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Zustände in libyschen Flüchtlingslagern

Die Libyen-Lotterie

Reportage
Zustände in libyschen Flüchtlingslagern
Seit viele Migranten infolge der Schlacht um Tripolis aus ihren Unterkünften geworfen wurden, leben sie auf der Straße, einige schlafen auf Matratzen, andere einfach auf dem Boden. Viele Frauen sind allein mit ihren Kindern. Foto: Alessio Romenzi

Entführt, misshandelt und immer öfter obdachlos – Das Leben von Flüchtlingen in Libyen ist grausam. Viele sehen nur einen Ausweg: Die Libyen-Lotterie.

Jeden Tag wacht Naima auf, umarmt ihre Tochter und geht hundert Meter auf der anderen Straßenseite, um bei der Meldestelle des UNHCR in Tripolis anzuklopfen. Dort fragt sie, was mit ihr geschehen wird. Jeden Tag.

 

Im April geriet das Viertel Qasr Bin Gashir, in dem die Sudanesin lebt, unter Beschuss, als der Krieg die Hauptstadt in den Würgegriff nahm. Naima floh, seither lebt sie auf der Straße. Ihre Tochter wurde sechs Tag nach dem Beginn des Sturms der Truppen des Generals Khalifa Haftar auf Tripolis geboren. Zwei Monate zuvor war Naimas Mann von einer bewaffneten Miliz entführt worden. Seither hat sie nichts von ihm gehört. Er war schon einmal gekidnappt worden. Damals wurde er nach Sabha, in den Süden Libyens, verschleppt und für eine Miliz zwangsverpflichtet. Erst als seine Familie im Sudan Lösegeld bezahlte, wurde er freigelassen.

 

Naima lebt nun gemeinsam mit ihrer noch nicht einmal einjährigen Tochter auf der Straße, so wie viele andere Familien. Jeden Tag stehen die Frauen Schlange vor dem Gebäude des Flüchtlingshilfswerks UNHCR und hoffen, ihre Namen auf der Liste derjenigen zu lesen, die außer Landes gebracht werden sollen. Sie wedeln mit ihren Papieren, die alle mit einem UNHCR-Stempel versehen sind. Einige warten seit sechs Monaten, andere bereits seit zwei Jahren.

 

Es ist wie eine Lotterie, die Papiere sind Losscheine für die Hoffnung. Der Preis ist ein Flugticket des UNHCR, der einzige Weg, um Libyen zu verlassen. »Wir können sonst nirgendwo hin«, sagt Naima, »das macht mir Angst. Jeden Tag bitte ich das UNHCR um Hilfe, ich gehe auch zur Polizei und zum Büro der Internationalen Organisation für Migration. Ich will wissen, ob mein Mann in einem Auffanglager ist. Das wäre viel besser als die Nachricht, dass er tot ist, weil er zum Kämpfen gezwungen wurde.«

 

Sie wiegt ihr Baby und schaut auf die Frau, die neben ihr sitzt. Sie ist im neunten Monat schwanger, ebenfalls allein, und lebt wie Naima unter einer Brücke. »Niemand hilft uns.« Wie Naima und ihre Sitznachbarin leben Dutzende Familien auf der Straße. Familien, die weder in Einrichtungen der libyschen Behörden, noch in denen der Vereinten Nationen einen Unterschlupf gefunden haben.

 

»Die Kriege sind uns überall hin gefolgt«

 

Auch Nafisa Saed Musa und ihr Sohn Abdullah sind Ende April aus Qasr Bin Gashir im Süden von Tripolis geflohen – aus Angst vor Haftars Bomben. Ihre Geschichte lässt sich mit den Schlagworten beschreiben, die vielen Menschen in dieser Situation wohlbekannt sind: Krieg, Flucht, Tod, die Hoffnung auf ein besseres Leben, Folter, Geiselnahme, Gefängnis.

 

Nafisa und ihr Sohn flohen nach Libyen, nachdem ihr Dorf in Darfur von den Dschandschawid-Milizen niedergebrannt und ihr Mann und zwei ihrer Söhne getötet worden waren. »Wir sind von Stadt zu Stadt gezogen – überall hin folgten uns die Kriege«, sagt ihr 27 Jahre alter Sohn, der den Angriff überlebte. In Umm Al-Aranib, südlich von Sabha, entführten ihn bewaffnete Männer. Er wurde gefoltert, eine Miliz forderte Lösegeld für seine Freilassung.

