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LGTBQ aus Iran in Deutschland

Asha und das Virus

Feature
Asha
Asha in der Nähe einer nordrhein-westfälischen Unterkunft für besonders schutzbedürftige Geflüchtete. Foto: Lila Tyszkiewicz

Der iranische Virologe Asha lebt wegen seiner Liebe zu Männern im Exil. Seine Geschichte zeigt, wie Irans rigide Sexualmoral die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet – und wie schwer es Deutschland selbst hochqualifizierten Geflüchteten macht.

»Es ist, als wäre ich in Iran gestorben«, sagt Asha als wir zusammen vom Bahnhof durch dichten Nebel in Richtung seiner Unterkunft spazieren. Ich muss schlucken. Doch Asha scheint nicht traurig oder verzweifelt: »Meine Familie und Freunde werde ich wahrscheinlich nie wiedersehen. Ich habe ein neues Leben hier.« Ali, der sich Asha nennt, führt mich zum Rande der Gemeinde Wickede. Rund 30 Kilometer östlich von Dortmund lebt der 35-jährige Iraner seit mehr als einem Jahr in einer nordrhein-westfälischen Unterkunft für besonders schutzbedürftige Geflüchtete.

 

Als er für ein Foto seine Mütze abnimmt, kommen seine orange gefärbten Haare zum Vorschein. Er lacht, als er meinen Blick verfolgt und streicht mit seinen Fingern durch die vorderen Strähnen: »Cool, oder? Das hätte ich zuhause nie machen können.« Asha ist homosexuell. In Iran durfte niemand von seiner sexuellen Orientierung wissen, nicht mal seine Familie. Statt sich die Haare zu färben, ließ sich Asha einen Bart wachsen, kleidete sich unauffällig und sprach mit tiefer Stimme. Er wollte maskulin wirken, keinen Verdacht erwecken. Denn im iranischen Strafrecht gilt Homosexualität als Verbrechen.

 

Homophobie bestimmt sein Leben

 

Haben zwei Männer Sex, droht laut iranischem Gesetz die Todesstrafe. Auf »beischlafähnliche Handlungen« stehen bis zu 100 Peitschenhiebe. Bei Wiederholung droht ebenfalls die Hinrichtung. Selbst Küsse oder Berührungen unter Freunden gleichen Geschlechts können mit der Peitsche bestraft werden. Laut Amnesty International und Human Rights Watch sind in den letzten 20 Jahren immer wieder auch Fälle von Hinrichtungen bekannt geworden. Regelmäßig würden jedoch mildere – aber immer noch drastische – Formen der Bestrafungen ausgesprochen, etwa Peitschenhiebe.

 

Genau Zahlen sind schwer zu bekommen, da Menschenrechtsorganisation es nicht einfach haben, vor Ort zu recherchieren. Einige Beobachter befürchten aber, dass es eine hohe Dunkelziffer bei den für ihre Homosexualität Verurteilten geben könnte. So auch Arsham Parsi, der die Initiative »International Railroad for Queer Refugees« (IRQR) gegründet hat. »Das iranische Regime erntete in den letzten Jahren viel internationale Kritik für seine menschenrechtsmissachtenden Praktiken gegenüber Homosexuellen. Aus diesem Grund ändert die Justiz häufig die Anschuldigungen, um sie offiziell für andere Vergehen zu strafen«, sagt Parsi.

 

Auch wenn Asha nie wegen seiner Sexualität verurteilt wurde, hat die Homophobie sein Leben bestimmt. Konservative Ansichten sind nicht nur unter religiösen Iranern verbreitet, die Ablehnung von Homosexuellen hat sich im Land über Jahrzehnte in alle Gesellschaftsschichten verbreitet. Asha hat sich auch deshalb lange selbst nicht eingestanden, was er seit seiner Jugend wusste. Schon als Kind mimte er die Bewegungen seiner älteren Cousine nach, wollte beim Hochzeitsspiel stets die Braut sein.

