Lesezeit: 12 Minuten
Afrikanische Migranten in Tunesien

»Nie wieder Libyen!«

Feature
Afrikanische Migranten in Tunesien
Als Efosa (28) nach der Havarie im Mittelmeer wieder zu Bewusstsein kam, lag sie in einem Krankenhaus in Sfax, im Süden Tunesiens. Ihre Tochter Domino war bei ihr, aber von ihrem Sohn Desmond fehlt seitdem jede Spur. Foto: Alessandra Bajec

In Tunesiens einzigem offiziellen Auffanglager stehen Flüchtlinge aus Westafrika vor der Entscheidung: Weiter nach Europa? Doch viele von ihnen haben genug damit zu tun, die traumatische Durchreise durch das benachbarte Libyen zu verarbeiten.

Eine junge Frau wartet mit ihrer kleinen Tochter am Eingang des Gebäudekomplexes des Roten Halbmondes im südlichen Teil der Stadt Medenine. Sie wirkt abgehärtet, wie sie dort steht und nachdem sie ein paar Worte in schnellem Englisch gewechselt hat, erzählt sie von ihrer Flucht aus der Heimat und wie sie schließlich in Tunesien gelandet ist.

 

Efosa, 28 Jahre alt, arbeitete in Nigeria als Kosmetikerin. Nach ihrer Hochzeit im Jahr 2015 brachte sie ihren Sohn Desmond auf die Welt. Erst als ihr Schwiegervater starb, fand sie heraus, dass er Mitglied der Ogboni war, eines Art sozio-religiösen Bundes der Yoruba. Schnell wurde daraus ein Familienstreit, da Verwandte nun von ihrem Mann erwarteten, es seinem Vater gleich zu tun und selbst den Ogboni beizutreten. Schließlich verschwand ihr Ehemann, der an der Universität studiert hatte, als er sich auf den Weg in die Hauptstadt Abuja machte, um dort einen Job zu finden.

 

»Monatelang drängten mich dann seine Verwandten, meinen Ehemann ausfindig zu machen und machten mir Vorwürfe. Sie beschuldigten mich sogar, ihn zu verstecken«, erzählt Efosa. »Sie verfolgten mich zwei Jahre lang, drohten, mir meinen Sohn wegzunehmen und ihn gewaltsam zu einem Mitglied der Ogboni zu machen, sollte ich meinen Ehemann nicht aufspüren.«

 

Efosa sah nur noch einen Ausweg: Im August 2017 entschied sie sich, sich selbst und ihren inzwischen zweijährigen Sohn sowie ihre kleine Tochter in Sicherheit zu bringen. Eine Kundin, die über ihren Job im Handelsgeschäft über Kontakte in Libyen verfügte, half der verzweifelten Mutter. Sie bot Efosa an, sie nach Libyen zu bringen. In Tripoli sollte sie dann eine Wohnung beziehen.

 

Werden Migranten verkauft, bezahlt der Käufer das Gefängnis für die Freilassung des Häftlings. Oft sind sie dann gezwungen, den Kaufpreis abzuarbeiten.

 

Kurz nach ihrer Ankunft in der libyschen Hauptstadt wurde Efosa auf dem Weg zum Lebensmittelladen ihrer Fluchtbegleiterin von vier Männern aufgehalten und auf Arabisch mehrmals nach ihrem Pass gefragt. Dann wurde sie ins Gefangenenlager Tadschura gebracht. Vier Monate musste sie dort hinter Gittern verbringen.

 

»Ich war mit ungefähr tausend Anderen eingepfercht, in einer Halle mit Matratzen am Boden, einem Waschbecken und einer stinkenden Toilette, die für alle reichen musste«, erinnert sie sich. »Es gab nur ein kleines Brötchen mit Käse und trockene Spaghetti zu essen. Manchmal musste ich die Wächter um mehr Essen für meine Kinder anbetteln. Ich wurde misshandelt, geschlagen und zum Sex gezwungen. Hätte ich mich gewehrt, wäre ich jetzt tot.«

 

Efosa wollte einfach nur raus. Doch die Möglichkeiten, aus solch einem Lager zu fliehen, sind begrenzt: Entweder man entkommt auf wundersame Weise, zahlt Lösegeld oder wird als Sklave verkauft. In diesem Fall bezahlt der Käufer das Gefängnis für die Freilassung des Häftlings. Oft sind Migranten dann gezwungen, die den Kaufpreis abzuarbeiten.

