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Muslime, Talkshows, Konzelmann

Was Sie jetzt über Nahost-Experten wissen müssen (Teil 3)

Kommentar
Kolumne Daniel Gerlach

Menschen, die Arabisch können und den Nahen Osten kennen, sind deshalb noch keine besseren Außenpolitiker. Die Nahost-Experten haben eine andere vornehme Pflicht.

Auf den Tag genau vor zehn Jahren, am 28. Mai 2008, starb Gerhard Konzelmann. Der weitgereiste Schwabe hatte sich auf vielfältige Weise in der Öffentlichkeit dargestellt: als TV-Reporter, Buchautor und Moderator des ARD-Weltspiegels, und sogar als Komponist von Singspielen (»Blautopf«, »Das Gauklermärchen«). Vermutlich war Konzelmann einer der ersten, denen das deutsche Fernsehen das Label »Nahost-Experte« verliehen hat.

 

Konzelmann verfasste gut zwei Dutzend Bücher. Die meisten davon Sachbücher zum Nahen Osten, deren Titel heute, Jahrzehnte nach der Blüte seines Schaffens, gar nicht mal so gestrig wirken: »Mohammed – Allahs Prophet und Feldherr« (1980), »Die islamische Herausforderung« (1980), »Der unheilige Krieg« (1985), »Allahs neues Weltreich« (1986), »Dschihad und die Wurzeln eines Weltkonflikts« (2002), um nur einige zu nennen. Sie waren und sind bis heute offenbar stilprägend für das Verlagsgeschäft. Einige von Konzelsmanns Bestsellern findet man noch auf Amazon, andere eher in verstaubten Antiquariaten. Denn nach einer Plagiatsaffäre wurden sie nicht wieder aufgelegt oder ganz vom Markt genommen.

 

Der Hamburger Orientalist Gernot Rotter hatte Konzelmann im Jahr 1991 als einen Abschreiber überführt, der sich nicht nur großzügig in Rotters eigenem wissenschaftlichen Werk bedient hatte. Der populäre Autor Konzelmann neigte auch dazu, die plagiierten Stellen mit allerlei schlüpfrigen und blutigen Fantastereien nachzuwürzen. Er zeichnete so laut Rotter ein rassistisches »Zerrbild« der muslimischen Kultur: grausam, irrational, fanatisch, dauergeil. Rotter, »der Mann, der so aus dem dicken Konzelmann Tatar macht«, habe »alle Krummsäbel zur Hand«, kommentierte damals, über jeden Vorwurf orientalistischer Klischees erhaben, das Magazin Der Spiegel.

 

Nun ist Konzelmann längst kein abendfüllendes Gesprächsthema mehr. Auch nicht unter den Orientalisten. Und wir wollen den Mann, der ein erfolgreiches und erfülltes Leben lebte, nicht für eine billige Anekdote in seiner Totenruhe stören: Aber die Konzelmann-Affäre war gewiss eine Zäsur im Verhältnis zwischen der Orientalistik und den Massenmedien, die bis dahin eher wenige Berührungspunkte hatten. Damals, im Jahr 1991, ließ der Golfkrieg den Bedarf nach medienkompatiblen Fachleuten sprunghaft ansteigen. »Echte« Wissenschaftler wollten sich nicht länger von angeblichen Schmalspurern und Quereinsteigern die Butter vom Brot nehmen lassen. Womöglich entstand so erst jenes Berufsbild des Nahost-Experten, der stets mit prägnanten Analysen bei der Hand ist, wenn es zwischen Marokko und Afghanistan wieder einmal knallt.

 

Die Verführung erscheint im Gewand der süffisanten Fragen von TV-Moderatoren.

 

Die Nachrichtenwelt verlangt nach Fachwissen, das allgemeinverständlich »heruntergebrochen« wird. Politische Talkshows aber gehen oft noch weiter: Sie wollen starke Meinungen, steile Thesen, oder gar Lösungen, wie man es besser machen könnte in der internationalen Politik. Und hier nimmt das Elend seinen ungebremsten Lauf.

