Lesezeit: 7 Minuten
Widerstand in Syrien

Getrennt in den Kampf

Analyse
von Huda Zein

Trotz des vielfältigen Engagements auf lokaler Ebene leidet der Widerstand in Syrien unter den Grabenkämpfen der verschiedenen Oppositionsfraktionen. Profitiert das Regime vom Fehlen einer gemeinsamen Vision für das Syriens nach den Assads?

Syrien stellt die ganze Welt vor eine Prüfung: Die Staaten, die Bevölkerungen, die arabischen Länder und selbst die syrische Opposition. Während Syrien eine lange schmerzhafte Geburt erlebt und in Blut und Schmerz versinkt, zeigt die syrische Opposition Züge von Hilflosigkeit, da sie bisher noch nicht einmal einen gemeinsamen Grundrahmen oder gemeinsamen Diskurs erstellen konnte, aus denen sie den politischen Kampf der syrischen Revolution gegen das blutiges Assad-Regime koordinieren und organisieren könnte.

 

Politische Aktivisten in Syrien trugen vergangene Woche Transparente mit der Aufschrift »Nieder mit dem Regime und der Opposition! Nieder mit den arabischen und islamischen Ländern! Nieder mit den Sicherheitsrat, mit der ganzen Welt und mit allem!« Die Unzulänglichkeit der heterogenen syrischen Opposition, einen geeinten Block zu bilden, kommt dem Regime von Baschar al-Assad entgegen.

 

Die Revolution in Syrien begann im März 2011 zunächst etwas zögernd, wurde dann aber zu einem Volksaufstand, der von keiner organisierten Oppositionsgruppe getragen wurde. Mittlerweile haben sich verschiedene Gruppen gebildet: Parteien und Unabhängige mit jeweils unterschiedlichen ethnischen und ideologischen Hintergründen, von denen drei Blöcke am meisten Einfluss haben.

 

Das Abkommen von Kairo ist schon wieder hinfällig

 

Am stärksten in internationalen Medien präsent ist der »Syrische Nationalrat« (SNC), ein Oppositionsbündnis, das am 23. August 2011 in Istanbul gegründet wurde, wo auch der offizielle Sitz des Rates ist. Ihr Leiter Burhan Ghalioun ist Professor für politische Soziologie an der Neuen Sorbonne-Universität in Paris und Direktor des »Zentrums für Zeitgenössische Orientstudien«. Die meisten Mitglieder des SNC sind Exilsyrer. Darunter sind politisch Unabhängige, Mitglieder der Assyrischen Demokratischen Organisation, kurdische Dissidenten und Syrer, die die »Erklärung von Damaskus« 2005 unterzeichnet haben, die den demokratischen Wandel in Syrien beinhaltet. Die Mehrheit der Mitglieder aber sind Anhänger der in Syrien bislang verbotenen Partei der Muslimbruderschaft. Vor allem von Saudi-Arabien und Katar wird der Syrische Nationalrat sowohl finanziell als auch mit Waffen unterstützt.

 

Der zweite Oppositionsblock, das am 17. Dezember 2011 in Damaskus gegründete »Nationale Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel« (NCC), hat seinen Hauptsitz in Syrien, den Hassan Abdel Azim, der Führer der Arabischen Sozialistischen Partei in Syrien, leitet. Es hat aber auch ein Auslandsbüro in Frankreich, dem Haitham Manna, der Sprecher der Arabischen Menschenrechtskommission, vorsteht. Es sind 13, vorwiegend linksorientierte, politische Parteien, die das Koordinationskomitee bilden. Wie im Nationalrat gehören zu den Mitgliedern aber auch unabhängige politische Aktivisten, mehrere kurdische Parteien sowie Jugendaktivisten, die sowohl in Syrien als auch in Exil arbeiten. Im Unterschied zum Nationalrat tritt das Koordinationskomitee für eine strikte Trennung zwischen Staat und Religion ein und lehnt vehement jegliche ausländische militärische Intervention in Syrien ab.

 

Dies sind auch die Hauptgründe dafür, warum das Abkommen scheiterte, das die Anführer der beiden Oppositionsblöcke, Burhan Ghalioun (SNC) und Haytham al-Manna (NCC) in Kairo am 30. Dezember 2012 unterzeichneten. Das Abkommen, das der Arabischen Liga präsentiert werden sollte, sah für die Übergangszeit nach dem Sturz des Regimes die »Gründung eines bürgerlich-demokratischen Staates« vor und lehnte ausländische militärische Interventionen ab. Kaum unterzeichnet und öffentlich verkündet, kam es zum Streit, denn inzwischen befürwortet der SNC eine internationale Intervention und wirft dem NCC sogar vor, zum Dialog mit dem Regime bereit zu sein. Das NCC weist diese Vorwürfe strikt von sich und erklärt, Verhandlungen lediglich über einen Übergang Syriens in eine Demokratie führen zu wollen. Außerdem kritisiert es den SNC, weil dieser nicht deutlich für eine strikt säkulare Politik nach dem Sturz des Regimes eintrete.

 

Über 300 Lokalkomitees organisieren den Widerstand vor Ort

 

Kern des revolutionären Widerstands aber bilden neben diesen beiden Blöcken lokale Koordinationskomitees, die in fast allen syrischen Städten gegründet wurden. Mittlerweile sind es etwa solcher 300 Komitees, in denen sich Syrer unterschiedlicher sozialer, ethnischer und religiöser Zugehörigkeit und ideologischer Ausrichtung engagieren. Auch Frauen sind darin aktiv vertreten. Die lokalen Koordinationskomitees organisieren die vielen Details der Demonstrationen und die Streiks.

