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Assad, Syrien, die AfD und Flüchtlinge

Rechts blinken, rechts denken

Essay
Kolumne Daniel Gerlach

Man kann sich über vieles wundern, aber nicht über einen Syrer in der AfD.

Vor einigen Tagen machte die Geschichte eines Syrers die Runde, der für die AfD-Bundestagsfraktion arbeitet. Seitdem ist Kevork Almassian bekannt wie ein bunter Hund. Die Moderatorin des ARD-Magazins »Kontraste«, das am 28. Februar über ihn berichtete, bemerkte mit einem etwas süffisanten Unterton, einen wie Almassian dürfe es nach Meinung der AfD in Deutschland ja eigentlich gar nicht geben. Denn schließlich sei er ein »Flüchtling«, der freimütig zugebe, er sei aus wirtschaftlichen Gründen in der Bundesrepublik.

 

Almassian stammt nach eigenen Angaben aus der christlich-armenischen Minderheit in Aleppo und ist als Social-Media-Referent für den AfD-Abgeordneten Markus Frohnmeier tätig. Er hatte der ARD in einem Interview recht detailliert beschrieben, wie er zunächst das schweizerische und dann das deutsche Asylrecht ausgenutzt habe. Er konnte so an den Aufenthaltsstatus als Flüchtling gelangen und behauptet in dem Interview auch, die Behördenmitarbeiter seien über all diese Details informiert gewesen. Er habe also nicht gelogen.

 

Seit diesem ARD-Bericht haben verschiedene, auch internationale Medien den Fall aufgegriffen und Almassian nachrecherchiert. Anwälte und Aktivisten fordern nun die Überprüfung und allfällige Aberkennung seiner Aufenthaltsgenehmigung. Syrische Regimegegner werfen ihm in sozialen Medien vor, er sei ein Shabih – ein Scherge des Assad-Regimes – der sogar planmäßig nach Deutschland entsandt worden sei, um Oppositionelle zu diskreditieren und Propaganda für Assad zu machen. Almassian gibt sich in sozialen Medien als flammender Unterstützer des syrischen Präsidenten zu erkennen.

 

Natürlich: Ein Syrer bei der AfD ist sicher ein interessanteres Objekt der Berichterstattung als einer im Büro eines Grünen-Abgeordneten – oder sogar in der Redaktion der Bild. Man findet das offenbar irgendwie kurios, vielleicht weil man denkt: Der Syrer müsste es doch besser wissen. Wird er denn nicht auch ständig gefragt, woher er »ursprünglich« kommt. Ist er nicht immer wieder selbst Opfer struktureller, subtiler, in jedem Fall aber rassistisch motivierter Diskriminierung? Wie kann er da zur AfD überlaufen? Und warum holt diese Partei einen bärtigen Orientalen ins Haus, der sich am Ende noch an einem deutschen, blonden Mädchen zu schaffen machen könnte?

 

Was mich überrascht hat, ist die Überraschung, die der Fall Almassian meinem Eindruck nach bei zahlreichen Medienschaffenden ausgelöst hat. Zunächst einmal gibt es natürlich in Deutschland auch viele Syrer, die subsidiären Schutz genießen, obwohl sie politisch eher auf Seiten Assads stehen. Die meisten Flüchtlinge mögen vor den Bomben des Regimes geflohen sein, viele andere aber auch, weil bewaffnete Aufständische den Kampf in dicht besiedelte Stadtviertel getragen haben und sie ihr Geschäft zumachen mussten. Oder weil ihr Haus in der Provinz Idlib plötzlich von zugereisten Kämpfern aus Tschetschenien konfisziert wurde. Als Syrer und Flüchtling muss man also weder par défaut oppositionell sein, noch differenzierte politische Ansichten besitzen.

 

Populistisch und identitär

 

Dass die AfD nun einen vermeintlichen Asylbetrüger wie Almassian beschäftigt, kann wiederum nur diejenigen wundern, die noch immer glauben, diese Partei bestehe aus Law- und Order-Patrioten. Dabei haben zahlreiche ihrer Politiker ja bereits deutlich gemacht: An ein System, das sie verachten, fühlen sie sich nicht unbedingt gebunden. Man nutzt stattdessen jede Gelegenheit, es vorzuführen. Almassians Verhalten mag zwar kein Grund für eine Personalentscheidung zu seinen Gunsten sein, aber zumindest auch kein Hindernis.

 

Seit im vergangenen Jahr eine Delegation von AfD-Abgeordneten auf offizielle Einladung nach Syrien gereist ist, wird gelegentlich über die Beziehungen zwischen neuer Rechter und dem syrischen Regime berichtet. Deutsche Regierungspolitiker rügten die Reise als einen zynischen Akt der öffentlichen Aufwertung Assads. (AfD-Mann Frohnmaier und Almassian lernten sich übrigens nicht etwa in Damaskus kennen, sondern nach Recherchen von T-Online bei einer Konferenz in der Ost-Ukraine, die von prorussischen Separatisten organisiert wurde.)