 

Auch Efosa wurde verkauft, zusammen mit ihren Kindern. Für 600 Libysche Dinar, umgerechnet 375 Euro. Doch sie hatte Glück im Unglück: Die Frau, die sie als Haushaltshilfe und Nanny eingestellt hatte, ließ sie frei. Das war im Dezember 2017. Efosa arbeitete noch zwei Monate für sie, doch ihr Entschluss stand fest: Die junge Mutter wollte raus aus Libyen, koste es, was es wolle. Der Bruder ihrer Arbeitergeberin verdiente sein Geld mit Schmuggel und bot an, Efosa und ihre beiden Kinder über das Mittelmeer nach Europa zu schleusen. Erst nach einer sicheren Ankunft sollte sie bezahlen. Am 25. Januar 2018 sollte es losgehen.

 

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) schätzt, dass etwa 9.300 Menschen in Haftanstalten im konfliktreichen Land festgehalten werden.

 

Dann das nächste Unglück: Auf der Überfahrt lief das Boot mit Wasser voll. Während Efosa wurde mit ihrer kleinen Tochter Domino in einem Hubschrauber in Sicherheit gebracht wurde, nachdem das Rettungsschiff »SOS Mediterranée« die Insassen aufgelesen hatte, verlor sie ihren Sohn aus den Augen, der auf dem Boot zurückblieb. Efosa hatte so viel Meerwasser geschluckt, dass sie ins Koma fiel. Als sie wieder zu Bewusstsein kam, lag sie in einem Krankenhaus in Sfax, im Süden Tunesiens. Ihre Tochter war bei ihr, aber von Desmond fehlt seitdem jede Spur. Vermutlich gelangte er nach Italien, bislang sucht das italienische Rote Kreuz vergeblich nach ihm.

 

»Meine Zukunft hängt vom Schicksal meines Sohnes ab. Solange ich nicht weiß, wo er ist, fühle ich mich unwohl« sagt sie, halb traurig und halb wütend, während Domino ein Bild von ihrem Bruder auf ihrem Smartphone zeigt. »Ich werde nicht ohne Desmond nach Hause gehen und ich will nicht ein zweites Mal durch Libyen«, sagt sie und ist sich ihrer ausweglosen Situation bewusst.

 

Libyen ist für viele Menschen aus ganz Afrika ein letzter Zwischenstopp auf dem langen, gefährlichen Fluchtweg nach Italien oder anderswo in Europa. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) schätzt, dass etwa 9.300 Menschen in Haftanstalten im konfliktreichen Land festgehalten werden, von denen viele unter der Kontrolle von Milizen stehen. Und diese Schätzung umfasst nur die Migranten, die in offiziell gemeldeten Gefängnissen untergebracht sind.

 

Weitere Tausende fristen ihr Dasein in informellen Haftanstalten, die von bewaffneten Gruppen, Schleusern und Menschenhändlern betrieben werden. Migranten werden entweder während des Transits durch das nordafrikanische Land in die Haftzentren gebracht oder beim Versuch, Europa auf dem Seeweg zu erreichen, von der libyschen Küstenwache abgefangen.

 

Anfang 2018 berichtete der UN-Menschenrechtsrat, dass Migranten in Libyen auf öffentlich zugänglichen Sklavenmärkten gekauft und verkauft werden. Im Jahr 2017 sorgten Aufnahmen des US-Senders CNN von afrikanischen Migranten, die allem Anschein nach versteigert wurden, weltweit für einen Aufschrei.

 

Das 2013 eröffnete Schutzhaus des Roten Halbmonds beherbergt zweihundert Männer und Frauen, von denen die meisten aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara stammen.

 

Lange bevor das CNN-Material veröffentlicht wurde, berichteten immer mehr Migranten den Mitarbeitern des Auffangzentrums in Medenine, wie sie wie Waren gehandelt und in Schuldknechtschaft verkauft wurden.