 

Nafisa, heute 44 Jahre alt, erzählt, dass andere Flüchtlinge aus Darfur mit Geld aushalfen. »Einige gaben 20 Dinar, andere 50 – bis wir die geforderte Summe zusammenhatten. Sie wussten, dass ich nicht genug Geld hatte und das Abdullah das einzige Kind war, das mir noch geblieben ist.«

 

Wenn Abdullah von seinen Erfahrungen spricht, verzieht er keine Miene. »Ich habe mein Lächeln verloren. Für immer. Ich habe das Feuer in meinem Dorf überlebt. Als mein Vater und meine Brüder getötet wurden, habe ich auf dem Feld gearbeitet, obwohl ich noch ein Kind war. Jetzt ist nichts mehr da. Weder das Dorf, noch unsere Familie.«

 

Seine Haut ist wie eine Landkarte der Gewalt nach Monaten der Folter. Er zeigt die Abdrücke von Bügeleisen auf seinem Rücken und seinen Armen, die Narben, die geblieben sind, als Zigaretten auf seinem Körper ausgedrückt wurden. Abdullah wurde von einem Lager ins nächste gebracht, nach Bani Walid, dann nach Tripolis. »Sie sagten mir: Wenn du kein Geld hast, dann ruf deine Familie an, damit die bezahlt. Du kannst es dir aussuchen: Entweder du bezahlst, du arbeitest oder kämpfst für uns. Wer rebelliert, wird getötet.« Er habe viele Menschen sterben sehen, erzählt Abdallah weiter. Er sei froh, dass seine Mutter mit der Unterstützung anderer Flüchtlinge aus Darfur letztlich das Lösegeld bezahlen konnte. »Aber ich werde nie vergessen, was ich in diesen Lagern erlebt habe.«

 

»Ich habe nur einen Traum: ein Leben in Würde.«

 

Nach seiner Freilassung ließen sich Abdullah und seine Mutter beim UNHCR registrieren. Eine Unterkunft fanden sie bei einer Familie, die in Qasr bin Gashir lebte. Einen Monat später begann der Krieg. Nafisa blickt auf ihren Sohn. »Ich habe nur einen Traum: ein Leben in Würde. Für Abdullah wünsche ich mir ein Leben in Europa. Ich stelle mir vor, wie er arbeitet. Und lächelt. Mehr nicht.«

 

Nach der Flucht aus Qasr bin Gashir kamen die beiden zunächst in einer Schule im Zentrum von Tripolis unter, in der »Gartenstadt«. Der libysche Rote Halbmond hatte das Gebäude zu einer Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert. Dort lebten sie mit 60 anderen Familien. Es gab wenig zu Essen, kaum Hilfe und das Wasser war verunrei-nigt. Aber immerhin hatten sie ein Dach über dem Kopf und Toiletten.

 

Nach ein paar Wochen forderte der Besitzer den Roten Halbmond auf, in der Schule Libyer unterzubringen, die aus ihren Häusern fliehen mussten. Die Hilfsorganisationen sollten sich lieber um die Einheimischen kümmern als um die Migranten aus dem Sudan. Nafisa, Abdullah und die anderen Familien mussten raus. Seither leben sie auf der Straße, einige schlafen auf Matratzen, andere einfach auf dem Boden. Viele Frauen sind allein mit ihren Kindern.

 

Asaad Al-Jafir vom libyschen Roten Halbmond hatte in der Schule gearbeitet. Jetzt versucht er, den Migranten auf der Straße zu helfen. »Die Situation ist unerträglich. Die Männer sind dem Risiko ausgesetzt, von Milizen entführt und zum Kämpfen gezwungen zu werden. Die Frauen müssen damit rechnen, verschleppt und sexuell misshandelt zu werden.« Er zeigt auf die dreckigen Matratzen auf dem Boden und die Eimer daneben, wo die Obdachlosen ihre Notdurft verrichten. Manchmal gehen sie auch in die Moschee, um dort zumindest die Kinder waschen zu können.