 

Man kann nun die Annäherung zwischen der neuen deutschen Rechten und dem syrischen Regime als gezielte Provokation betrachten – oder als rein taktisches Manöver, das aus der Suche nach einer gemeinsamen Gegenposition zum herrschenden, westeuropäischen »Mainstream« resultiert: Den empfinden beide als linksliberal, flüchtlingsfreundlich, menschenrechtsbesessen, antiautoritär und natürlich antirussisch. Und anders als bei Teilen der Linken scheint diese Solidarität jedenfalls nicht auf nostalgischen, antiimperialistischen Reflexen zu gründen, sondern auf einem klar definierten, gemeinsamen Feindbild. Demzufolge hätten das Assad-Regime und seine Anhänger und die neue Rechte in Deutschland also unterschiedliche Ideologien, dafür aber gemeinsame Interessen.

 

Vielleicht aber weisen AfD und Syrer – um es etwas zuzuspitzen – doch eine größere Schnittmenge auf. Das gilt zunächst natürlich für alle Befürworter eines wie auch immer gearteten politischen Islams in Syrien, die einfache, populistische Lösungen für komplexe Probleme fordern (»Der Islam ist die Lösung«). Der politische Islam ist seinem Wesen nach populistisch und identitär. Das gilt aber auch für viele Syrer, die sich selbst als säkular bezeichnen würden, unter Umständen, aber nicht zwingend, aus konfessionellen Minderheiten stammen und sich vor allem nicht als Anhänger der Opposition betrachten: Normalos, vom Mathelehrer zum Milizenchef. Deren Feindbilder sind bärtige Islamisten ebenso wie das »Establishment« der reichen, kosmopolitischen, international vernetzten – sunnitischen wie christlichen – Bourgeoisie.

 

Ein völkisches Revival gibt es auch in Syrien

 

Diese stark von Minderheiten geprägten dörflichen und kleinbürgerlichen Milieus machen heute bestimmt die Hälfte der syrischen Bevölkerung im von Regime kontrollierten Territorium aus. Ich habe dazu keine Statistiken und kann mich in meinem Urteil nur auf zahlreiche persönliche Gespräche stützten, denke aber, dass AfD-Positionen unter diesem Teil der Bevölkerung absoluter Mainstream sind: Multikulti taugt nichts; Islam ist eine totalitäre Herrschaftsideologie; jüdisches Geld regiert die Welt und lenkt die westlichen Regierungen. Man beruft sich gern auf einfache Erklärungen, auch wenn die sich teilweise widersprechen. Und genau wie in der AfD kursieren jede Menge antisemitische Meinungen, die zwar nicht von allen geteilt werden, aber auch niemanden schockieren.

 

Selbst das identitäre Gedankengut, das – freilich in einem anderen Kontext – hierzulande von den intellektuellen Kadern der neuen Rechten propagiert wird, findet in Syrien Widerhall. Auch dort gibt es eine Art völkisches Revival, das sich zum Teil sogar auf dasselbe Schrifttum wie seine europäischen Pendants beruft.

 

Im Gespräch mit Syrerinnen und Syrern aus dem Inland ist mir in den vergangenen Jahren immer das große Interesse aufgefallen, das man dem Aufstieg der AfD in Deutschland entgegenbringt: Hizb al-Badil – »Partei der Alternative«, wie sie dort gemeinhin genannt wird – ist in den staatlichen und staatsnahen syrischen Medien präsent. Viele Syrer in Syrien scheinen sich auch für das Phänomen zu interessieren, weil die AfD mit ihrem Streben nach Rückbesinnung auf nationale, ethnische Identitäten Erfolge zeitigt. Vor allem aber, weil sie sich islamfeindlich ausrichtet.

 

Der Krieg in Syrien hat nicht nur die Gräben zwischen den sozialen Gruppen und Konfessionsgemeinschaften vertieft. Er hat auch, was man grundsätzlich positiv bewerten kann, eine neue Diskussion über Säkularismus und den säkularen Staat verfasst. Die bisherige Staatsideologie des Baathismus war pseudo-säkular, was inzwischen auch ansonsten glühende Verfechter des Assad-Regimes einräumen. Der Baathismus hat um religiöse Fragen einen großen Bogen gemacht und Religionskritik weitgehend tabuisiert. (Auch der »AfD-Syrer« Almassian, der sich selbst als Assad-Anhänger bezeichnet, sieht den Baathismus übrigens kritisch).

 

Das revolutionäre Ansinnen vieler bewaffneter Regimegegner, einen islamischen Staat in Syrien errichten zu wollen (wenn auch nicht einen nach dem Vorbild der gleichnamigen Organisation) zwang viele konfessionelle Minderheiten, aber auch sunnitische Muslime, die sich als säkular betrachten, in einen Pakt mit dem Regime. Besonders unter diesen Gruppen gewannen zwei Strömungen an Zulauf: einerseits die Besinnung auf die eigene konfessionelle Identität und die Suche nach Schutz in der wehrhaften Gemeinschaft einer Minderheit, andererseits das sogenannte Nationalsyrertum, welches von der Bewegung der Syrischen Sozialen Nationalistischen Partei (SSNP) propagiert wird.

