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Jordanisches Start-Up hilft syrischen Flüchtlingen

Wir drucken das!

Reportage
Junge mit 3D-Hand
Foto: Manar Bilal

Hunderttausende Kriegsversehrte sind aus Syrien geflüchtet. Mit 3D-Druckern wollen zwei junge Gründer ihnen dabei helfen, ihr Leben im jordanischen Exil wieder in den Griff zu bekommen.

Überall liegen Körperteile. Ganze Hände, einzelne Finger, abgetrennte Ohren. Von Regalböden schauen neugierig kleine Roboter hinab, neben ihnen stehen unvollendete Büsten, transparente Organe, abstrakte Skulpturen. Was den Besucher hier im Westen der jordanischen Hauptstadt Amman erwartet, scheint direkt den Tagträumen eines Lewis Carroll, Autor von »Alice im Wunderland«, entsprungen. Doch um Träume geht es Loay Malameh nicht.

 

Die skurrile Sammlung ziert das Büro von Refugee Open Ware, kurz ROW. Loay hat das Startup gemeinsam mit seinem Freund, dem Amerikaner Dave Levin, im Spätsommer 2014 gegründet. Gemeinsam wollen die beiden jungen Gründer mit der Technologie von morgen den Abgehängten von heute helfen. Die emsig surrenden Zeugen ihrer ehrgeizigen Pläne sind ein halbes Dutzend im Raum verteilt stehende Geräte vom Format eines Bierkastens.

 

Es sind 3D-Drucker, in deren Inneren ein vom Computer gesteuerter Druckkopf millimeterweise flüssigen Kunststoff spritzt und so Schicht für Schicht künstliche Hände und andere Körperteile entstehen lässt. Wenn der Plan von Loay und Dave aufgeht, werden diese Prothesen bald syrischen Flüchtlingen dabei helfen, ihren Alltag wieder in den Griff zu bekommen.

 

Das ist für mich eine enorm wichtige medizinische Zukunftstechnologie.

 

Wenn die Maschinen nicht gerade Körperteile auswerfen, werden sie vom Team auch gerne einmal dazu genutzt, das 36-teilige Panorama einer europäischen Bergfestung zu drucken. Dank dieser liebevollen Kombination aus verstreutem Plastiknippes und Lötkolben wirkt das Büro denn auch wie das Äquivalent eines Bälleparadieses für Mittzwanziger. Inmitten dieses Chaos sitzend sagt Loay dann jedoch Sätze wie diesen: »Wir wollen eine Gemeinschaft aufbauen, die mit einschneidender Technologie Menschenrechte fördert.« Doch am Anfang ging es nicht um Flüchtlinge, sondern ums Geschäft.

 

Die Handprothese aus dem 3D-Drucker kostet 75 Euro 

 

Nach dem Studium beriet Loay zunächst jordanische und internationale Unternehmen in Sachen Social Media. Später machte er sich mit einem Marketing-Startup selbstständig. Es war ein Freund, der ihm damals von einer neuen Technologie erzählte, mit deren Hilfe sich Gegenstände quasi aus dem Nichts erschaffen lassen. Loay war fasziniert und gründete sein zweites Unternehmen: ein Marktplatz für 3D-Druck-Enthusiasten, auf dem Nutzer digitale Druckvorlagen kaufen sollen. Die Idee floppte, doch die Technologie lässt ihn nicht mehr los.

 

»Der Markt war noch nicht soweit«, fasst Loay sein Scheitern zusammen. Aber ließe sich das nicht ändern, hätte er nur ein Beispiel, um das ganze Potential von 3D-Druckern zu zeigen? Über einen gemeinsamen Freund lernt er den Amerikaner Dave Levin kennen, der daran arbeitet, Prothesen zu drucken. Loay denkt an die Kriegsinvaliden auf den Straßen Ammans und kurze Zeit später gründen die beiden 3D-MENA, die Muttergesellschaft des gemeinnützigen Ablegers Refugee Open Ware. Geld kommt aus dem Bekanntenkreis und von privaten Finanziers, die gemeinnützigen Projekte werden später unter anderem von USAID und der EU gefördert.

 

Jetzt kann Loay endlich zeigen, was in der neuen Technologie steckt. Wenn er seinen Anspruch formuliert, wenn er über die Flüchtlinge und ihre Situation spricht, wenn er die Zahlen und Fakten herunterrattert, wandert sein Blick konzentriert gen Zimmerdecke und seine Zunge scheitert beim Versuch sich selber zu überholen. Halbsätze verschmelzen so zu langgezogenen Silben, Worte werden zu Kollateralschäden seines Enthusiasmus. Loay hat eine Geschichte zu erzählen.

