalt im Nahen Osten und der Held von Düsseldorf.

Es gibt genügend schlechte Nachrichten, über die man sich aufregen könnte. Insofern habe ich eine Weile überlegt, ob es Not tut, sich nun auch kritisch mit den – gefühlt – eher wenigen guten zu befassen. Ich beteilige mich auch in der Regel nicht an Blitz-Gefechten auf Twitter, was schlecht fürs Marketing sein mag, aber gut für die seelische Gesundheit. Und immerhin gibt es da ja noch diese Kolumne, die etwas mehr zulässt als 280 Zeichen.

 

Da wir nun schon bei der Gesundheit waren, fangen wir damit mal an: Im Gesundheitsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags ist am vergangenen Mittwoch ein offenbar herzkranker Fraktionsmitarbeiter zusammengebrochen. Er wurde dank des fachkundigen Einsatzes zweier Parlamentarier lebensrettend notversorgt.

 

In Deutschland zählt der plötzliche Herzstillstand zu den häufigsten Todesursachen. Die Chancen einer erfolgreichen Reanimation schwinden mit den Minuten, dennoch leiten laut Schätzungen in nur rund 15 Prozent der Fälle Laien umgehend entsprechende Maßnahmen ein, was im europäischen Vergleich niedrig ist. Man kann den Beteiligten also nur Dank und Anerkennung aussprechen und dem Betroffenen baldige Genesung wünschen.

 

Die Schlagzeilen und Twitter-Kommentare von Bekannten aus der Medienwelt, die dazu in Umlauf kamen, haben mich allerdings etwas irritiert: Parteigrenzen hätten keine Rolle mehr gespielt, lobte der eine, und es sei umso fabelhalfter, dass ausgerechnet ein türkischstämmiger Sozialdemokrat einem AfDler das Leben gerettet habe, der andere. Dieser Partei gehörte der Patient nämlich an. Außerdem war eine Freie Demokratin mit Ausbildung zur Krankenschwester in die Rettung involviert. Die Bild feierte den SPD-Mann Serdar Yüksel sogar als Gewinner des Tages. Dafür, dass er politische Differenzen im Moment des Notfalls außer Acht gelassen hat: »Lebensretter kennen kein Parteibuch!« hieß es. Und eine Zeit-Kollegin tweetete, etwas sarkastisch an die AfD gerichtet: »Diese Ausländer, jetzt retten sie auch noch Leben.«

 

Es schwingt womöglich ein Verdacht mit

 

Natürlich ist all das gut gemeint, über Geschmack kann man immer streiten und kleinlich sein kann jeder. Aber ich frage mich schon, ob wir alle unseren moralischen Kompass in der politischen Auseinandersetzung demnächst mal zur Generalüberholung in die Werkstatt schicken müssen. Ist das ernsthaft eine Nachricht? Eine außergewöhnliche Begebenheit? Hätte man sich womöglich gar nicht mehr darüber gewundert, wenn ein politischer Gegner einen mutmaßlichen Rechten liegen gelassen hätte? Oder zumindest abgewogen hätte, ob sich denn auch in diesem Fall das Wiederholen lohnt?

 

Wenn in Pittsburgh, wie neulich geschehen, ein jüdischer Arzt vom Fernsehen befragt wird, wie er sich bei der Intensivbehandlung des Synagogen-Attentäters fühle, und wenn man diesen Arzt dann für seinen Einsatz auszeichnend hervorhebt, habe ich Verständnis. Aber das, was da in Düsseldorf geschehen ist, sollte, im positiven Sinne, keine Nachricht sein. Dass sie es nun ist, womöglich aber leider schon. Vor allem schwingt bei dieser Berichterstattung der Verdacht mit, ein AfD-Mensch im Landtag hätte andersherum wohl nicht wie Serdar Yüksel gehandelt.