 

Zum Beispiel koordinieren sie, wer die Demonstrationen wann per Handy filmt, um dann die Videos und Berichte über die Lage in Syrien auf ihren eigenen Internetseiten oder anderen Seiten öffentlich zugänglich zu machen. Dafür werden eigens SIM-Karten angeschafft, die anschließend vernichtet werden. Um ihre Lage auch im Ausland zu zeigen, haben diese Komitees auch englischsprachige Webseiten, zum Beispiel die »Local Coordination Commitees of Syria« (LCC) und die »Syrian Revolution General Commission« (SRGC). Es wird auch versucht, die Anzahl der Getöteten, Gefangenen und Verletzten festzustellen und Verletzungen der Menschenrechte zu dokumentieren.

 

Die Arbeitsteilung unter den Aktivisten umfasst zahlreiche Bereiche: vom provisorischen Aufbau heimlicher Krankenstationen in Häusern oder Kellern über die Versorgung der Verletzten bis zum Schreiben revolutionärer Liedertexte für die Demonstrationen und Anfertigen von Transparenten. Alle Aktivisten in den Komitees sind gezielt vom Regime verfolgt, viele von ihnen wurden ermordet und Inhaftierte werden meist brutal gefoltert. Einige von ihnen starben auch im Gefängnis. Daher leben viele von ihnen seit Monaten im Untergrund und haben alles aufgegeben: Studium oder Arbeit, Partner und Kinder, also ihr gesamtes soziale Leben in seiner Normalität.

 

Während die lokalen Koordinationskomitees zunächst für den gewaltfreien Kampf gegen das Regime plädierten, sind heute auch Aufrufe zu jeder Form von Unterstützung zu hören, die die Tötungsmaschinerie sofort stoppt. Oft wurden Mitglieder dieser Komitees von Sicherheitskräften erschossen, wenn sie Olivenzweige, Blumen oder Luftballons in die Demonstrationen brachten. Eine der bedeutenden Widerstandsformen der lokalen Koordinationskomitees, die alle Oppositionsströmungen unterstützten, war der Aufruf zu einem unbefristeten »Streik der Würde«, den sie als erste Stufe auf dem Weg zum zivilen Ungehorsam forderten. Trotz der Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Städten und häufiger Netz- sowie Stromausfälle wurden die Streikphasen landesweit überwiegend eingehalten.

 

Unbekannter Faktor FSA

 

Neben diesen lokalen Komitees gründete am 18. August 2011 eine Oppositionsgruppe ein weiteres Bündnis: die »Allgemeine Kommission der syrischen Revolution«. Auch die »Freie Syrische Armee« spielt eine zunehmend wichtige Rolle in der Oppositionslandschaft: Sie hat sich zum Ziel gesetzt, den Schutz von Zivilisten zu gewährleisten, gelegentlich greift sie aber auch selbst Regimeziele an. Noch besteht diese »Freie Syrische Armee« vorwiegend aus übergelaufenen Soldaten aus der Armee. Doch hat sich eine unbekannte Zahl von Zivilisten daran angeschlossen.

 

Niemand weiß so recht, wie viele dazugehören. Zahlenangaben schwanken zwischen 10.000 und 25.000 Überläufern. Einzelne Kampfeinheiten unterstehen offiziell einer zentralen Befehlsgewalt mit Sitz in Istanbul. Das ist schwierig für die Organisation und manche bewaffnete Gruppen agieren auch autonom. Immer mehr Deserteure schaffen es, einzelne Stadtteile oder Dörfer vorübergehend unter ihre Kontrolle zu bringen, doch die Armee des Regimes reagiert mit Massakern und Blutbädern gegen Zivilisten.

 

Angesicht der momentanen Uneinigkeit der Opposition über eine gemeinsame Strategie und eine konsolidierte Vision, um politische Alternativen zu etablieren, und einen gemeinsamen Standpunkt zum Sturz des Regimes sowie einen gesellschaftlichen Vertrag für eine zukünftige pluralistische Gesellschaftsordnung in Syrien zu finden, setzt Assad offenbar auf die Spaltung der Opposition und auf die symbolische Zustimmung seiner Politik von der ganzen Welt. Das Scheitern der syrischen Opposition, eine gemeinsame Vision für den Aufbau eines zukünftigen Syrien zu entwickeln, was ihre Stellung im Inland wie im Ausland stärken würde, trägt zur Eskalation der Gewalt des Regimes gegen die Demonstranten und Zivilisten bei.

 

Zwar gibt es Demonstrationen und Streiks in vielen Städten Syriens, aber ein großer Teil der Bewohner der beiden größten Städte Damaskus und Aleppo hat sich bisher weitgehend aus den Aufständen herausgehalten. Auch große Teile der religiösen Minderheiten, vor allem Christen und Alawiten, zu denen auch Assad gehört, waren bislang nicht aktiv. Sie haben Angst vor Chaos und Bürgerkrieg nach dem Sturz des Regimes. Solange die Opposition unstrukturiert, gespalten und zum Teil von ausländischen Agenden abhängig ist, wird sie nicht wirksam agieren können.

Von: 
Huda Zein

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