 

Eine dieser Geschichten heißt Zain. Wo andere Siebenjährige eine linke Hand haben, sitzt bei ihm eine schwarz-giftgrüne Prothese. Sie wirkt noch etwas klobig und an der Oberseite jedes Fingers verlaufen nervengleich dünne Seile, die die Prothese per Kippbewegung zugreifen lassen. Zain stört der provisorische Look nicht. Er hält seine Hand stolz in die Höhe, ballt sie zur Faust, er lacht.

 

3D gedruckte Hand im Detail
3D gedruckte Hand im DetailFoto: Rajiv Raman

  

Über 220.000 Opfer hat der Krieg in Syrien seit 2011 gefordert. Die Verstümmelten hat noch niemand gezählt.

 

»Auf den Handrücken haben wir das Logo seines Lieblings-Superhelden gedruckt«, erklärt Loay: »Individuell gestaltete Prothesen steigern die Akzeptanz des Trägers enorm und die ist entscheidend.« Und obwohl Zains Hand noch mit einem kleinen, piepsenden LCD-Bildschirm aufgemotzt ist, hat sie nicht mehr als 75 Euro gekostet. Selbst rein kosmetische Prothesen aus traditioneller Herstellung kosten schnell einen vierstelligen Betrag. Ungeachtet solcher Kosten ist der Bedarf an Prothesen unbestritten hoch. Inoffizielle Schätzungen gehen davon aus, dass bereits mehr als 1,5 Millionen Syrer in Jordanien leben. Viele von ihnen hat der Krieg nicht nur vertrieben, sondern für immer gezeichnet. An Ampeln humpeln sie einbeinig bettelnd von Auto zu Auto, in Rollstühlen sitzend verzweifeln sie an monströsen Bürgersteigen und bettelnde Kinder mit Armstümpfen sind im Straßenbild keine Seltenheit. Über 220.000 Opfer hat der Krieg in Syrien seit 2011 gefordert. Die Verstümmelten hat noch niemand gezählt.

 

Das fürchtet auch Marc Schakal. »Im Moment ist es sehr schwierig, verlässliche Zahlen aus Syrien zu bekommen. Aber ich mache mir große Sorgen, was uns erwartet, sobald wir wieder ins Land gelangen.« Der Franzose koordiniert die Aktivitäten von »Ärzte ohne Grenzen« in Jordanien. Rund ein Dutzend Chirurgen beschäftigt die NGO derzeit in einem der größten Krankenhäuser für Kriegsversehrte. Und die operieren wie am Fließband. Bis heute wurden dort mehrere tausend syrische Patienten behandelt. Was Fass- und Autobomben dem menschlichen Körper antun, sehen die Ärzte dort täglich.

 

Auch das Team von Schakal hat deshalb mit Prothesen aus 3D-Druckern experimentiert. »Das ist für mich eine enorm wichtige medizinische Zukunftstechnologie«, fasst er die Ergebnisse der Feldversuche zusammen. Die Ärzte sind vor allem von der Präzision überzeugt, mit der sich solche Prothesen an den Körper des Patienten anpassen lassen – Lasertechnik ermöglicht perfekte Messungen. Jedes Stück wird so zum Unikat. Für Loay und Dave ist ROW mittlerweile ein Vollzeitjob und Prothesen aus dem 3D-Drucker nur der Anfang. Gerade haben sie sich an einem anderen Startup beteiligt, das mit ihrer Entwicklung Blinden zu einem besseren Leben verhelfen soll. Ein Bausatz für umgerechnet weniger als 40 Euro kombiniert dazu einen Entfernungsmesser mit einem Vibrationsalarm.

 

Um die Hand geschnallt kann der Blinde so seine Umgebung erspüren. Der erste Proband hatte nach dem Test Tränen der Dankbarkeit in den Augen. Die Erfahrungen, die Loay und Dave mit ROW sammeln, werden später in die Entwicklung eigener Hardware fließen. Mit dem Verkauf von Lizenzen und Auftragsarbeiten soll die Muttergesellschaft 3D MENA so bereits in diesem Jahr Geld verdienen.

 

Flüchtlinge können Prothesen künftig selbst herstellen

 

Wenn es nach den beiden geht, sollen aber zunächst Flüchtlinge und andere sozial schwache Gruppen profitieren und solche Lösungen künftig in mehreren jordanischen »Fabrik-Laboren« selbst entwickeln können. Holz- und Metallfräsen, Laser-Cutter, 3D-Drucker, Pressen und computergesteuerte Präzisionswerkzeuge sind die Zutaten für ein solches »FabLab«. Gleich offenen Werkstätten soll dort jeder das herstellen können, was er eben gerade braucht.

