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In der sudanesischen Hauptstadt herrschen Verfall und Resignation

Endstation Khartum

Reportage
Endstation Khartum
Geschätzte zwei Millionen inländische Flüchtlinge leben im Großraum der Nil-Metropole. Foto: Florian Mühlbauer

In der sudanesischen Hauptstadt herrschen Verfall und Resignation. Den langjährigen Nord-Süd-Bürgerkrieg hat der Darfur-Konflikt abgelöst. Neue Flüchtlingsströme erreichen die Metropole. Ein Stimmungsbericht.

Alle kommen sie in die Hauptstadt«, sagt Mahmud und zeigt auf die vielen Gesichter, die an der Scheibe vorbeiziehen. Sein Wagen tuckert langsam durch das Meer von Menschen, das sich am frühen Morgen auf die Straßen von Khartum ergießt. Noch ist die Hitze erträglich, später werden es 45 Grad im Schatten sein.

 

»Alle«, das sind die vielen Völker des Sudan. Ethnologen, mit ihrem Hang zur Einordnung, unterscheiden hier meist mehr als 500 Gruppen. Hinter den Fenstern des klimatisierten Taxis fühlt sich der Reisende ein bisschen wie in einem U-Boot, aus dem er die Mannfaltigkeit eines farbenprächtigen Riffs beobachtet. Gewänder in leuchtenden Farben, strahlendes Blau und Weiß. Dort schreiten Dinka und Nuer, mit breiten rituellen Narben auf der Stirn, Araber mit verschiedenen Kopfbedeckungen, tiefschwarze Nuba, Nubier, Kreish und Shilluk, ein herrliches Völkerwirrwarr. Die Körperfetischistin Leni Riefenstahl konnte sich nicht satt sehen an der Schönheit und Anmut dieser Menschen und hat besonders die Nuba und ihre Ringkämpfe ausgiebig abgelichtet.

 

Schönheit trifft auf Traurigkeit

 

Es sind die Menschen, die Khartum zu einer bei eindruckenden Stadt machen. Sie sind offen und gastfreundlich, nie drängen oder belästigen sie ihre Besucher. Doch spätestens auf den zweiten Blick oder im Gespräch offenbart sich auch ihre Traurigkeit. Da ist das Mädchen, das im Goethe-Institut fließend Deutsch sprechen gelernt hat, für dessen Fähigkeiten aber niemand Verwendung hat; der Bauarbeiter, der neben einer Baustelle auf dem Boden hockt und tatenlos die eingeflogenen chinesischen Kollegen beobachtet; und der Schuster, der sich damit begnügen muss, nur noch Importschuhe aus Asien zu verkaufen, weil im Land einfach nichts mehr hergestellt wird.

 

»Und dann ist da noch der eigene Staat, der sie verfolgt«, schimpft in der Lobby des Hotels Meridien ein deutscher Offizier, der nicht namentlich genannt werden will. Der Mann in Tarnkleidung ist Militärbeobachter der UN-Mission im Sudan (UNMIS), die den Friedensprozess zwischen muslimischem Nord- und christlichem Südsudan überwacht und an der sich Deutschland derzeit mit 36 Soldaten beteiligt. Er ist ein Vollblutsoldat, doch der Widersprüchlichkeit seiner Mission ist er sich durchaus bewusst. »Man muss sich hier nur mal umsehen, verdammt noch mal!« Während die Vereinten Nationen sich um den Frieden zwischen Nord und Süd bemühen, herrscht in der Hauptstadt eine Stimmung des schleichenden Untergangs.

 

Es regiert eine Staatsmacht, von der nur noch die Macht übrig geblieben ist. Schwer bewaffnet stehen ganze Kompanien in der brütenden Hitze und sehen zu, wie die Hauptstraßen Khartums sich in Trampelpfade verwandeln. Kein Staat ist zu sehen, der etwas schafft, in Ordnung bringt, hilft oder delegiert. Manchmal weht ein heißer Wind den ganzen Dreck durcheinander, der überall herumliegt.

 

Nächtliche Spaziergänger müssen sich in der Innenstadt von einer Lichtinsel zur anderen vortasten, ständig auf der Hut, nicht in ein Erdloch zu fallen, und kritisch beäugt von mageren Hunderudeln und Wachposten mit umgehängter AK 47. Yusuf und seine Kollegen haben sich damit arrangiert. Sie haben ihre Lieferwagen unter einer der wenigen funktionierenden Straßenlaternen geparkt und spielen eine Runde Fußball. »Wir pennen in unseren Karren, da haben wir es morgen früh nicht so weit«, sagt Yusuf mit breitem Grinsen und guter Laune.