 

Al-Jafir sagt, er versuche seit Monaten die UN zu einer Lösung zu drängen. »Die Vereinten Nationen tragen eine enorme Verantwortung. Ihre Vertreter sind ständig im Fernsehen zu sehen und verkünden, dass nie wieder Menschen im Meer ertrinken dürften. Ich frage mich dann, ob es einen Unterschied gibt, ob man Menschen im Meer oder hier mitten auf der Straße sterben lässt. Ständig wird über Menschenrechte gesprochen. Hier sind Menschen, aber wo sind ihre Rechte?«

 

»In Tripolis ist man nirgendwo sicher vor den Bomben«

 

Die Meldestelle des UNHCR ist direkt auf der anderen Straßenseite, deswegen haben sich die Obdachlosen hier niedergelassen. In der Nacht hören sie die Kampfjets und die Bombeneinschläge – das macht sie zusätzlich nervös.

 

»In Tripolis ist man nirgendwo sicher vor den Bomben«, sagt Al-Jafir. Nur eine Fußminute entfernt befindet sich ein Stützpunkt des Militärs. Die Flüchtlinge, sagt er, hätten sich dadurch Schutz vor bewaffneten Milizen erhofft, aber für die Truppen von General Haftar sei die Militärbasis ein bevorzugtes Ziel.

 

Seit Beginn der Kämpfe um Tripolis warnen Hilfsorganisationen vor den Gefahren für Flüchtlingslager, in denen etwa 6000 Menschen untergebracht sind. Ende April 2019, so vermeldete das UNHCR, wurden bei einen Luftangriff in der Nähe einer Flüchtlingsunterkunft zwei Migranten verletzt. Etwa zur gleichen Zeit habe unbestätigten Berichten zufolge eine Miliz in einem anderen Flüchtlingslager das Feuer eröffnet. Der schwerste Angriff ereignete am 2. Juli sich in Tajoura. Raketen trafen das dortige Flüchtlingslager, in dem nach Angaben des UN-Menschenrechtsrats 600 Menschen lebten. Mindestens 53 von ihnen wurden getötet, weitere 130 erlitten Verletzungen.

 

Im Februar 2017 hatte die italienische Regierung, damals noch unter Premierminister Paolo Gentiloni, mit der Regierung von Fayez Al-Serraj eine Vereinbarung geschlossen. Ziel war, die libysche Küstenwache zu stärken, mit finanziellen Zuwendungen und Hilfe bei der Ausbildung. Zudem sollten Auffanglager finanziert werden, um »die Lebensbedingungen zu verbessern und die Lieferung von Medikamenten und Hilfsgütern sicherzustellen«.

 

Aus Sorge vor einer populistischen Welle und der Anti-Flüchtlingsbewegung ist in vielen europäischen Staaten Angst zur treibenden Kraft der Migrationspolitik geworden. Von einem einheitlichen Umgang mit den Flüchtlingen kann keine Rede sein. Währenddessen erlebt Libyen den vierten Bürgerkrieg in acht Jahren. Hunderttausende wurden vertrieben, fast 6000 Menschen wurden verwundet, mehr als tauend getötet.

 

»Flüchtlinge berichten von Folter, Vergewaltigungen und Mord«

 

Im November 2019 forderte die italienische Regierung Libyen auf, mehr für die Sicherheit und die humanitäre Versorgung der Flüchtlinge zu tun. Im Prinzip soll die Zusammenarbeit mit der Küstenwache aber verlängert werden. Die Hilfsorganisation Oxfam zog eine verheerende Bilanz des italienisch-libyschen Übereinkommens: »Wir haben fürchterliche Zeugenaussagen aufgenommen. Flüchtlinge berichten von Folter, Vergewaltigungen und Mord in den libyschen Auffanglagern«, sagt Paoli Pezzati, bei Oxfam in Italien für Migrationspolitik zuständig. »Die Vereinbarung der italienischen Regierung mit Libyen hat diese Vergehen de facto ermöglicht. Sie sollte nicht stillschweigend verlängert werden.«

 

Italiens Regierungen haben in den vergangenen Jahren die unmenschlichen Bedingungen für Migranten in Libyen weitgehend ignoriert und die libyschen Behörden immer wieder finanziell unterstützt. Sei es durch die Ausbildung von Personal für die Auffanglager oder mit Booten und anderen Fahrzeugen für die Küstenwache. Die Zuwendungen steigen von Jahr zu Jahr und haben inzwischen 150 Millionen Euro überschritten: 2017 flossen 43,5 Millionen Euro an Libyen, 2018 waren es 51 Millionen, im Jahr 2019 bislang 56 Millionen.