 

In Medenine betreibt der Rote Halbmond die einzige Einrichtung in Tunesien für Migranten, die illegal in das Land eingereist sind und entweder von den Behörden nahe der Grenze zu Libyen aufgegriffen, vor der Küste gerettet wurden oder Libyen durchqueren, um dann von Tunis aus nach Europa zu gelangen.

 

Das 2013 eröffnete Schutzhaus des Roten Halbmonds beherbergt zweihundert Männer und Frauen, von denen die meisten aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara stammen. Das Zentrum bietet medizinische Hilfe und bei Bedarf auch psychologische Unterstützung an. Doch das dreistöckige Gebäude ist längst an die Grenzen seiner Kapazitäten gekommen. Eigentlich bräuchte es doppelt so viele Betten. Einige Menschen schlafen im Flur oder im Fernsehraum, es gibt drei Küchen und drei Baderäume.

 

»Wir verhandeln mit der IOM über eine Vergrößerung der räumlichen Kapazitäten, um einen separaten Raum für Frauen und Kinder zu schaffen«, sagt Mongi Slim, der Direktor des Roten Halbmonds in Südtunesien. »So würden wir bessere Aufnahmebedingungen schaffen, und insbesondere den Frauen mehr Raum für Privatsphäre ermöglichen.« Doch noch steht das Zentrum in Medenine allein auf weiter Flur. »Weil wir die Einzigen sind, die Migranten aufnehmen, leiten die Behörden aufgegriffene Migranten systematisch zu uns weiter«, so Slim.

 

Die wöchentliche Verpflegungspauschale in Höhe von 30 Tunesischen Dinar (8,60 Euro) pro Person deckt gerade einmal den Grundbedarf. Da ein Teil der Finanzierung Ende Mai eingestellt wurde, haben das Zentrum und seine freieiligen Helfer alle Hände voll zu tun, die jährlichen Kosten von mindestens 200.000 Dinar (58.000 Euro) zu decken.
In Medenine haben Migranten 60 Tage Zeit, um zu entscheiden, ob sie freiwillig in ihre Heimatländer zurückkehren oder in Tunesien bleiben wollen. Wer bleibt, will letztlich nach Europa weiterreisen. Lorena Lando, die Leiterin der IOM-Zweigstelle in Tunesien, schätzt die Zahl der in Tunesien lebenden Migranten auf 75.000. Offiziell als Flüchtlinge registriert sind aber gerade einmal 777.

 

An der Wand in der Eingangshalle lehnt eine Frau mit verlorenem Blick. Sie wirkt müde. Sara, 29 Jahre alt, floh vor über einem Jahr aus der Elfenbeinküste. Im Jahr 2011 nahm ihr Leben eine tragische Wendung, als ihr Mann während der Krise im Zuge der umstrittenen Präsidentschaftswahlen verschwand. »Während des Konflikts drohten mir die Männer, die meinen Mann entführt hatten, mit dem Tod«, berichtet Sara.

 

Sara wurde in ein Fahrzeug gesetzt, den Zielort verriet man ihr nicht. Ihr Geld sollte sie an einem anderen Ort bekommen. Es war eine Falle.

 

Sara war plötzlich auf sich allein gestellt und musste sich zudem um ihre drei Kinder kümmern. Ein deutlich älterer Mann bot sich als Ehemann an, unter einer Bedingung: Sie hätte sich vor der Hochzeit einer Prozedur zur Genitalverstümmelung unterziehen müssen. Das kam für Sara nicht in Frage. Sie nahm Reißaus.

 

Obwohl sich die Lage in den Jahren nach Ende der Kämpfe relativ stabilisiert hatte, sah sich die junge alleinerziehende Mutter zu Hause Aggressionen, Bedrohungen und Plünderungen ausgesetzt. »Jugendbanden lauerten mir mit Messern bewaffnet auf und verlangten Geld«, erinnert sie sie und zeigt vernarbte Schnittwunden an ihren Armen.

