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Grüße zum Neujahrsfest Nourouz

Hurra, wir kapitulieren! (echt jetzt)

Kommentar
Kolumne Daniel Gerlach

Auch für Staatschefs und Politiker muss gelten: Anderen zu Nouruz oder zum Zuckerfest Glückwünsche zu senden, ist chic, weltläufig und kultiviert. Eine Neujahrsandacht.

Wenn man – ob beruflich oder privat – viel mit Iranern und Iran zu tun hat, fällt es einem besonders auf: Immer mehr Deutsche ohne Migrationshintergrund versenden inzwischen Grüße zu Nouruz, dem Neujahrsfest, das unter anderem die Iraner feiern. Vielleicht ist diese Wahrnehmung subjektiv und hat mit Filterblasen in sozialen Medien zu tun. Vielleicht ist es auch einfach nur ein kognitives Phänomen: Wer sich einen roten VW-Golf kauft, dem fällt plötzlich auf, wie viele rote VW-Golf es gibt.

 

Abgesehen davon ist die persische-iranische Kultur natürlich eine der schleichenden Eroberung. Das heißt: Wer viel mit Iranerinnen und Iranern verkehrt, ertappt sich irgendwann dabei, »salam« statt »hallo« und »khob« anstelle von »o.k.« zu sagen. Eines Morgens wacht man auf und stellt fest, dass überall in der Wohnung filigranes Kunsthandwerk herumsteht und es in der Küche nach Safran, Somak und Kräutern riecht, die man für Ghormeh sabzi braucht. Das ist ein – urbanen Feinschmeckern weltweit inzwischen hinlänglich bekanntes – persisches Kräutergulasch, um das sich einige Legenden ranken. Schließlich gewöhnt man sich sogar an die eintönigen bis weinerlichen, von Männerstimmen vorgetragenen Litaneien, die viele Iranerinnen und Iraner so melancholisch stimmen (Die persisch-iranische Kultur hat Herausragendes hervorgebracht, Musik zählt eher nicht dazu, aber darüber kann man streiten).

 

Aber kommen wir zurück zum Thema: Ein frohes neues Jahr, nouruz piruz, zu wünschen, den Juden shana tova oder purim sameach, den Hindus happy holi oder den Muslimen eid mubarak, sollte man heute nicht als politisch korrektes Bekenntnis zur Diversität ansehen, sondern als Ausdruck kultivierter Weltläufigkeit. Man tut damit kund: Ich schaue über den eigenen Tellerrand und weiß, was los ist auf unserem Planeten.

 

Unter muslimischen Gelehrten im Irak beispielsweise wurde zum letzten Christfest debattiert, ob man als Muslim einem Christen eigentlich frohe Weihnachten wünschen dürfe. Zahlreiche einflussreiche Gelehrte sprachen sich ausdrücklich dafür aus: Nicht die religiöse Pflicht, aber der zwischenmenschliche Anstand gebiete das. Die Argumente mancher Gegner, die sich etwa über Weihnachtsbäume in Shopping Malls ereiferten, erinnern an die Kritik, die man hierzulande gegen importierte Mode-Traditionen wie Halloween oder den Valentinstag vorbringt: Es gehe doch nur um Kommerz.

 

Ein Ramadan-Markt mit Würschtln wäre eine feine Sache

 

Die Sitten und Gebräuche in modernen Gesellschaften verändern sich, es tauchen neue Anlässe und Feiertage im Kalender auf, andere werden umgedeutet oder säkularisiert: Die meisten Deutschen fühlen sich heute wohl nicht mehr an das karfreitägliche Tanzverbot gebunden – und Opernhäuser führen an diesem Gedenktag der Kreuzigung »Parsifal« auf, was eine recht heidnische Umdeutung der Geschichte ist und mit dem Evangelium ungefähr soviel zu tun hat wie der »Herr der Ringe«.

 

Wir sollten uns indes ein Beispiel an den Synkretisten nehmen, was im Übrigen ja eine zutiefst katholische Tradition ist: kalendarisches Rosinenpicken. Feste und Feiertage bereichern unseren Alltag, sie konkurrieren nicht miteinander. Und unsere jeweilige Identität stellen sie nicht in Frage. Man kann also gar nicht genug davon haben. In Zeiten von Netflix-Heimkinos und Filterblasen verspüren ja viele eine Sehnsucht nach dem Live-Event: etwa festliche Zusammenkünfte, bei denen gut gegessen oder auch getrunken wird. Der kulturelle oder religiöse Hintergrund darf dabei ruhig genau das sein: eben ein Hintergrund.