 

Wenn das eine oder andere der Fall sein sollte, sind wir weit gekommen in unserem Land, welches insbesondere im von Gewalt, politischen Zerwürfnissen und Sektarismus befallenen Nahen Osten immer noch für seine Zivilität bewundert wird. Ich fühlte mich unwillkürlich an ein Gespräch erinnert, das ich vor einigen Wochen mit einem schiitischen Gelehrten führte und das mich ähnlich berührte. Es ging um Streit und Dialog mit Andersdenkenden.

 

Der Dialog (Arabisch: Al-Hiwar) ist eine feine Sache und man sollte davon ausgehen, dass kein friedfertiger Mensch die Vorzüge des Dialogs verneint. Das gleichberechtigte Zwiegespräch – im biblischen Altertum fand es regelmäßig auch zwischen Ungleichen, nämlich Mensch und Gott oder den Göttern statt – gilt als probates Mittel, um Streit zu schlichten, Mord und Totschlag abzuwenden oder einfach das Klima zu verbessern.

 

Man kann sich meine Überraschung vorstellen, als mich der Seyyed, ein religiöser Würdenträger aus der weit verzweigten Nachkommenschaft des Propheten Muhammad, mit einer Fundamentalkritik am Begriff des Dialogs konfrontierte. Anlass war eine Veranstaltung im zenith-Club, bei der unter anderem irakische Sicherheitspolitiker auftraten, um die Lage im Irak zu diskutieren, und mit denen wir dann zum Abendessen gingen.

 

Meinem turbanbewehrten Tischnachbarn hatte ich dabei eröffnet, dass ich den Dialog für wichtig halte, den gern bemühten »interreligiösen Dialog« aber für überbewertet: Die Frommen, gleich welcher Religion sie angehören, würden sich schon finden, denn am Ende seien sie doch aus demselben Holz geschnitzt. Und bekehren würden sie sich gegenseitig ohnehin nicht können.

 

Wir töten nicht wegen Meinungen. Sondern für das, was der Andere ist

 

Mein Tischnachbar rückte sich nachdenklich den Turban gerade und ich erwartete, dass er dem Dialog das Wort reden und Anstoß an meiner Kritik des Interreligiösen nehmen würde. Aber dann erklärte er, dass der Dialog an und für sich auf einem schlechten Fundament stehe. Am Ende gehe es dabei schließlich nur darum, auf den anderen einzureden, ihn von einer anderen – nämlich der eigenen – Meinung zu überzeugen, anstatt ihn einfach als den oder das zu akzeptieren, was er ist: mit seinem Charakter, seinem Weltbild, seinen Erscheinungsformen und womöglich sogar seinen Existenzansprüchen. Der Begriff des Dialogs sei somit kontraproduktiv; an seine Stelle müsse viel dringender die »Verständigung« (Ta’aruf) rücken.

 

Nun kann man sich stunden-, wenn nicht tagelang, über semantische Feinheiten und die Haupt- und Nebenbedeutungen von Begriffen unterhalten. Aber ich vermutete, dass der Mann auf etwas anderes hinauswollte und fragte noch einmal nach. Der Austausch von Meinungen und Positionen sei nicht schlecht, aber vergleichsweise nutzlos, fuhr er fort. Denn es gehe zunächst darum, den anderen als das zu akzeptieren, was er ist: »Bei uns im Irak töten sich die Menschen seit Jahren gegenseitig: nicht wegen ihrer Meinungen, sondern weil sie Schiiten, Sunniten, Atheisten oder Christen sind!«

 

Den anderen als Menschen und sein Existenzrecht in der Gesellschaft überhaupt anzuerkennen, sei schon wünschenswerter, bevor man überhaupt an Meinungen und Positionen gehe. Und als selbstverständlich voraussetzen dürfe man es beileibe nicht. In Deutschland, so schloss der Gelehrte, seien wir Gott sei Dank über diesen Zustand ja schon hinausgekommen.

 

Ich nickte, wusste aber nicht so recht, was ich antworten sollte. Heute weiß ich es: Natürlich, aber vielleicht sollte man es nicht für gottgegeben halten.

Von: 
Daniel Gerlach

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