 

Ashas Vater war sein Verhalten »zu weiblich«, er stellte den Jungen zur Rede. So wütend war er, dass er ein Messer über die Herdflamme hält und seinem Kind das erhitzte Eisen auf den Unterarm drückt. Bis heute ziert eine lange Brandnarbe Ashas Unterarm. »Mein Vater ist sehr gebildet, und auch nicht sonderlich religiös. Trotzdem will er einen maskulinen Sohn. Er hätte mich lieber tot als schwul.«

 

Derzeit belegt Asha einen Online-Deutschkurs an der Ruhr-Universität Bochum. Andere Kurse darf er aufgrund seines laufenden Asyl-Prozesses und fehlender Deutschkenntnisse nicht belegen. Doch eigentlich ist Asha ausgebildeter Virologe mit Spezialisierung auf das HI-Virus. Kurz vor seiner Flucht hatte er sogar seine Doktorarbeit an der Universität Teheran begonnen. Erst jetzt, als er über diese Zeit spricht, kommen die Tränen: »Natürlich bin ich froh und dankbar, den Problemen entkommen zu sein, aber es tut weh, nicht mehr helfen zu können. Ich bin immer noch in Kontakt mit HIV-positiven Patienten und homosexuellen Freunden, die mir sagen, wie sehr sie mich brauchen. Doch außer ihnen gut zureden kann ich nichts machen.«

 

Seine AIDS-Forschung hat Asha neben seinem Studium betrieben. Erst in einem iranischen Forschungszentrum für HIV und AIDS, später im Zentralgefängnis von Teheran – dem größten Knast des Landes. So hat er viel über die Verbreitung des gefährlichen Virus gelernt, Prävention und Behandlung studiert.

 

Wichtige Forschung in einem Land, dessen Regierung noch vor rund zehn Jahren das Vorkommen der Krankheit in Iran leugnete. Es gäbe keine Schwulen, also auch kein HIV – so die schlichte Logik des damaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Heute wird die Existenz des Virus nicht mehr geleugnet, doch seine Folgen hat das Land bis heute nicht im Griff. 2019 zählten die Vereinten Nationen 59.000 Infizierte, nur etwas mehr als ein Drittel davon ist überhaupt bewusst, infiziert zu sein.

 

Asha
»Mein Vater hätte mich lieber tot als schwul« Foto: Lila Tyszkiewicz

 

Die Gründe dafür sind vielfältig, weiß der iranische Soziologe und Menschenrechtsaktivist Saed Mandani. Zentral ist aber die Tatsache, dass die regulären Infektionswege mit in Iran strafbaren Handlungen verknüpft sind: Drogenkonsum, Sex außerhalb der Ehe, Prostitution und Geschlechtsverkehr unter Männern. »Die Infektionswege von HIV, insbesondere das Sexualverhalten, werden immer noch tabuisiert. Dementsprechend werden nicht nur Menschen mit HIV stigmatisiert, sondern auch jene, die verdächtigt werden, infiziert zu sein«, beobachtet Mandani.

 

Asha lässt sich davon nicht aufhalten. Auch außerhalb seines Studiums engagiert er sich, gründet in dem sozialen Netzwerk Instagram den »Teheran Positive Club« und zieht so die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich. Ihm wird vorgeworfen, Homosexualität zu bewerben. Statt aufzuhören, bringt Asha nun auch Bekannte in das HIV-Forschungszentrum, um sie testen zu lassen. Er glaubt: Der Kampf gegen das Virus ist seine Lebensaufgabe.

 

Im Zentralgefängnis von Teheran startet er ein gemeinsames Projekt mit einer Forschungsgruppe der Vereinten Nationen. Es geht darum, Häftlinge auf sexuell übertragbare Krankheiten zu untersuchen. Hinter Gittern ein besonders großes Problem, denn viele der Inhaftierten hatten mit Drogen und Prostitution zu tun. Eine Studie der Universität Kerman schätzt, dass die Zahl HIV-Infizierter in iranischen Gefängnissen achtmal höher ist als in der restlichen Bevölkerung.

 

Die Situation eskalierte, als Asha und seine Mitstreiter Kondome im Gefängnis verteilen wollten. Die Aufseher glaubten, die Männer sollten so zu gleichgeschlechtlichem Sex verführt werden – und stellten Asha zur Rede. Der Virologe wurde ins Kreuzverhör genommen, die Beamten versuchten, ihn dazu zu bringen, seine Homosexualität zu gestehen.

