Jeden Freitag kuratieren wir fünf Twitter-Accounts zu einem bestimmten Thema. In dieser Woche: den Genozid in Srebrenica und die lebenslange Haftstrafe für Radovan Karadžić.
Die Journalistin Marija Ristić ist Regionaldirektorin des »Balkan Investigative Reporting Networks« und Stipendiatin an der Freien Universität Berlin. Auf ihrem Twitter-Account verfolgt sie beispielsweise die derzeitigen Proteste in Belgrad gegen zunehmend autoritäre Regierung von Präsident Aleksandar Vučić.
In den vergangenen Tagen hat sie aber vor allem den Völkermord in Srebrenica im Jahr 1995 im Blick: So berichtet sie von einem Verfahren in Belgrad gegen serbische Ex-Polizisten, die am Genozid in Srebrenica beteiligt waren. Auch über das Urteil gegen Radovan Karadžić twittert sie viele Einzelheiten. Zwar wurde der Milizenführer der bosnischen Serben aus dem Jugoslawien-Krieg vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu lebenslanger Haft verurteilt, von einer Mitschuld an der Vertreibung von Bosniern und Kroaten aus 20 Gemeinden wurde er bei der Urteilsverkündung am 20. März jedoch freigesprochen.
The judge has now turned to the prosecutors’ appeal against the first-instance verdict. The prosecutors’ call for Karadzic to be convicted of variety of killings and other crimes which were committed along with the expulsion of Bosniaks & Croats in 20 municipalities was dismissed
— Marija Ristić (@Marien__R) March 20, 2019
Jasmin Mujanović ist Politikwissenschaftler und Autor des Buches »Hunger and Fury: The Crisis of Democracy in the Balkans«. Auf seinem Twitter-Account informiert er ausgiebig über die erstarkende Rechte in Europa, insbesondere in den Balkanländern.
Dass der Attentäter von Christchurch auf seinem Weg zum Anschlagsort das serbische Kampflied »Remove Kebab« hörte, das Radovan Karadžić gewidmet ist, wundert den Wissenschaftler nicht. Er ist sich sicher: Der frühere Milizenführer ist einer der ideologischen Stützen der internationalen »White Supremacy«-Bewegung.
I would suggest that folks in the extended gaming & online communities recognize the "Remove Kebab" meme for what it is: far-right hate speech mocking the Bosnian Genocide & thus akin to other far-right extremist "codes". Recognize it, stomp it out, de-platform propagators.
— Jasmin Mujanović (@JasminMuj) March 16, 2019
Journalist Danijel Majić ist da anderer Meinung. Er meint, eine kontinuierliche Linie von serbischer Propaganda aus den 1990er Jahren bis zum Anschlag in Christchurch zu ziehen, sei »abenteuerlich« – und unterstreicht, dass die Kriegsparteien während des Jugoslawien-Krieges je nach Bedarf einer ganzen Reihe nationalistischer Narrative bedienten.
Daneben informiert der Reporter der Frankfurter Rundschau regelmäßig über den Diskurs in den jugoslawischstämmigen Communities in Deutschland. Etwa über eine kroatisch-katholische Gemeinde in Offenbach, die rechten Nationalisten eine Bühne bietet. Außerdem betreibt er gemeinsam mit Krsto Lazarević den Podcast »Ballaballa-Balkan«.
Deswegen wurden die Bosniaken in der Regel auch als "Türken" und nicht oder nur an zweiter Stelle als Muslime bezeichnet (übrigens eine Rechtfertigung, die schon von der Tschetnik-Bewegung im Zweiten Weltkrieg für ihre Verbrechen herangezogen wurde).
— Danijel Majić (@DanijelMajic) March 18, 2019
Die Familie von Jasmin Jusuf Jusufovićs wurde Opfer des Völkermords in Srebrenica, wie über acht Tausend bosnische Muslime. Nur er selbst, seine Mutter und Großmutter überlebten.
Auf Twitter berichtet er zum Beispiel, wie er als kleiner Junge mitansehen musste, wie sein Vater in Potoćari, einem Dorf nahe Srebrenica, erschossen wurde. Erst über 20 Jahre später konnten die sterblichen Überreste seines Vaters geborgen und begraben werden. Doch noch immer sind Hunderte der Opfer nicht identifiziert.
I can still remember how thick was the silence as I was standing in the grave receiving his casket when I read his body was scattered in six different mass graves. I can still feel my heart hurting as in that moment of his burial 20+ years after he was killed.
— Jasmin Jusuf Jusufović (@solitudare) March 20, 2019
Nedzad Avdic ist ebenfalls Überlebender des Genozids in Bosnien und setzt sich heute für eine Erinnerungskultur an das Massaker im Vereinigten Königreich ein. Auf seinem Twitter-Account berichtet er vor allem von Fällen der Leugnung des Völkermords.
Dennoch geht der Kampf um die Deutungshoheit über den Jugoslawien-Krieg und die Ereignisse vom Juli 1995 – insbesondere in der Republika Srpska, einer der beiden Entitäten, die heute den Staat Bosnien-Herzegowina bilden. Deren Regierung richtete im Februar eine – wenngleich umstrittene – Kommission zur Aufarbeitung von Kriegsverbrechen unter Leitung des israelischen Holocaust-Forschers Gideon Greif ein. Gleichzeitig, so kritisiert auch Avdic, organisieren Vertreter der Serbisch-Orthodoxen Kirche sowie der Bürgermeister von Srebrenica geschichtsrevisionistische Veranstaltungen. »Die Leugnung setzt sich fort«, twittert Avdic.
The Project Denying Genocide in Srebrenica continues.This time supported by the Mayor of Srebrenica and Ortodox Church. Everyone should be ashamed who supports such a politics and a mayor in any way. THIS HAS TO BE STOPPED!.@USEmbassySJJ .@MattFieldUK .@OHR_BiH.@LarsGWigemark pic.twitter.com/P0lvE581MA
— Nedzad Avdic (@NedzadAvdic) March 16, 2019