Von Azma bis Zenga Zenga
Azma (أزمة) – »Krise«. Inflationär von Regimen benutzt, um vom eigenen Versagen abzulenken: Krisen kommen grundsätzlich von außen, oft genug durch.
→ siehe Muʾamara
Balaha (بلحة) – »Dattel«. Ein weit verbreiteter Spottname (ähnlich der »Birne« Helmut Kohl) für den ägyptischen Präsidenten Abdel-Fattah Al-Sisi, popularisiert durch den gleichnamigen Song des Musikers Ramy Essam. Der Frust über die Stagnation unter dem neuen Regime schlägt um in Spott: Mit seinem dattelähnlichen »Schrumpelgesicht« macht Sisi auf viele Ägypter einen unbeholfenen Eindruck.
Faatakum al-Qitar (فاتكم القطار) – »Der Zug ist abgefahren«. 2011 schrie der jemenitische Machthaber Ali Abdullah Saleh diesen Satz immer wieder seinen Gegnern entgegen – in einem Land ohne Schienenverkehr. Mit dem Zitat veralbern Aktivisten auch heute noch autoritäre Herrscher, die nur Bahnhof verstehen.
Fuloul (فلول) – »Überreste«. Gemeint sind Politiker, Beamte und Militärs der alten Regime, die weiterhin an der Macht sind oder ö entliche Debatten mitbestimmen.
Harga (حرڨة) – »Flucht«. Bedeutet eigentlich »verbrennen«. In diesem Fall sind jedoch die Papiere gemeint, die an der Grenze verbrannt werden. Ein im gesamten Maghreb verbreiteter Begri für illegale beziehungsweise heimliche Migration.
Hizb al-Kanabe (حزب الكنبة) – »Sofafraktion«. Die vermeintlich schweigende Mehrheit, die nicht an den Protesten teilnimmt und stattdessen vor dem Fernseher hockt und altkluge Kommentare abgibt. Eben eine andere Form von »Sit-in«.
Hogra (حڨرة) – »Verachtung«. Geisteshaltung der gesellschaftlichen Eliten gegenüber niedriger stehenden sozialen Schichten, aber auch die Art und Weise der Misshandlung armer Schlucker seitens der Polizei. Gleichzeitig Ausdruck des »Misstrauens« von Jugendlichen gegenüber eben jenen Eliten.
I’tissam (إعتصام)– »Sit-in«. In Mode gekommene Protestform: Die Besetzung eines Platzes oder symbolischen Ortes für eine längere Zeit, um spezifischen Forderungen Gehör zu verschaffen.
Idrab An Al-Taam (إضراب عن الطعم) – »Hungerstreik«. Eine vor allem in Ägypten in den letzten zehn Jahren häufig genutzte Protestform, oft seitens inhaftierter Aktivisten.
Intisaar (إنتصار) – »Sieg«. Wenn es für Regime schon keine großen Siege zu verzeichnen gibt, wird jede noch so kleine Kleinigkeit zum Triumph – oder wie Trump sagen würde: »So much winning!«
Irhab (إرهاب) – »Terror«. Sobald Regime einen Grund brauchen, unliebsamen Gegnern den Garaus zu machen, kommt diese rhetorische Allzweckwaffe zum Einsatz. Wer kann schon etwas gegen Terrorbekämpfung haben?
Millioniya (مليونية) – »Marsch der Millionen«. Wortneuschöpfung für Großdemonstrationen, denen Millionen von Menschen beiwohnen – zumindest gefühlt.
Muʾamara (مؤامرة) – »Verschwörung«. Je mehr Akteure im politischen Geschehen mitmischen, desto mehr Muʾamarat geistern durch die Cafés, Taxis und Friseursalons der Städte – irgendwer muss doch die Strippen ziehen.
Muhallil | Khabir al-Stratiji (محلل | خبير الستراتيجي) – »Strategieexperten«. Die am schnellsten expandierende Branche im nachrevolutionären Medienbetrieb. Häufig unverfänglicher Name für Ex-Militärs, die ihre Vergangenheit nicht öffentlich zur Schau tragen, aber dennoch mitreden wollen.
Mundassin (مندسين) – »Agent Provocateur«. Geheimagenten fremder Mächte, die ganz im Sinne der Muʾamara die Strippen ziehen und Unheil anrichten.
Nizam (نظام) – »Regime«. Ein Wort (und Name) mit langer Geschichte, das so viel wie »Ordnung« oder »System« bedeutet. Inzwischen eher zum Schimpfwort und Inbegriff autoritärer Regime mutiert, deren Sturz gefordert wird.
Schabab al-Tuktuk (شباب التوك توك) – »Die Tuk-Tuk-Jungs«. Junge Tuk-Tuk-Fahrer in Bagdad galten vor allem als Verkehrschaoten. Während der Proteste brachten sie Verletzte schnell in nahe gelegene Krankenhäuser – und wurden zu Helden des Aufstands.
Schabiha (شبيحة) – »Geister«. Bewaffnete Schlägertruppen, häufig auf Motorrädern und auf Krawall gebürstet. Der Name geht womöglich auf die ursprünglich bevorzugten Boliden von Assads Schergen in Syrien zurück, nämlich schwarze Mercedes-S-Klasse-Karossen.
Scharaiya (شرعية) – »Legitimität«. Wer in irgendeiner Form »demokratische Legitimität« suggerieren kann, fühlt sich direkt sicherer auf dem Herrschersitz. Dieses Konzept, das seine sprachliche Wurzel mit der Scharia teilt, kommt vielen Regime gerade gelegen.
Thawri (ثوري) und Thawraji (ثورجي) – »Revolutionär« und »Revoluzzer«. Der erste Begriff beschreibt diejenigen, die für die »Thawra« (Revolution) kämpfen, der zweite Begriff wird mal spöttisch, mal vorwurfsvoll jenen medienaffinen Aktivisten an den Kopf geworfen, die sich vor allem selber profilieren wollen, vielleicht um in den Klub der Experten aufzusteigen.
→ siehe Muhallil | Khabir al-Stratiji
»Ultras«, Fußballfans, die früher vor allem als Hooligans wahrgenommen wurden. Nach intensiver Protestbeteiligung und Organisation von Demonstrationen vor allem in Ägypten und Tunesien hat sich dieses Bild grundlegend gewandelt – außer bei den Sicherheitsbehörden natürlich.
Zenga Zenga (زنقة زنقة) – »Gasse für Gasse«. Am 22. Februar 2011 hielt der libysche Diktator Muammar Al-Gadda eine martialische Rede, in der unter anderem ankündigte, im Kampf gegen die Revolutionäre »Gasse für Gasse« zu durchkämmen. Die Rede hat seitdem ein virtuelles Eigenleben entwickelt, diente als Vorlage für zig Songs und Parodien.