 

Im März 2017 hatte Premier Serraj eine Art Einkaufsliste präsentiert, die bis heute nicht verändert wurde. Kosten der Operation: mehr als 800 Millionen Euro. Bedarf: zehn größere Schiffe, zehn Patrouillenboote, vier Hubschrauber, 24 Schlauchbote, zehn Rettungswagen, 30 Allradfahrzeuge, 15 gepanzerte Wagen, sowie 30 Satellitentelefone und militärische Ausrüstung, die nicht unter das von der UN verhängte Waffenembargo fallen.

 

Die italienische Regierung versicherte, dass bis 2020 280 Millionen Euro an Zuwendungen fließen sollen, allerdings ausschließlich an Behörden, die für den Schutz der Meergrenzen zuständig sind. Wie viel Geld genau aus europäischen Staaten nach Tripolis fließt, ist nur schwer zu ermitteln.

 

Ein Untersuchungsausschuss könne Klarheit darüber verschaffen, wie italienische Gelder in Libyen eingesetzt wurden

 

Matteo Orfini, Abgeordneter der oppositionellen Partito Democratico, fordert einen Untersuchungsausschuss, um herauszufinden, wofür genau die Gelder eingesetzt wurden. »Recherchen von Journalisten bezeugen die äußerst intransparenten Beziehungen zwischen Italien und Libyen. Die These, dass der italienische Staat mit Menschenschmugglern verhandelt hat, scheint sich bedauerlicherweise zu verdichten. Bislang liefern die Behörden keine Antworten, die diesen Zweifel hätten ausräumen können.«

 

Ein Untersuchungsausschuss könne zudem Klarheit darüber verschaffen, wie italienische Gelder in Libyen eingesetzt wurden, welche Rolle italienische Sicherheitskräfte im Land gespielt haben und wie die Ausbildung des Personals in den Auffanglagern genau ausgesehen habe.

 

Die Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen waren aufgerufen, Flüchtlinge aus Libyen herauszuholen und woanders anzusiedeln. Doch in den vergangenen drei Jahren wurden jeweils nur rund 2.000 Migranten in anderen Ländern untergebracht.

 

Wegen der geringen Aufnahmebereitschaft in Europa, heißt es beim UNHCR, könne man sich vorerst nur um die Hilfsbedürftigsten unter den Migranten kümmern: Frauen und unbegleitete Minderjährige. In Libyen werfen einige Migranten den lokalen Mitarbeitern der UN dagegen vor, Bestechungsgelder zu fordern, damit man auf Evakuierungslisten gesetzt wird. Sicher ist nur, dass sich die Bedingungen in den Flüchtlingslagern nicht verbessert haben – trotz der Fördergelder der italienischen Regierung und der EU an die libysche Küstenwache. Vermutlich hat sich die Lage sogar verschlechtert.

 

Wer dem Menschenschmuggel den Kampf ansagt, legt sich mit mächtigen Stämmen an

 

Mohammed ist aus Ghana nach Libyen gekommen. Er war in Tajoura, als das Lager dort bombardiert wurde. Er überlebte den Angriff, flüchtete und versteckte sich, um nicht von Milizen aufgegriffen zu werden. Im Oktober 2019 versuchte er, übers Meer nach Europa zu gelangen. Die Küstenwache stoppte das Boot und brachte Mohammed ins Auffanglager Tariq Al-Sikka in Tripolis.