 

Asha will Gras über die Sache wachsen lassen und plant einen Forschungsaufenthalt in Deutschland, an der Technischen Universität in Braunschweig. Doch Regierungsbeamte finden heraus, dass er mit AIDS-Forschern im Ausland in Kontakt steht. Ihr Vorwurf: Spionage. Seine Wohnung wird durchsucht, sein Computer beschlagnahmt, seine Eltern verhört: »Sie behaupteten vor meinen Eltern, dass ich geflohen sei, weil ich schwul bin und Spionagetätigkeiten im Ausland ausübe.«

 

Heute steht für den Virologen fest: Ihm droht Haft, Folter und eventuell sogar der Tod, sollte er zurück in seine Heimat reisen. Asha beantragt Asyl in Deutschland und begründet dies mit seiner sexuellen Orientierung, die in Iran unter Strafe steht. Gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge müssen Fluchtgründe glaubhaft – also lückenlos, konkret und ohne Widersprüche – geschildert werden.

 

Ein heikles Verfahren, wie Mengia Tschalaer, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Soziologie und Politik an der Universität Bristol, zu bedenken gibt: »Die sexuelle Orientierung nachzuweisen ist schwierig, insbesondere wenn die Geflüchteten aus Ländern kommen, in denen sie sich nicht ausleben konnten. Ebenso ist es mit Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung, denn LSBTI-Geflüchtete erleiden oft Trauma, über die sie nicht sprechen können oder die verhindern, dass sie sich an Details erinnern.« Hinzu kommt, dass Sexualität in westlichen Ländern oft anders verstanden wird als in den Herkunftsländern der Asylbewerber. Wenn Erscheinung und Verhalten nicht der westlichen Norm eines homosexuellen Lebensstils entsprechen, sei es schwieriger anerkannt zu werden, so die Leiterin des Forschungsprojekts »Queer Muslim Asylum in Germany«.

 

Trotz aller Schwierigkeiten bleibt Asha optimistisch

 

In Deutschland wurden laut BAMF 2019 etwa 142.500 Asylanträge gestellt, im gleichen Jahr wurden jedoch nur rund 45.000 Menschen als schutzbedürftig anerkannt. Geflüchtete mit Asylabsage sind gezwungen, Deutschland innerhalb kurzer Zeit zu verlassen, meist in Richtung ihrer Herkunftsländer. Das BAMF führt zwar keine Statistiken zur Anzahl der LSBTI-Geflüchteten und dem Prozentsatz der Absagen, doch alleine in Ashas Umfeld gibt es einige solcher Fälle.

 

Einer von ihnen ist Kian*. Er ist über die letzten Monate zu einer wichtigen Bezugsperson für Asha geworden. Auch er stammt aus Iran und floh, weil er wegen seiner sexuellen Orientierung verfolgt wurde. Sein Weg führte ihn über Griechenland vor etwas mehr als einem Jahr nach Deutschland. Sein Asylantrag wurde allerdings abgelehnt, mehr möchte er zu diesem Zeitpunkt nicht erzählen: »Ich verbringe so viel Zeit und Energie damit, ein wenig von dem zu vergessen, was mir in Iran und auf dem Weg hierher passiert ist, ich möchte die Erinnerungen nicht auffrischen.« Für Kian ist es schwer, über seine Flucht und ihre Gründe zu sprechen und der Gedanke liegt nah, dass das auch die Chancen für die Bewilligung seines Asylantrags erschwert hat.

 

Trotz aller Schwierigkeiten bleibt Asha optimistisch, dass er selber Asyl erhalten wird. In der Zwischenzeit möchte er in Deutschland bei der Eindämmung der HIV-Infektionen helfen. Ende 2019 gab es laut Robert-Koch Institut (RKI) hierzulande 90.700 HIV-positive Menschen und rund 2.600 Neuinfektionen. Sex unter Männern ist der häufigste Infektionsweg. Asha will dagegen ankämpfen: »LSBTI, die nach Deutschland immigrieren, wollen ihre Freiheit ausleben. Doch viele sind nicht auf sexuell übertragbare Krankheiten getestet – die Gefahr einer Ansteckung ist deshalb hoch. Ich gebe mein bestes, alle die ich kennenlerne, aufzuklären, und verteile Kondome in unseren Gemeinschaftsbädern. Außerdem setze ich mich für eine allgemeine Testpflicht für Asylsuchende der Risikogruppe ein.«

 

Sollte er Asyl und irgendwann einmal die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, will er in Köln Medizin studieren. Als Arzt möchte er sich auf AIDS und HIV spezialisieren. Angesichts seiner schwierigen Lage strahlt er einen warmen Optimismus aus. Er ist sich sicher: »Wenn ich fest daran glaube, dann klappt es.«

 

*Name von der Redaktion geändert.

Von: 
Lila Tyszkiewicz

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