 

Von Marcel Reich-Ranicki ist der Satz überliefert, man müsse Schriftsteller nur nach ihrer politischen Meinung fragen, wenn man etwas wirklich Dummes hören wolle. Bis auf den Umstand, dass Nahost-Experten für gewöhnlich Bücher veröffentlichen, kann man sie nicht mit Schriftstellern gleichsetzen. Und die Nahost-Experten befassen sich ja auch beruflich mit der Politik. Aber die weit verbreitete Vorstellung, ihr Wissen ertüchtige sie zu höherer politischer Urteilsfähigkeit, beruht auf einem großen Missverständnis. Denn: Je mehr Detailkenntnisse ein Mensch besitzt, desto schwerer würde es ihm fallen, auf der Basis von Erkenntnissen und Interessen zu Entscheidungen zu gelangen. Zumal, wenn diese danach nicht mehr umkehrbar sind.

 

Die Fähigkeit des Nahost-Experten als anwendendem Wissenschaftler besteht hingegen darin, die möglichen oder tatsächlichen Folgen einer politischen Handlung aufzuzeigen. Ein historisches Gedächtnis ist dabei von großem Nutzen. Bedauerlicherweise lassen sich die Nahost-Experten aber hin und wieder zu politischen Statements und Forderungen hinreißen. Meist, weil man sie mit dem Vorwurf »Besserwisser« reizt oder weil Politiker, die der Kritik überdrüssig sind, dem Nahost-Experten sein Unvermögen, Politik selbst zu gestalten, gern unter die Nase reiben.

 

Die Schlange der Verführung lauert geduldig auf die letzten Interview-Minuten – und sie erscheint stets im Gewand der süffisanten Fragen von Moderatoren. Wer sich als Nahost-Experte also einmal live vor einer Fernsehkamera oder einem Radiomikrofon wiederfindet, sollte widerstehen und sich merken: Fragen wie »Was muss denn der Westen Ihrer Meinung nach tun, um Frieden in Syrien zu schaffen?«, »Wem gehört Jerusalem?« oder »Wie sieht für Sie eine gerechte Lösung des Nahostkonflikts aus?« können nur ironisch gemeint sein. Vor allem dann, wenn – »mit Bitte um kurze Antwort« –im Hintergrund bereits die Abspann-Musik läuft.

 

Die Politik im Nahen Osten ist zwar kein Theater, sie trägt aber Züge großer Inszenierungen.

 

Sie, liebe Leserinnen und Leser, haben nun ausführlich erfahren, was der Nahost-Experte alles nicht kann oder tun sollte. Insofern will ich Ihnen die Antwort auf die Frage nicht schuldig bleiben, wozu er dann überhaupt taugt.

 

Und da schon einmal der Name Reich-Ranicki fiel: In der Medienökonomie des 21. Jahrhunderts kann dem Nahost-Experten nur die Rolle eines Kritikers zukommen. Deshalb sollte er sich ein Beispiel an der guten und ernst gemeinten Kritik nehmen: ob in Literatur, Bildender Kunst oder Theater. Die Aufgabe der Kritiker ist ja nicht zu schreiben, ob man etwas gelungen oder langweilig findet, sondern sich ebenso immanent wie einordnend mit dem Werk zu befassen. Ein guter Kritiker misst den Gegenstand seiner Kritik nicht nur an den eigenen Zielen und Maßstäben des Kunstschaffenden. Er verbalisiert das, was Kunstschaffende – oder im Falle des Nahost-Experten Machthaber oder Politiker – nicht sagen, aber sagen wollen oder sagen müssten.

 

Der Kritiker erklärt Hintergründe, verortet etwas im Diskurs, gibt fachkundig Auskunft über die historische Aufführungspraxis eines Bühnenstückes. Über zurückliegende und zu erwartende Skandale. Die politischen Geschehnisse im Nahen Osten sind mehr als ein Theater, aber sie tragen Züge großer Inszenierungen. Und dem Nahost-Experten fällt zu, zu erklären, weshalb ein Protagonist auf welche Weise handelt, wo er seine wahren Absichten an anderer Stelle bereits deutlich zugegeben hat, welche Parallelen sich aufdrängen und wo sich Verhaltensmuster offenbaren.

 

Der Kritiker wirkt begriffsbildend, und so muss auch die Aufgabe des Nahost-Experten darin bestehen, den politischen Diskurs durch Begriffe zu bereichern. Nicht mehr, aber auch nicht weniger, können Sie von ihm erwarten.

Von: 
Daniel Gerlach

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