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40 Jahre Islamische Revolution in Iran

Der Untergang

Analyse
40 Jahre Islamische Revolution in Iran
In Iran finden seit einem Jahr fast täglich Proteste statt. Foto: Moein Motlagh

Die Islamische Republik war noch nie so einflussreich in der Region und gleichzeitig so schwach im eigenen Land. Am Vorabend des runden Jubiläums offenbart sich: Das System ist nicht mehr zu retten.

Die Sonne knallt nicht mehr ganz so stark auf die Köpfe der hastig ihrem Alltag nachgehenden Millionen Iraner, die sich an diesem warmen Herbstabend im Oktober 2018 auf den staubigen Straßen Teherans durch verstopfte Straßen kämpfen. Sie ist milde geworden, streift meiner Gesprächspartnerin Sarah sanft übers Gesicht. Als würde sie sie entschädigen wollen für die letzten Jahrzehnte, die der Frau ins Antlitz geschrieben sind.

 

Sie sitzt mir aufrecht und stolz gegenüber, wir haben uns zum Tee verabredet. Ich will von ihr wissen, warum sie vor 40 Jahren als Studentin so eine glühende Anhängerin der Revolution war. Ihre Augen werden schlagartig müde und traurig, sie schaut mich an und beginnt zu erzählen. Natürlich war sie für die Revolution, für Veränderung, Freiheit, Wandel. Wie fast alle damals. Der einzige Ausweg aus der Diktatur des Schahs.

 

Eines Tages, erzählt sie mir, wurden in der Teheraner Universität, an der sie damals studierte, Flugzettel verteilt. »10 Nächte in Teheran« stand darauf. Eine Veranstaltung, organisiert vom Goethe-Institut, Lesung um 18 Uhr. Sarah schaffte es nicht, am ersten Tag dabei zu sein. Am zweiten nahm sie ihren Kassettenrekorder mit. Sie wollte aufnehmen, was die iranischen Dichter im westdeutschen Kulturzentrum lasen.

 

Die Intellektuellen nutzten die Gelegenheit. In den geschützten Räumen des Instituts konnten sie in ihren Gedichten seltene Kritik am Regime üben. Ihren Alltag bestimmte normalerweise die Zensur. Kaum etwas durfte veröffentlicht werden.

 

Die Anzahl der Menschen, die damals die Lesungen besuchten, war gewaltig, rund 62.000 Intellektuelle, Studenten und Aufbegehrende kamen in diesen zehn Nächten zusammen – sie nahmen die Kritik euphorisch auf. Bald war klar, dass die Räume zu klein waren. Die Menschen waren überall, sie kletterten auf Laternenpfähle, hockten in den Bäumen und saßen auf der Mauer und es störte sie nicht im Geringsten, dass es regnete und dass es kalt war. »Wir waren so voller Hoffnung. Die Revolution gewann – der Schah verließ das Land«, erinnert sich Sarah.

 

40 Jahre später. Viele derjenigen, die damals auf die Straße gingen, bereuen es heute. Sarah verteidigt sich vor ihren Kindern mit dem Argument, dass sie nicht wussten, wohin sie diese Revolution führen würde. Trug sie doch nicht gleich den Namen, unter dem sie in die Geschichtsbücher Eingang fand. Es war vielmehr die Gier der Mächtigen, die bis heute das Konstrukt »Islamische Republik« durch eine sture Verweigerung von Reformen Schritt für Schritt in eine Sackgasse drängen.

 

Das Atomabkommen hatte den jungen Iranern und Iranerinnen ein letztes Mal die Hoffnung gegeben, dass die Islamische Republik doch noch die Möglichkeit hat, sich zu reformieren

 

Ein großer Teil der iranischen Gesellschaft stimmt inzwischen den heutigen Kritikern des Systems der »Velayat-e Faqhi«, der Führerschaft des Rechtsgelehrten, zu. Dabei halten viele nicht den Islam für das Problem, sondern die Eliten, die sich unter dem Deckmantel des Islam bereichert haben. Über Jahrzehnte hinweg.

 

Lange Zeit konnten sie durch Krieg und Feindbilder ihre Bereicherung vertuschen. Jetzt nicht mehr. Die sozialen Medien haben die Bevölkerung ermächtigt. Die Macht der Information. 40 Millionen Iraner nutzen inzwischen den Messenger-Dienst Telegram. Twitter verzichtete schon 2009 aufgrund der Unruhen im Iran extra auf ein Software-Update.