 

Als ihr Leben in Gefahr war, bat sie 2017 ihre beste Freundin, sich um die Kinder zu kümmern und nahm den nächsten Flug nach Tunis, wo sie ein Jahr lang für eine Ivorerin als Haushaltshilfe arbeitete. Doch die konfiszierte ihren Pass, ihr Telefon und ihre Ersparnisse. Sara wurde in ein Fahrzeug gesetzt, den Zielort verriet man ihr nicht. Ihr Geld sollte sie an einem anderen Ort bekommen. Es war eine Falle. An der tunesisch-libyschen Grenze wurde sie ausgesetzt und war gezwungen, die Wüste Richtung Libyen zu durchqueren. In Tripolis nahm die libysche Polizei sie fest und warf sie ins Gefängnis.

 

»Ich wurde geschlagen, vergewaltigt und gefoltert«, erinnert sie sich an ihre Haftzeit. »Ich habe tagelang weder Essen noch Wasser bekommen. Wir waren oft gezwungen, Meerwasser oder Wasser aus der Toilette zu trinken.«

 

Nach vier Monaten der erste – gescheiterte – Fluchtversuch. »Als ich zurückgebracht wurde, haben mich mehrere Männer vergewaltigt und später wieder gefoltert«, erzählt sie mit gesenktem Blick. »Weil ich nach einem früheren sexuellen Missbrauch schwanger war, verlor ich das Kind als Folge der Schläge.«

 

»Ich sagte zu mir: Wenn ich sterben muss, dann hier. Noch einmal Libyen verkrafte ich nicht!«

 

Einen Monat später startete sie einen neuen Versuch und tatsächlich gelang es ihr, zusammen mit anderen weiblichen Gefangenen aus dem Gefängnis zu fliehen. Sie kam bis Zuwara, etwa 100 Kilometer westlich von Tripolis, wurde wieder entdeckt und eingesperrt – und konnte eine Woche später schließlich ein weiteres Mal entkommen. Sie schloss sich einer Gruppe von Migranten an und durchquerte mit ihnen abermals die Wüste, diesmal in Richtung Tunesien. Doch die tunesischen Grenzbeamten stellten Sara in Ben Guerdane vor Gericht. Das Urteil: Ausweisung nach Libyen.

 

Und wieder wurde Sara an der Grenze ausgesetzt. Zusammen mit vier weiteren Migranten harrte sie drei Tage ohne Wasser in der Wüste aus. Während die anderen nach Libyen zurückkehrten, weigerte sie sich, weiterzuziehen. »Ich sagte zu mir: Wenn ich sterben muss, dann hier. Noch einmal Libyen verkrafte ich nicht!«, seufzt sie.

 

Schließlich las ein junger Mann, der nach Tunesien unterwegs war, Sara am Straßenrand auf und nahm sie im Auto mit. Als sie es auf die tunesische Seite geschafft hatte, machte sie sich per Taxi auf den Weg nach Medenine. Mittlerweile lebt sie seit über einem Monat im Auffanglager des Roten Halbmonds. Die Flucht durch die Wüste hat Spuren hinterlassen. Sie zeigt Narben an den Beinen, die der Stacheldraht an der Grenze hinterlassen hat. Sie hofft nun, das Martyrium hinter sich zu lassen, ihr Leben neu zu beginnen. Und sie hofft, eines Tages wieder mit ihren drei Kindern vereint zu sein.

 

Ein junger Mann wartet vor dem Büro des Auffanglagers in Medenine. Er möchte seine Geschichte erzählen. Der 18-jährige Samuel aus der Elfenbeinküste hat trotz seines jungen Alters harte Zeiten durchlebt. Sein Vater stritt die Vaterschaft ab und ließ seine Mutter in finanzieller Not mit sechs kleinen Kindern zurück.

 

Getrieben von Verantwortungsbewusstsein verließ er als ältester Sohn 2013 sein Heimatland, um einen guten Job zu finden und seiner Mutter zu helfen. So zog er von Burkina Faso nach Algerien, wo er als Fußballspieler um seinen Lebensunterhalt kämpfte. Doch das wenige Geld, das er mit Gelegenheitsjobs verdiente, reicht gerade einmal, um selbst über die Runden zu kommen. Dennoch gelang es ihm nach und nach, etwas zurückzulegen. Samuels Ziel: Genug ansparen, um nach Libyen weiterzuziehen und von dort aus nach Europa zu reisen.