 

Offiziell untersteht das Lager dem libyschen Innenministerium, zuständig ist das DCIM, die libysche Behörde für den Kampf gegen illegale Migration. Aber die Grenzen zwischen offiziellen Regelungen und Gesetzlosigkeit sind in Libyen häufig undurchsichtig. So ist in vielen Fällen nicht klar, ob Flüchtlingslager von der Regierung kontrolliert werden, oder ob sie in der Hand von Milizen sind. Neben den offiziellen Auffanglagern gibt es Dutzende weitere, die direkt von Menschenschmugglern und Milizen unterhalten werden. Genau in diesen Lagern seien Folter, Erpressung, Ausbeutung und Misshandlungen an der Tagesordnung, berichten Flüchtlinge.

 

Im Sommer 2019 ernannte die Serraj-Regierung Mabrouk Abdulhafid zum neuen Leiter des DCIM. Er soll die Behörde reformieren. Abdulhafid weiß, was es bedeutet, dem Menschenschmuggel den Kampf anzusagen: sich mit mächtigen Stämmen und Clans anzulegen, nicht zuletzt in Gegenden, über die die Regierung keine Kontrolle hat. »Nach unserer Schätzung leben in den neun Lagern unter unserer Kontrolle ungefähr 6000 Menschen. Die Gesamtzahl der illegalen Migranten im Land liegt aber bei 700.000«, sagt er im Gespräch mit zenith in seinem Büro in Tripolis. »Sowohl im Osten als auch im Westen des Landes gibt es Lager, die nicht unter unserer Kontrolle stehen. Ich habe die Verantwortung übernommen, das zu ändern. Wir haben bereits drei Lager geschlossen – in Misrata und in Tajoura, nach dem Luftangriff dort. Sie waren de facto in den Händen bewaffneter Banden. Als nächstes wollen wir das Lager in Zawiya schließen. Das wird am schwierigsten, weil es in einer Gegend liegt, in der sich mehrere unterschiedliche ökonomische Interessen überschneiden.«

 

»Die Wächter wurden bedroht oder trafen Absprachen mit den Milizen«

 

Im Lager Tariq Al-Sikka sind derzeit etwa 300 Personen untergebracht – fast alle im Männerbereich. Der ist eigentlich nichts anderes als ein Käfig. Alles ist umzäunt mit Stacheldraht, die beiden Tore sind mit Zahlenschlössern gesichert. Ein Marokkaner steht auf und sagt: »Willkommen in der Hölle.« Es gibt sechs Waschräume. In dreien sind die Toiletten verstopft. Am Boden liegen einige Kranke, um die sich niemand kümmert, unter ihnen ein behinderter Junge, der seine Beine nicht bewegen kann. Während ein Mann sich zum Beten niederkniet, liegen die anderen auf versifften Matratzen und dösen in den Tag hinein: Dann hören sie aus der Ferne ein Geräusch: Bomben. Die Front ist nur sieben Kilometer weit weg.

 

Mohammed aus Ghana erzählt, dass er monatelang misshandelt wurde, sowohl in offiziellen als auch in illegalen Flüchtlingszentren, an der Grenze im Süden ebenso wie in der Wüste und an der Küste. In Tajoura, sagt er, »gingen die Milizionäre ein und aus, obwohl es eigentlich eine Einrichtung der Regierung war. Die Wächter wurden bedroht oder trafen Absprachen mit den bewaffneten Männern. Häufig öffneten sie in der Nacht die Tore und die Milizionäre kamen und nahmen junge Flüchtlinge mit. Die wurden dann entweder versklavt oder als Geisel genommen, um ihre Familien zu erpressen.«

 

Mohammed trägt immer noch dieselbe Kleidung wie in der Nacht, als er von der Küstenwache aufgegriffen wurde. Auf seiner Hose und an seinem Pullover zeichnen sich Salzränder ab. Drei Wochen sind vergangen, seine Schuhe hat er damals verloren. Seither läuft er barfuß. Zwei Mal war er dem Tod nahe, aber er lebt, irgendwie – und hegt den Wunsch auszubrechen, in der Hoffnung, irgendwie doch seine Frau und seine Kinder unterstützen zu können. »Zum letzten Mal haben wir telefoniert, als ich versuchte, übers Mittelmeer zu gelangen«, erzählt er. Dann hätten die Beamten der Küstenwache ihm sein Handy und sein Geld abgenommen. »Meine Frau weiß nicht, wo ich bin. Sie weiß nicht, ob ich am Leben bin.«

Von: 
Francesca Mannocchi

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