Jemenitische Geflüchtete führen in Jordanien oft ein Leben in der Warteschleife – und riskieren viel, um über die Runden zu kommen und ihren Angehörigen im Bürgerkriegsland zu helfen. In Amman gewährt der Koch Karam Einblicke in seinen Alltag.
Es ist Nacht in Amman. Straßenhändler packen ihre Stände zusammen, hupende Taxis schieben sich durch überfüllte Straßen. Grellleuchtende Glühbirnen erhellen Obststände, bunte Neonreklamen rufen stumm durch die Nacht. Vor einem Restaurant unterhalten sich zwei Männer leise, ihre Worte verlieren sich in den Geräuschen der Stadt. Der eine malt mit der Zigarette in der Hand phantastische Zeichen in die Dunkelheit.
Schlagartig rennt er los, die Zigarette fällt zu Boden. Im Sprung streift er seine Schürze über den Kopf, und in wenigen Schritten ist er im Hinterzimmer des Restaurants verschwunden. Er scheint Übung zu haben. Männer in Uniformen laufen bestimmten Schrittes auf das Restaurant zu. Nach einigen Minuten ziehen sie weiter, und der Mann aus dem Hinterzimmer tritt, ganz vorsichtig, wieder hinaus in die Nacht.
Karam G. kommt aus dem Jemen. 2012 brachte ihn die Hoffnung auf ein höheres Gehalt nach Jordanien, dann kam der Krieg. Heute arbeitet er täglich vierzehn Stunden für einen Hungerlohn, um in Jordanien über die Runden zu kommen – und seine Familie im Jemen mit dem Mindesten zu versorgen.
Ständige Angst vor Kontrollen
In Karams Hosentasche steckt eine kleine laminierte Karte, auf der in der oberen rechten Ecke ist in dickgedruckten Lettern UNHCR steht. Nachdem Karam die ersten Jahre in Zarqa, nordöstlich von Amman, verbracht hatte, zog er 2016 – also nachdem der Krieg im Jemen begonnen hatte – in die jordanische Hauptstadt und beantragte Asyl. Zur gleichen Zeit begann er, in einem Restaurant in Amman zu arbeiten – allerdings ohne Arbeitserlaubnis, die sei zu teuer. Er ist für Fleisch und Salate zuständig, in großen Taboon-Öfen backt er die traditionellen jemenitischen Raschusch-Brotfladen. Die Angst vor Polizeikontrollen ist allgegenwärtig: »Auch in meiner Freizeit, wenn ich durch die Stadt laufe, kriege ich Panik«, berichtet Karam.
Nach Schätzungen der UN halten sich rund 27.000 Jemeniten in Jordanien auf, mehr als 11.500 von ihnen sind als Geflüchtete registriert. Dadurch erhalten sie Zugang zu öffentlichen Schulen und vereinzelt auch Heizkostenzuschüsse im Winter. Alle weiteren Kosten für Lebensunterhalt, Bildung oder Gesundheit müssen sie selbst tragen. Keine einfache Aufgabe, blickt man auf ihre Verdienstmöglichkeiten: Eine Arbeitserlaubnis kostet jährlich – je nach Branche – zwischen 180 und 700 Dinar, umgerechnet etwa 215 bis 830 Euro.
Dann wartet noch eine Vorrangprüfung, die sicherstellen soll, dass der Arbeitsplatz im Zweifelsfall an einen jordanischen Staatsbürger geht. Außerdem designierte die Regierung Tätigkeiten – beispielsweise als Arzt, Ingenieur, Lagerist, Fahrer oder Wächter – die per se nur von Jordaniern ausgeführt werden dürfen.
Hilfsgelder fließen – aber nicht für Jemeniten
Karam arbeitet sechs Tage die Woche, von neun Uhr morgens bis elf Uhr in der Nacht. Dafür erhält er 450 Jordanische Dinar, umgerechnet 530 Euro. Ungefähr ein Drittel des Lohnes schickt er monatlich zu seiner Familie nach Ibb, im Südwesten des Jemen. Trotz seiner Registrierung beim Flüchtlingshilfswerk UNHCR bekommt Karam kaum finanzielle Unterstützung. »Letzten Winter erhielt ich zwei Mal Geld. 280 und 120 Jordanische Dinar« berichtet er, umgerechnet sind das 330 und 140 Euro. »Das ist alles.«
Im Februar 2016 unterzeichneten die Europäische Union und Jordanien das Abkommen »Jordan Compact«. Darin sicherte die EU dem Königreich Zahlungen von insgesamt 747 Millionen Euro sowie verbesserte Exportbedingungen für jordanische Güter auf den europäischen Markt zu. Im Gegenzug verpflichtete sich das Königreich, syrischen Geflüchteten den Zugang zur Bildungs- und Arbeitswelt zu erleichtern. Innerhalb der kommenden Jahre sollen bis zu 200.000 Arbeitsgenehmigungen kostenfrei an Syrer ausgestellt werden. Eine derartige Regelung – geschweige denn Aufmerksamkeit – für jemenitische Geflüchtete in Jordanien gibt es bislang nicht.