 

Überfüllung, Wasser- und Lebensmittelentzug, körperliche Misshandlung, Folter und Zwangsarbeit kennzeichnen den Alltag in den libyschen Haftanstalten.

 

2016 bot sich Samuel die Gelegenheit: Er zahlte einem Schmuggler umgerechnet 1.000 Euro, um nach Libyen zu gelangen. Unmittelbar nach seiner Ankunft dann der Schock: Eine bewaffnete Bande fing ihn ab und verschleppte ihn in die Haftanstalt in Sabrata. Mehr als anderthalb Jahre verbrachte Samuel in dem völlig überfüllten Internierungslager in Westlibyen. »Wir waren etwa hundert Männer, die in eine Zelle zusammengepfercht waren – keine Chance, da rauszukommen. Für gewöhnlich aßen und tranken wir alle drei Tage. Wenn wir um mehr Essen baten, wurden wir geschlagen«, erzählt Samuel. Seine Erinnerungen an diese Zeit verblassen nicht.

 

»Es gab keine Toilette. Wir waren gezwungen, dort unsere Notdurft zu verrichten, wo wir schliefen«, fährt er fort. »Ich wurde ich morgens, mittags und abends beleidigt und gefoltert, um Geld von mir zu erpressen oder Lösegeld von meinen Verwandten zu verlangen. Sie forderten über 500 Euro für meine Freilassung«, erzählt er weiter über seine Tortur.

 

Dann kam der Tag, an dem Samuel gemeinsam mit einer Handvoll anderer Gefangener die Flucht gelang. Einige wurden von Wachen erschossen, als sie wegliefen. »Ich rannte und rannte und konnte nur einen Gedanken fassen: Entweder sterbe ich oder ich lebe«, erinnert er sich. Nach der Flucht fand Samuel Unterschlupf im Haus eines Nigerianers in Sabratha und konnte dort ein paar Monate bleiben. Er hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, wenngleich es öfter vorkam, dass er nicht ausbezahlt wurde.

 

Der junge Ivorer hat ein klares Ziel vor Augen: »Ich muss alles dafür tun, dieses Land zu verlassen.« Seine Erfahrungen in Libyen haben ihn gezeichnet und zugleich angetrieben, einen sicheren Ort zu finden, an dem er sich frei bewegen kann. Sich von Libyen aus nach Europa durchzuschlagen, war nicht länger sein Ziel. Samuel sparte die notwendige Geldsumme, um aus dem Land zu kommen und Tunesien auf dem Landweg zu erreichen. Dabei war er sich bewusst, dass auch dieser Weg Gefahren birgt. »Die Wüste zu durchqueren, ist riskant. Überall lauern Libyer, die einen entführen und wieder in ein Gefangenenlager verfrachten.« Doch diesmal hatte Samuel Glück. Er schaffte es über die Grenze und die tunesischen Grenzbeamten schickten ihn nicht zurück, sondern nach Medenine.

 

Die hier geschilderten Erfahrungen der Menschen in Medenine decken sich größtenteils mit den Berichten verschiedener Menschenrechtsorganisationen. Überfüllung, Wasser- und Lebensmittelentzug, körperliche Misshandlung, Folter und Zwangsarbeit kennzeichnen den Alltag in den Haftanstalten in Libyen, zu denen humanitäre Helfer nur begrenzten Zugang erhalten.
Seitdem Libyen im Bürgerkrieg versank, hat der anhaltende Kampf zwischen rivalisierenden Milizen das Land fest im Griff.

 

Die daraus resultierende Gesetzlosigkeit in weiten Teilen des Landes hat es bewaffneten Gruppen, kriminellen Banden, Schmugglern und Menschenhändlern ermöglicht, einen Großteil der Migrantenströme unter ihre Kontrolle zu bringen. Seit sie Medenine untergebracht sind, konnten viele Migranten wieder Kontakt zu ihren Familien aufnehmen. »Meine Mutter kann nachts wieder schlafen, weil sie weiß, dass ich es aus Libyen herausgeschafft habe«, sagt Samuel und kommt zu einem eindeutigen Urteil: »Nie wieder Libyen!«

Von: 
Alessandra Bajec

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.