 

In der Höhle des Löwen sind die Menschen leidlich sicher

 

Nachts sind es nur noch 30 Grad, man kann ein bisschen durchatmen, für Yusuf reicht es auch zum Fußball spielen. Er und seine Fahrerkollegen leben eigentlich in einem der Flüchtlingslager rund um Khartum. Zwei Millionen Internally Displaced Persons leben dort. Flüchtlinge im eigenen Land. Die Lager sollten sich eigentlich jetzt leeren, Viele Menschen kehren in ihre Heimat im Süden zurück, aber sie sind voll wie eh und je. Der Grund: Darfur. Der Konflikt im Westen des Landes wurde jüngst in einem UN-Bericht als die aktuell größte humanitäre Katastrophe weltweit bezeichnet, mehr als 200 000 Menschen sollen bei den Auseinandersetzungen bereits ums Leben gekommen sein. Wieder fliehen Menschen vor den Milizen ihrer eigenen Regierung.

 

Da kommt man dann doch ein bisschen durcheinander: Friedensprozess auf der einen Seite und Genozid auf der anderen. In jeder Nische des Landes, mal hier, mal dort, gibt es Blutvergießen – und die Menschen fliehen nach Khartum. Für viele ist hier Endstation. Hier gibt es internationale Hilfsorganisationen, Botschaften, den einen oder anderen Journalisten. In der Höhle des Löwen sind die Menschen leidlich sicher.

 

Aber wo sind sie hier nur gelandet? In Khartum, dem Tor Schwarzafrikas, einer stolzen Handelsstadt am Zusammenfluss von Weißem und Blauem Nil, wie Winston Churchill einmal schrieb? Die weltweite Studie des Beratungsunternehmens Mercer zur Lebensqualität in Städten führt Khartum auf dem vorletzten Platz. Nur in Bagdad, Irak, ist es noch schlimmer zu leben.

 

Es ist beileibe nicht das Erscheinungsbild eines Entwicklungslandes, wo vieles eher notdürftig ist, nein, es wirkt aufgegeben, die Menschen scheinen zu resignieren, viele wollen nur noch weg. Die Menschen in Khartum wissen Bescheid. Durch Internet und Satellitenfernsehen haben sie eine Ahnung davon, wie es in anderen Ländern zugeht. Auch gibt es die Berichte derjenigen, die es geschafft haben, die in Ländern leben, wo keine apokalyptischen Reiter wie die von der Regierung bewaffneten Dschandschawid-Milizen ganze Dörfer zerstören. Und da stellen sich im Sudan schon einige die Frage, was ihnen die Friedensverhandlungen eigentlich gebracht haben.

 

Mahmud, der Taxifahrer, stellt solche Fragen nicht mehr. »Der Frieden, ja, ja!« Und er verdreht die Augen, als ob er sie nicht mehr hören kann, die alte Leier. »Es ist schön, dass er endlich da ist, aber welchen Frieden meinst du?«

 

Nur in Bagdad soll es sich derzeit schlechter leben

 

Von Aufbruchsstimmung ist im Land keine Spur. Leute wie Mahmud sind überzeugt, dass der Frieden zwischen Nord und Süd nur geschlossen wurde, damit die Herrschenden das Öl sicher aus dem Land abtransportieren können. »Früher sind sie mit dem Krieg reich geworden, jetzt wollen sie mit dem Frieden noch reicher werden.«

 

Mahmud spuckt aus. Dann fragt er zum wiederholten Male, ob er es schaffen könnte, mit ein paar tausend Dollar nach Deutschland zu kommen und einen Job zu finden. Taxi fahren könne er ziemlich gut, sagt er grinsend. Das ist alles schwer zu verdauen für den deutschen Peacekeeper, den UN-Militärbeobachter, dessen Rolle damit ständig hinterfragt wird.

 

Dienen die ihm auferlegten Strapazen nur dazu, dass sich das sudanesische Regime die Taschen besser füllen kann? Der Offizier zuckt mit den Schultern: »Kurzfristig ja, langfristig nein, wir hoffen auf die Langzeitwirkung von Frieden. Wenn er anhält.« »Welchen Frieden meinst du?«‚ will man da unwillkürlich fragen, aber der Soldat hat die Lobby schon verlassen. Seiner eigenen Skepsis scheint er mit eiserner Disziplin zu begegnen, regelmäßig joggt er morgens um halb sechs durch Khartum. »In diesem Land«, sagt er, »muss man sich fit halten.«


Dieser Artikel stammt aus der zenith-Ausgabe 4/2007.

Von: 
Florian Mühlbauer

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