Seit zwei Jahren wohnt Karam G. in einer schlauchförmigen Einzimmerwohnung in Laufweite zum Restaurant. Das Haus ist alt und erinnert von außen an ein leerstehendes Möbelhaus, dessen Fenster mit dicken Gardinen verhängt sind. Der Weg zu seiner Wohnung im dritten Stock führt durch ein schmales, unbeleuchtetes Treppenhaus. Sperrmüll säumt den Aufstieg. In seiner Achtzigstundenwoche bleibt Karam wenig Zeit zum Leben. »Meine Freizeit?«, fragt er und blickt verwundert. »Ich bin zuhause und schlafe.«
Die Gunst der Geldgeber
Jordanien hat den weltweit zweithöchsten Prozentsatz an Geflüchteten im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Allein aus Syrien flohen seit Kriegsbeginn schätzungsweise 1,3 Millionen Menschen ins Nachbarland – ganz zu schweigen von den rund zwei Millionen Palästinensern, die bis Ende der 1960er Jahre nach Jordanien kamen und teilweise noch immer in Lagern leben. Die Grenze zu Syrien ist seit Juni 2016 geschlossen – und blieb es auch, als tausende Syrer im Juli vor den Bomben des syrischen und russischen Militärs aus der südlichen Region Daraa in Richtung Jordanien flohen.
Jordaniens Wirtschaft liegt am Boden. Die geplanten Sparmaßnahmen – unter anderem eine Erhöhung der Strompreise um 23,5 Prozent – kosteten Ministerpräsident Hani Al-Mulki im Juni nach tagelangen Protesten das Amt. Dabei erhält das Königreich jährlich Finanzhilfen in Milliardenhöhe: Anfang des Jahres sicherten die USA für die kommenden fünf Jahre umgerechnet 5,3 Milliarden Euro zu. Die Europäische Union gewährte Jordanien 20 Millionen Euro für Sozialprojekte und einen weiteren 100-Millionen-Kredit, um die Wirtschaft zu sanieren.
Auch Saudi-Arabien, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate beschlossen auf einer Geberkonferenz im Juni, dem Königreich mehr als 2,1 Milliarden Euro zukommen zu lassen. Eine autarke Außenpolitik – gar ein Rückzug aus der Militärallianz, die im Jemen gegen Huthis kämpft und maßgeblich für das Leid vieler Jemeniten verantwortlich ist – steht angesichts dieser Abhängigkeiten für Jordanien außer Frage.
Ein Leben im Wartestand
Keines von Karams fünf Kindern ist länger als sechs Jahre zur Schule gegangen. »Sie arbeiten alle. Das Leben im Jemen ist unglaublich teuer«, berichtet er. »Die Lehrer kamen irgendwann sowieso nicht mehr zur Schule, weil sie keinen Lohn erhielten.« Auf seinem Handy zeigt er Fotos vom Haus seines Schwiegersohnes. Ein schönes dreistöckiges Steinhaus mit winzigen Fenstern, umgeben von saftigem Gras. Wäre da nicht das große Loch, das tief bis ins Hausinnere blicken lässt.
Früher war für Jemeniten die Einreise nach Jordanien kein Problem, das Visum erhielten sie in Amman am Flughafen. Als der Krieg im Jemen im März 2015 eskalierte, dauerte es nicht lange, bis Jordanien neue Einreisebestimmungen verfügte. Seit Dezember 2015 besteht Visumszwang – das gilt auch für Jemeniten, die sich bereits in Jordanien aufhalten. Wer keine Aufenthaltserlaubnis beschafft, riskiert Strafzahlungen oder – im schlimmsten Fall – eine Abschiebung in den Jemen.
Karam wirkt besorgt und dennoch erstaunlich gelassen. Als habe er gelernt, trotzdem zu lachen. Bei der Frage, was er sich für die Zukunft wünsche, schüttelt er den Kopf. »Entweder kehre ich mit viel Geld in den Jemen zurück, oder meine Familie verlässt ebenfalls das Land.« Hoffnungsvoll klingt er nicht.