 

Für die damals noch existierende Opposition im Land war Twitter eine der wenigen Möglichkeiten, die protestbereite Bevölkerung zur nächsten Demonstration gegen die Vereidigung von Mahmud Ahmadinedschad aufzurufen. Die Proteste wurden am Ende trotzdem niedergeschlagen.

 

Inzwischen haben auch die Amerikaner diese Möglichkeit der Nutzung der sozialen Medien für ihre eigenen Zwecke erkannt und versuchen so die Islamische Republik zu schwächen. Intensiv wird daran gearbeitet, die iranische Bevölkerung mit Informationen über ihre korrupten Politiker und Mitglieder der Revolutionsgarde zu füttern. Es wirkt. Die Informationen kommen an, sorgen für eine schier unermessliche Wut unter den Bürgern.

 

Ungebildete, Ausgebildete, Lkw-Fahrer, Lehrerinnen, Studenten und Bauern. Fast täglich finden seit einem Jahr Proteste statt, manchmal leise, manchmal laut

 

Bei den jüngsten Protesten im Januar 2018 verzeichnete ein Kanal auf Telegram innerhalb weniger Stunden einen Zuwachs von Millionen Followern. Der Administrator ist der Sohn des ehemaligen Schahs. Er sitzt Tausende Kilometer weit weg in Washington, hat Iran seit der Flucht seiner Eltern 1979 nicht mehr gesehen. Trotzdem nimmt sein politisches Engagement jetzt Fahrt auf. Zum Unmut der iranischen Machtelite. Unmut ist eigentlich untertrieben. Inzwischen ist es Angst. Angst vor einem Umsturz.

 

Wer dem Schah-Sohn auf diesem Kanal folgt? Die Kinder der Kinder der Revolution. Sie haben kein Mitgefühl mehr für Märtyrer aus dem Iran-Irak-Krieg, sie erscheinen nicht beim Freitagsgebet in der Moschee, sie folgen nicht mehr blind den Propagandareden im Staatsfernsehen. Sie prangern vor allem die Ausgaben in Milliardenhöhe an, die Iran für seine »Sicherheitspolitik« in Syrien, dem Jemen und dem Libanon ausgibt, anstatt für sie, ihre Ausbildung, die Infrastruktur, ihre Zukunft.

 

Auf Youtube lassen sie sich von den süßen Verführungen der westlichen Welt verzaubern. Vergessen für die Länge eines Clips ihre Sorgen und Ängste. Sehnen sich gleichzeitig danach, auch Teil dieser Welt zu werden. Diese Welt leben zu dürfen.

 

Das Atomabkommen von 2015, ein Meilenstein der Diplomatie, wie diejenigen, die es aushandelten, schwärmten, ist gelinde gesagt gescheitert. Dieses Dokument hat der iranischen Bevölkerung und besonders diesem einen großen Teil der Bevölkerung, nämlich den jungen Iranern und Iranerinnen, ein letztes Mal die Hoffnung gegeben, dass die Islamische Republik doch noch die Möglichkeit hat, sich zu reformieren, eine Öffnung zuzulassen.

 

»Wandel durch Handel« war eine gern benutzte Überschrift bei Reisen verschiedener westlicher Wirtschaftsdelegationen nach Iran. Doch der Traum ist schon wieder geplatzt. Die meisten internationalen Fluglinien haben ihre Flüge nach Iran gestrichen. Delegationen sieht man nicht mehr. Grund dafür ist die neue Iran-Politik von US-Präsident Donald Trump, die die alte »neue« Linie seines Vorgängers Barack Obama, nämlich Annäherung an Iran, aufgehoben hat.

 

Europa versucht zwar nach wie vor verzweifelt, den Deal nach dem Ausstieg der USA aus dem Abkommen im Mai 2018 zu retten. Doch es ist offensichtlich, dass der schon seit seinem Wahlkampf gegen Iran polternde amerikanische Präsident dies nicht zulassen wird. Es wird immer deutlicher, dass ein internationaler Deal ohne die Amerikaner keinen Wert für Iran hat.

 

Konsequenterweise müsste Teheran jetzt zur angedrohten aufgestockten Nuklearanreicherung zurückkehren. Doch sowohl Präsident Hassan Ruhani als auch das komplexe politische Geflecht verschiedener konkurrierender Machteliten ist bewusst, dass solch ein Schritt unabsehbare Folgen nach sich ziehen würde. Denn weder Israel noch Saudi-Arabien würden eine Wiederaufnahme des iranischen Nuklearprogramms akzeptieren.

