Lesezeit: 6 Minuten
Türkische Journalisten in Deutschland

Eiertanz im Exil

Feature
von Lisa Neal
Can Dündar beim Gespräch mit zenith in Berlin.
Can Dündar beim Gespräch mit zenith in Berlin. Stian Overdahl

In der Türkei säßen sie im Gefängnis, im Berliner Exil wehren sich die türkischen Journalisten aber gegen Erdoğan. Doch warum bündeln sie ihre Kräfte nicht?

Wäre es nach seinen Eltern gegangen, dann wäre Ali jetzt Banker und würde ein bodenständiges Leben in Istanbul führen. »Die Gezi-Proteste«, erklärt Ali, „»haben mein Leben verändert. Da habe ich verstanden, dass ich für unsere Freiheit kämpfen muss.« Er wird Journalist und arbeitet für die regierungskritische Zeitung Cumhuriyet.

 

Seit unter der Leitung von Can Dündar in der Zeitung schwere Vorwürfe gegen die türkische Regierung erhoben wurden, bekommt die Redaktion den Zorn der beleidigten Staatsmacht zu spüren. »Sogar unseren Teejungen haben sie verhaftet, weil er sagte, wenn Erdoğan vorbeikäme, würde er ihn nicht bedienen«, berichtet Dündar. Bewaffnete Türsteher gehören mittlerweile zum Alltag und Konferenzen werden in sicherer Entfernung vom Fenster abgehalten. Aus Angst davor, dass Steine oder Kugeln die Scheiben zerschmettern.

 

taz.gazete und Özgürüz erscheinen beide im Januar, um genau sechs Tage versetzt

 

Im Oktober 2016 zieht Ali nach Berlin und schreibt seitdem für die deutsche Tageszeitung taz. Er gründet gemeinsam mit vier anderen Journalisten taz.gazete. Von Deutschland aus haben sie so ein freies Medium für türkische Journalisten geschaffen. Hier sollen diese all das schreiben dürfen, wofür sie in der Türkei ins Gefängnis kommen würden. Er weiß: »Wenn taz.gazete erfolgreich wird, zahlen wir einen hohen Preis. Zurück in die Türkei kann ich dann erst mal nicht.«

 

Während sie taz.gazete aufbauen, schläft Ali kaum noch. Denn das Heimatland und der Kampf um Meinungsfreiheit gehen vor. Er glaubt fest: »Erdoğan wird sich nicht ewig an der Macht halten.« Kettenrauchend, mit dunklen Augenringen, sitzt er am Abend vor dem Startschuss von taz.gazete noch in der Redaktion und versucht, letzte Anpassungen durchzusetzen. Auch die Programmierer sind übermüdet, mittlerweile haben sie Alis Emails satt. Der muss sich jetzt gedulden, sagen sie. Sagt er auch, wiederstrebend.  

 

Can Dündar lebt auch seit Oktober 2016 im Exil in Berlin. Er ist nicht mehr Chefredakteur bei Cumhuriyet, sondern landete vor Gericht und im Gefängnis. Spätestens seit diesen Ereignissen ist sein Schicksal bekannt. In deutschen Medien wird er zu einem Synonym für Exiljournalismus und Widerstand gegen den Erdoğan-Staat. »Aber eigentlich«, sagt Dündar, »will ich kein Symbol sein, sondern ein guter Journalist. Jetzt bin ich vor allem ein Aktivist«

 

Ich habe es nicht anders erwartet. Wir wissen aber, wie wir die Zensur umgehen können. 

Er gründet gemeinsam mit dem Recherchezentrum CORRECT!V und Hayko Bağdat die Plattform Özgürüz. Hier wollen er und andere Journalisten über Erdoğans Politik aufklären und verlässliche Nachrichten bieten. Die Seite wird direkt nach ihrem Erscheinen in der Türkei gesperrt, kurz darauf auch in Iran. »Ich habe es nicht anders erwartet«, kommentiert Dündar die Blockade. »Wir wissen aber, wie wir die Zensur umgehen können.« Er gibt nicht auf. »Das ist doch auch nur ein weiteres Zeichen des Kampfes, in dem wir uns befinden. Und wir werden gewinnen.«

 

taz.gazete und Özgürüz erscheinen beide im Januar, um genau sechs Tage versetzt. Es sind zwei Angebote der gleichen Parallelwelt, in welcher türkische Journalisten ihre Kritik frei veröffentlichen dürfen. Das erste große Ziel ist es, über das anstehende Referendum zu informieren und vor Erdoğans Plänen zu warnen. Beide wollen die türkische Diaspora ansprechen und gleichzeitig die Menschen in der Türkei erreichen. Das Problem ist nur, dass die Redaktionen nicht zusammenarbeiten.

 

Warum es mit der Zusammenarbeit nicht klappt

 

»Warum? Ich kann es nicht mehr hören«, Ali schiebt die letzten Reiskörner auf seinem Teller zusammen, nur um sie dann wieder auseinander zu sortieren. Sie kennen sich. Dündar war Alis Vorgesetzter und gemeinsam haben sie an den »Panama Papers« gearbeitet. »Er lebt für seinen Beruf«, sagt Ali über Dündar. Dann schweigt er. Beide äußern sich vor der Veröffentlichung ihrer Projekte nur verhalten zum jeweils anderen. »Dass so viele Plattformen entstehen, zeigt, dass der Bedarf für freie türkische Nachrichten und Medien da ist«, kommentiert Dündar elegant die Nachfrage nach taz.gazete.