 

Beide Strömungen scheinen zwar gegenläufig, weil die Nationalsyrer an eine gemeinsame syrische Identität glauben und die konfessionelle Identität – sunnitisch, alawitisch, christlich etc. – überwinden wollen. Die Nationalsyrer gelten als ultra-säkular. Einen islamischen oder arabischen Charakter Syriens lehnen sie ab. Aber man kann beide Strömungen, analog zum europäischen Spektrum, als identitär bezeichnen. Und sie sehen keine Geschäftsgrundlage mehr für eine friedliche Koexistenz mit einer sunnitischen Bevölkerungsmehrheit, solange diese auf der Durchsetzung islamischer Rechtsvorstellungen oder gar einer islamischen Staatsreligion besteht.

 

Artverwandte Ideologien – unterschiedliche Interessen

 

Beide Strömungen sind aber auch bereit, zur Verteidigung ihres way of life notfalls ein despotisches Gewaltregime zu akzeptieren – unabhängig davon, wie sie zur Person Assad stehen. Sie sind essentialistisch und zwar in dem Sinne, dass sie nicht wirklich an den freien Willen glauben, und zwar am wenigsten an den der Gegenseite. Im Zweifel, wenn es zum Schwur kommt, kann der gemeine Mann – und die gemeine Frau – ihrer Ansicht nach nur mit der eigenen Gemeinschaft solidarisch sein.

 

Diese Geisteshaltung dürfte der AfD, der neuen Rechten und denjenigen, die sich mit beiden auseinandersetzen, wohl bekannt vorkommen. Im Mai 2016 habe ich in einem Gastkommentar für Spiegel Online argumentiert, dass die AfD mit ihren Haltungen ganz gut das Spektrum der nahöstlichen Parteien und Ideologien passt. Sie mache das religiöse Bekenntnis zur Machtfrage, aber nicht, um ihre eigene, sondern die Identität anderer zu definieren, in diesem Fall der Muslime in Deutschland. Sie könne sich nicht entscheiden, ob sie radikal säkular oder »christlich-abendländlisch« sein wolle.

 

Damals sah ich in der AfD starke Parallelen zum Geist des nahöstlichen Konfessionalismus. Inzwischen denke ich, dass es für die Beschreibung dieser Geisteshaltung und dieses Phänomens einen anderen Begriff braucht, und schlage dafür den des »Sektarismus« vor. »Konfessionalismus« ist sehr stark religionsgeschichtlich konnotiert und bezieht sich letztendlich vor allem auf die deutsche Erfahrung aus dem protestantisch-katholischen Konflikt. Sektarist allerdings kann man sein, ohne sich um religiöse Inhalte und Dogmen zu scheren. Religion dient dann nur noch zur Zuschreibung einer politischen oder sozialen Identität. Der (politische) Sektarismus ist damit die Gegenbewegung zum politischen Islam, letzterem in seinen Grundannahmen aber auch sehr ähnlich.

 

Wer sich diese Verhältnisse und Analogien vergegenwärtigt, dürfte wenig überrascht sein, dass einer wie Almassian in die AfD passt. Über seine Haltungen und seine Sympathie für die nationalsyrische Bewegung hat er im Übrigen bereits im November 2016 in einem interessanten Interview mit Sezession gesprochen, einem Magazin der neuen Rechten. »Flüchtlinge aufzunehmen ist eine Sache; mit ihnen zurechtzukommen, eine andere«, erklärt Almassian da – eine Aussage, die freilich von Politikern aller deutschen Parteien stammen könnte.

 

Am Thema der Flüchtlinge lässt sich aber am besten veranschaulichen, warum die neue Rechte in Deutschland und ihre Geschwister im Geiste in Syrien zwar artverwandte Ideologien haben, aber eben kaum gemeinsame Interessen: Die AfD möchte den größten Teil der syrischen Flüchtlinge, die überwiegend Muslime und Sunniten sind, schleunigst wieder loswerden. Aber weder die Sektaristen noch die Nationalsyrer scheinen derzeit ein großes Interesse daran zu haben, alle Flüchtlinge zurückkehren zulassen und so die Mehrheitsverhältnisse aus Vorkriegszeiten wiederherzustellen. Denn damit würden sie – ihrem eigenen Weltbild nach – ja den nächsten Aufstand riskieren und vor allem ihren way of life aufs Spiel setzen.

 

Man muss sich also nicht darüber wundern, dass sich einer wie Almassian der neuen Rechten oder der AfD zuwendet. Warum das hunderttausende Nichtsyrer tun, also Deutsche, die weder in einem despotischen Regime leben noch einen Islamisten-Aufstand fürchten müssen, scheint umso verwunderlicher.

Von: 
Daniel Gerlach

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