 

Der Weg der Diplomatie ist ausgeschöpft. Deshalb wartet Iran nun stoisch gemeinsam mit Europa auf einen Machtverlust Trumps, mit dem ein Wechsel der amerikanischen Iran-Politik einhergehen könnte. Nur darauf deutet im Moment rein überhaupt nichts hin.

 

Zum 40. Jahrestag der Islamischen Revolution wollen viele internationale Journalisten nach Iran reisen, haben seit langem ein Visum beantragt. Bislang hat kaum einer eines erhalten

 

Die Islamische Republik war noch nie so einflussreich in der Region und gleichzeitig so schwach im eigenen Land. Eine Packung Windeln kostet heute so viel wie eine Goldmünze vor 15 Jahren. Eine Goldmünze kostet heute 45-einhalb mal so viel.

 

Zum 40. Jahrestag der Islamischen Revolution wollen viele internationale Journalisten nach Iran reisen, haben dafür schon seit Langem ein Visum beantragt. Bislang hat kaum einer eines erhalten. Die Mächtigen in Iran sind weder dumm noch weltfremd oder realitätsfern. Sie wissen: Egal welche Frage ein Journalist den Menschen auf der Straße stellen wird, sie werden keine positiven Antworten bezüglich der derzeitigen Politik hören.

 

Revolutionsführer Ayatollah Khomeini versprach nach seiner Rückkehr aus dem Exil in Frankreich bei seiner Ankunft in Teheran 1979: »Ihr werdet weder für Strom noch Wasser zahlen müssen.« Heute können sich viele Menschen keinen Strom mehr leisten und in vielen Provinzen des Landes ist aufgrund einer auch durch menschliches Versagen verursachten Dürre Wasser ein Luxusgut geworden. Wenn man im Internet nach der Aussage des Revolutionsführers von damals sucht, findet man diesen Textabschnitt nicht mehr. Es heißt, er wurde entfernt.

 

Die Islamische Republik hat versagt. Sie hat eine gesunde Mittelschicht trotz Milliarden von Öleinnahmen verarmen lassen. Hat keine Alternativen geschaffen, die einspringen könnten, sollte der Geldfluss durch Rohstoffeinnahmen eines Tages versiegen. Hat keine Arbeitsplätze durch den Aufbau eigener Industrien geschaffen. Hat keine Reformen zugelassen, die zum Beispiel für Exil-Iraner Ansporn gewesen wären, wichtiges Know-how dem Land zugutekommen zu lassen.

 

Sie hat sich nicht um ihre Bevölkerung gekümmert. Und die wagt deswegen erneut den Aufstand. Auf dem Land, in den Städten. Ungebildete, Ausgebildete, Lkw-Fahrer, Lehrerinnen, Studenten und Bauern. Fast täglich finden seit einem Jahr Proteste statt, manchmal leise, manchmal laut. Noch fehlt den Unzufriedenen ein Anführer. Die Opposition im Ausland ist gespalten, in Iran selbst existiert schon lange keine wirkliche Opposition mehr.

 

Während sie ihren Kandiszucker im Tee verrührt, erzählt mir Sarah von einem Bildnis, das ihr seit Längerem immer wieder in den Kopf kommt: ein sinkendes Schiff. Die Revolution war für sie anfangs wie die Fahrt auf der Titanic. Alle wollten dabei sein. Feiern. Frohlocken.

 

Doch während die Mächtigen nach 40 Jahren noch vereinzelt ganz oben auf dem schicken Deck tanzen, ist das Schiff schon längst dabei, in der Mitte entzweizubrechen. Einzelne Risse, durch die das Wasser gelangt, werden gestopft. Doch man kommt nicht mehr nach mit dem Stopfen, denn die Löcher und Risse werden mehr und mehr.

 

Sarah sagt, das Schiff wird auseinanderbrechen. Die Frage ist, wie lange es bis dahin noch dauert. Wenn man sie vor ein paar Jahren gefragt hätte, hätte sie geantwortet: noch lange nicht. Heute ist sie sich da nicht mehr so sicher.

 

Wenn man sich die Aufnahmen, die Sarah mit ihrem Kassettenrekorder damals aufnahm, anhört, sind die Stimmen der Dichter nur ganz schwach im Hintergrund zu hören. Es dominiert der Regen.


Natalie Amiri ist eine deutsch-iranische Hörfunk- und Fernsehjournalistin. Sie leitet seit 2015 das ARD-Studio in Teheran.

Von: 
Natalie Amiri

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