 

»Asem hat bewiesen, wie großartig das funktionieren kann.« Loay zeigt das Foto eines stolz in die Kamera blickenden Mannes. »Er war Sanitäter im Krieg, bis sein Krankenwagen von einer Bombe getroffen wurde und Asem sein Bein verloren hat.« Die beiden ROW-Gründer treffen den Syrer nach seiner Flucht in Amman und stecken ihn mit ihrer Begeisterung für 3D-Drucker an. »In nur drei Wochen hatte er das Gerät gehackt«, schwärmt Loay. Als Flüchtling Asem später ein Ersatzteil für sein künstliches Bein benötigt, entwirft er es in weniger als einer Stunde am Computer und druckt es einfach aus. Nun bringt er anderen Flüchtlingen bei, wie sie die Technik für sich nutzen können.

 

Geschichten wie die von Asem haben mittlerweile auch König Abdullah II. von Jordanien auf das Startup aufmerksam werden lassen. Fotos zeigen den Herrscher und seine Frau Rania, wie sie einem von Loays rasanten Vorträgen lauschen. Den erkennt man in voller Business-Kluft und sauber rasiert kaum wieder, wie er da eindringlich auf die dann auch angemessen beeindruckt wirkende Majestät einredet.

 

Das Foto wurde im »King Hussein Business Park« aufgenommen. Das mehrere Hektar große Gelände war früher eine Kaserne und beherbergt heute nicht nur Startups wie ROW sondern ist auch die Regionalsitze von Firmen wie Microsoft und Oracle. Amman ist hier hipper als anderswo. Wenn die Lautsprecher der zum Gelände gehörenden Moschee zum Gebet rufen, blickt von den jungen Menschen im Café des Co-Working-Space kaum jemand auf.

 

 

ROW-Gründer Loay und sein Mitarbeiter Hashem im Gespräch
ROW-Gründer Loay und sein Mitarbeiter Hashem im GesprächFoto: Rajiv Raman

 

Hier haben Loay und Dave das erste FabLab Jordaniens errichtet. Gerade haben sie gemeinsam mit anderen Unternehmen den Zuschlag für EU-Fördergelder in Millionenhöhe erhalten. Mit dem Geld wollen sie ein FabLab im nordjordanischen Irbid aufziehen. Der größte Traum der beiden ist jedoch, eine solche Werkstatt in Zaatari zu errichten. Das Flüchtlingslager an der syrischen Grenze ist mit seinen rund 85.000 Einwohnern de facto die viertgrößte Stadt des Landes. Auch wenn die jordanischen Behörden sich hüten, das als Provisorium gedachte Camp so zu nennen.

 

Es wäre das erste von weltweit mehr als 500 FabLabs, das in einem Flüchtlingslager steht. Hier, wo manche Ersatzteile trotz florierenden Handels naturgemäß nur schwer zu bekommen sind, könnte eine solche Werkstatt das Leben hunderter Menschen erleichtern und insbesondere den tausenden unterbeschäftigten Jugendlichen im Camp eine Perspektive eröffnen. Dementsprechend viel haben die beiden jungen Unternehmer in das Projekt investiert. Unter anderem haben sie eine Umfrage unter Flüchtlingen und Helfern durchführen lassen. Ergebnis: Die Bewohner Zaataris wünschen sich ein FabLab und die dort arbeitenden Organisationen halten es für sinnvoll. Doch trotz ihrer Kontakte ins jordanische Königshaus hoffen Loay und Dave bis heute vergebens auf eine Genehmigung.

 

Derzeit sind sie auf der Suche nach Alternativen, sollten sich die jordanischen Behörden auch weiterhin querstellen. Dave hat andere Länder besucht, die ebenso unter der Syrien-Krise leiden. Erste Gespräche hat es bereits mit der türkischen Regierung gegeben, denn auch hier haben Millionen Menschen in Lagern Schutz gefunden und auch hier sehnen sie sich danach, ihr Leben zumindest teilweise wieder selbst gestalten zu können. Ein weiterer Markt für 3D MENA? »Am Ende ist es uns egal, wo wir Geschichte schreiben«, sagt Loay schulterzuckend. So pragmatisch kann Idealismus klingen.

Von: 
Florian Guckelsberger
Fotografien von: 
Rajiv Raman

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