 

Insgesamt sollte gelten: Wann immer Leute was Gutes zu essen servieren und Freunde, Bekannte, Nachbarn auf einen Drink zu sich einladen, ist das im allgemeinen, gesellschaftlichen Interesse. Bald schon gibt es wieder Ramadan mit allabendlichem Fastenbrechen und dem mehrtätigen Zuckerfest, Eid al-Fitr. Als Nichtmuslim muss man ja nicht mitfasten, aber die Highlights mitbegehen. So wie sich viele Muslime in Deutschland an Weihnachten was schenken.

 

Gut möglich, dass sich das Zuckerfest in westlichen Gesellschaften in naher Zukunft sogar im deutschen Brauchtum etabliert – wie Eiersuchen oder Osterhasen, die ja kulturgeschichtlich kaum noch wer zurückverfolgen kann. Wer weiß: Irgendwo in Deutschland werden sie dann Zuckerfest-Stände aufstellen, obligatorisch mit Würschtl, Räuberpfanne, Schweinsbraten und Bier. Das gäbe vielleicht ein paar Diskussionen. Aber im Gegensatz zum Weihnachtsmarkt böte der Ramadan-Markt mehr saisonale Abwechslung: Da der muslimische Kalender – anders als der gregorianische oder der persische – ein Mondkalender ist, wandert das Zuckerfest schließlich durch die Jahreszeiten.

 

Nicht nur die Iraner und die Kurden begehen es, sondern auch viele andere, darunter Baha’i, Ismailiten und Alawiten

 

Nun noch ein paar ernstere Gedanken zu Nouruz: Über 300 Millionen Menschen weltweit begehen dieses Fest – mehr oder weniger stark ausgeprägt: von Kasachstan und allen anderen Staaten, die auf »-stan« enden, über Aserbaidschan, Iran, Anatolien, bis in die Levante. Mit der Tag-Nacht-Gleiche des Frühlings verschlingt das neue Jahr das alte, verschränken sich Erde und Sonne: Allegorisch ist das sehr schön dargestellt auf den Reliefs der achämenidischen Palastanlage von Persepolis, wo ein Löwe sich in einem Stier verbissen hat.

 

Das persisch-zentralasiatische Neujahrsfest Nouruz war vielen islamischen und arabischen Herrschern der Geschichte des Vorderen Orients suspekt. Schon zur Zeit der Abbasiden beschwerte mancher sich bei Hofe, dass diese persischen Sitten immer wieder überhandnahmen im Reich. Wie schnell das gehen kann, habe ich oben ja bereits geschrieben, man kann nichts dagegen tun.

 

In der Türkischen Republik waren öffentliche Nouruz-Feierlichkeiten lange Zeit sogar verboten, weil man sie aus Ausdruck kurdischer Identität und kurdischer Unabhängigkeitsbestrebungen ansah. Zumal von Menschenansammlungen Unruhen ausgehen konnte. Im türkisch besetzten Teil Syriens, in Afrin, fürchten die Besatzer offenbar dasselbe und verweigerten den Kurden heuer die Genehmigung für öffentliche Großveranstaltungen.

 

Nouruz wirft aber auch Licht auf die ethnische und religiöse Vielfalt des Nahen Ostens und auf den Sieg über eine Kraft, die diese Vielfalt mit allen Mitteln ausrotten wollte: den sogenannten Islamischen Staat. Nouruz ist auch das Fest vieler bedrohter und verfolgter Gemeinschaften. Nicht nur die Iraner und die Kurden begehen es, sondern auch viele andere Gemeinschaften, darunter die Baha’i, die Ismailiten und die Alawiten in Syrien, die nicht nur das Herrscherhaus Assad, sondern auch einige der großen Intellektuellen des Landes hervorgebracht hat und sich auf eine geheime, gleichwohl ungeheuer reiche und als humanistische zu bezeichnende religiöse und kulturelle Tradition berufen. (Im synkretistischen Feiertagsrosinenpicken sind die Alawiten Meister. Sie haben sogar Weihnachten und Ostern im Kalender stehen).

 

Nouruz wäre deshalb ein guter Anlass für Staatschefs und Mächtige der Welt, diesen Gemeinschaften und der ganzen Region des Nahen und Mittleren Osten ein paar symbolische, dafür aber ernst gemeinte Botschaften zu senden: Wir sind froh, dass es Euch gibt und interessieren uns für Euch. Wir wünschen Euch Glück und Frieden und reden heute, zum Neujahrsfest, einmal nicht von Geopolitik.

Von: 
Daniel Gerlach

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