 

Es gibt Unterschiede zwischen taz.gazete.und Özgürüz: Bei taz.gazete erscheinen täglich Artikel. Die Geschichten der verschiedenen Autoren bilden ein kleines Mosaik der Diaspora und verzweifelten Stimmen aus dem Land. Özgürüz gerät gleich beim Erscheinen in die Schlagzeilen und bekommt hohe Klickzahlen. Das liegt vor allem an Can Dündar, seiner Präsenz in den Medien und der Rolle, die ihm zugeschrieben wird. Die meisten Text- und WebTV-Beiträge stammen von ihm oder Bağdat.

 

Es sind zwei Projekte, die unterschiedlich ablaufen und in andere Verlage eingebunden sind.

Ali hat seinen Reis fertig malträtiert. Er erzählt: Wochen bevor Özgürüz startete, fragte Dündar ihn, ob er nicht mitarbeiten wolle. Ali zögerte. Und damit war das Angebot passé. Er zögerte, weil er der taz gegenüber loyal ist. Außerdem gilt: Wer mit Dündar zusammenarbeitet, ist schnell gebrandmarkt. »Aber für manche bin ich das eh schon«, berichtet Ali. Ein »Vaterlandsverräter« sei er und ob er sich nicht schämen würde. So beschimpft ihn ein Sicherheitsbeamter im Deutschen Bundestag, als er erfuhr, wo Ali gearbeitet hatte.

 

Erst nach einer weiteren Zigarette spricht Ali wieder. »Es sind zwei Projekte, die unterschiedlich ablaufen und in andere Verlage eingebunden sind«, Ali bleibt sachlich. »Aber natürlich haben wir ähnliche Ziele. Die große Frage ist, wie wir sinnvoll zusammenarbeiten können.« Das war der Stand, als es in Berlin ohne Wollschal und Mütze noch zu kalt war.

 

Exilmedien ohne Wirkung?

 

Mittlerweile ist es Frühling, eine Zeit in der die Gesichter freundlicher und die Farben der Mäntel bunter werden. Es ist auch die Zeit, in der das Referendum näher rückt. Die Sorge um dessen Ausgang wächst. Deswegen haben sich auch die Redaktionen der beiden Medien angenähert. Doch noch immer sind es zwei voneinander unabhängige Formate.

 

Das Problem sei ein anderes, erzählt ein türkischer Journalist der anonym bleiben will. »In der Türkei werden Özgürüz und taz.gazete zu wenig gelesen und in Deutschland sind die Geschichten nicht neu.« Den guten Willen zweifelt er nicht an, deswegen unterstützt er Dündar auch. Doch wie viel Sinn die Exilmedien tatsächlich ergeben, bleibt für ihn offen.

 

In der Türkei werden Özgürüz und taz.gazete zu wenig gelesen und in Deutschland sind die Geschichten nicht neu.

»Die türkische Diaspora in Deutschland ist polarisiert, noch viel mehr als die Gesellschaft in der Türkei«, analysiert Dündar die gegenwärtige Stimmung. Viele Autoren und Redaktionen solidarisieren sich taz.gazete und Özgürüz. Ob diese Medien ihre Wirkung vergrößern und zu einer wichtigen Stimme in der Diaspora werden könnten, lässt sich nur dann feststellen, wenn sie es ausprobieren.

 

Exiljournalisten brauchen Aufmerksamkeit für ihr Schicksal, um Veränderungen einfordern zu können. Sie sind aber nicht nur ihre Biografie, sondern auch fähige Reporter und Redakteure mit Sachverstand. Um ihren Beruf ausüben zu können, hilft das passende Sprachrohr.

 

Wenn die Würfel fallen

 

Fliegt man den Sabiha-Gökçen Flughafen in Istanbul an, so sieht man ein riesiges Plakat von einem Haus hängen. Auch aus der Luft lässt sich das fett gedruckte rote Wort »Evet – Ja« erkennen. Am 16. April stimmt das türkische Volk ab. Dündar hat volles Vertrauen in seine Landsleute. »Wir brauchen keinen Sultan«, sagt er.

 

Dündar hofft auf ein »Hayır – Nein«. Er will zurück nach Istanbul und das geht nur, wenn Erdoğans Thron bröckelt. Denn den wirklich hohen Preis für seine Arbeit als Journalist gegen den Mächtigen zahlt er erst jetzt: Er kann nicht in die Türkei ein- und seine Familie darf nicht ausreisen.

 

Auch Ali hofft auf ein »Nein«. Er setzt auf taz.gazete als Beitrag für den ersehnten Ausgang des Referendums. Berlin ist ihm zwar eigentlich zu kalt, aber er bleibt trotzdem. Banker wird er wohl nie werden.

Von: 
Lisa Neal

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