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USA und Iran in der Irak-Krise

Wir müssen reden!

Analyse

Werden die USA und Iran in der Irak-Krise kooperieren? Fakt ist, dass Teheran und Washington bei vielem über Kreuz liegen. Umso wichtiger, dass nicht alle Problemfelder zugleich auf dem Verhandlungstisch liegen.

Es sind schizophrene Botschaften, die in diesen Tagen zwischen der iranischen Hauptstadt Teheran und ihrem US-amerikanischen Pendant Washington ausgetauscht werden. Seit der überraschenden Wahl Hassan Ruhanis zum iranischen Präsidenten vor fast einem Jahr besteht die Hoffnung, das Verhältnis der beiden politischen Schwergewichte könnte sich nach einem Jahrzehnt des dauerhaften Ausnahmezustandes wieder etwas normalisieren.

 

Die Anzeichen dafür mehrten sich in den vergangenen Monaten hinter den Kulissen: Ein erstes Telefongespräch beider Regierungschefs im September 2013 fand in den Medien beider Staaten große Beachtung, seit Beginn des sunnitischen Volksaufstandes im Irak vor wenigen Tagen, ist das Verhältnis zwischen Iran und USA plötzlich auf der Agenda der Diplomaten sehr weit nach vorne gerückt. Zwar wurde das Gedankenspiel des US-Außenministers John Kerry, mit dem Iran auch militärisch gegen ISIS kooperieren zu wollen, schnell ad acta gelegt, klar ist jedoch, dass die sicherheitspolitischen Falken in beiden Ländern nicht mehr den Ton angeben.

 

Dass Präsident Ruhani ähnliche Botschaften an den Westen senden darf, ist dabei vorsichtig mit dem Revolutionsführer abgesprochen – das Verhältnis zwischen den beiden unterscheidet sich vollkommen von dem unter Mahmud Ahmadinejad, das in seinen letzten Amtsjahren vor allem von Personalquerelen, wie die Besetzung wichtiger Posten in den Geheimdiensten, und eine eher nationalistische denn islamistische Politik des früheren Teheraner Bürgermeisters geprägt war. Auch Ayatollah Ali Khamenei war klar, dass nach acht Jahren Ahmadinejad, nach der Niederschlagung der Grünen Bewegung 2009 und den anhaltenden Wirtschaftssanktionen die Daumenschrauben sowohl für das eigene Volk wie auch die internationalen Beziehungen gelockert werden mussten.

 

Nur so glaubt Khamenei, das Bestehen der Islamischen Republik am besten garantieren zu können. »Die Wahl von George W. Bush wie auch Mahmud Ahmadinejads war ein historischer Tiefpunkt für unser Land. Nur das Zusammentreffen dieser beiden Politiker hat die Eskalation der letzten Jahre überhaupt zugelassen«, betont ein Dozent der Politikwissenschaften der Universität Teheran im Gespräch. Sowohl die USA, wie auch der Iran verfolgten in den vergangenen Jahren eine fundamentalistische Außenpolitik.

 

Nach der Invasion des Irak schien es nur eine Frage der Zeit, bis auch der Iran Ziel einer US-Invasion würde, eine Demokratisierung des Nahen und Mittleren Ostens von Außen war die zentrale Doktrin der Bush-Jahre. Der damalige US-Präsidentschaftskandidat John McCain dichtete bei einer öffentlichen Veranstaltung gar einen Beach Boys-Klassiker zu »Bomb Bomb Iran« um. Der Iran setzte dem einen, wohlgemerkt nur aus ihrer eigenen Sicht defensiven, Proxi-Krieg entgegen, Hamas wie Hizbullah wurden massiv aufgerüstet, man versuchte sich der internationalen Kontrolle seiner Atomanlagen immer wieder zu entziehen.

 

Obgleich die neue iranische Außenpolitik bislang über Worte kaum hinausreicht, ist es doch eine neue Arbeitsgrundlage. Man schätzt sich nicht, einer Kooperation vor allem auf wirtschaftlicher Ebene steht aber immer weniger im Wege. In Teheran halten sich die Gerüchte, dass bei weiterhin erfolgreichen Verhandlungen sogar die seit der Geiselnahme im November 1979 geschlossene US-Botschaft in Teheran wieder öffnen könnte. Erst vergangene Woche haben sich die Briten zu solch einem Schritt entschlossen.

 

Bis dahin sollte die iranische Seite jedoch dringend die Maler ins Haus holen: Noch immer sind die Wände des kleinen Museums, das im Obergeschoss der früheren Botschaft eingerichtet wurde, über und über mit anti-amerikanischen und anti-israelischen Graffiti verziert, bis heute kann man dort die wohl einzige vollständig erhaltene CIA-Abhörzentrale in einem fremden Land besichtigen. Wann immer man heute mit Vertretern der iranischen Regierung spricht, kritisieren sie noch immer mit aller Deutlichkeit die Politik der Vereinigten Staaten – jedoch fällt der Name Barack Obama dabei kaum.

 

Es sind die USA der 1950er bis 2000er Jahre, deren Verbrechen in großer Detailgenauigkeit ausgemalt werden. Über die aktuelle Politik verlieren weder Parlamentsabgeordnete noch die Freitagsprediger (im Iran ein wichtiges Sprachrohr der religiösen Führung) gegenüber Ausländern viele Worte. »Wir beabsichtigen, mit der Ausnahme Israels, mit jedem Land der Welt gleiche und gute Beziehungen zu unterhalten«, betont ein hochrangiger Regierungsvertreter. »Im Unterschied zu Europa sind bei uns Religion und Politik nicht getrennt. Wir respektieren andere Modelle, verlangen aber auch, dass man unseren Ansatz respektiert.«

 

In der westlichen Diplomatie existieren gegenwärtig mehrere Versionen des Landes. Jener Iran, der den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad seit mehreren Jahren mit Waffen und Milizionären an der Macht hält. Jener Iran, der in der Atomfrage plötzlich Bewegung zeigt. Jener Iran, den man als regionale Ordnungsmacht nutzen könnte und der verglichen mit Irak und Syrien eine große Stabilität ausstrahlt. Und schließlich jener Iran, der Aktivisten hinrichtet, den »Tod Israels« fordert und mit Milliardenzahlungen an verschiedenste Organisationen die Region destabilisiert.

 

Eine ähnliche Aufzählung könnten vermutlich auch iranische Politiker über die USA zusammenstellen. Doch so lange diese unterschiedlichen Diskussionsebenen bei den Verhandlungen nicht vermischt werden, steht selbst der syrische Bürgerkrieg einer Lockerung der Sanktionen nicht im Wege. Nicht nur für die iranische Bevölkerung bergen diese Entwicklungen eine große Chance – gegenwärtig leidet der Iran unter der größten Abwanderung von Akademikern weltweit; jedes Jahr verlassen mehr als 100.000 Menschen mit Hochschulabschluss das Land.

 

Auch für die Lage in Syrien könnte die Annäherung neue Türen öffnen. Gegenwärtig ist die iranische Führung die einzige Regierung weltweit, die Baschar al-Assad und sein Militär dazu bewegen kann, auf bestimmte Methoden der Aufstandsbekämpfung zu verzichten. Angesichts einer militärisch klar unterlegenen syrischen Opposition versuchen sich aktuell immer mehr Regierungen im Westen, mit der Assad-Diktatur irgendwie zu arrangieren. Nur durch ausreichend Druck aus dem Iran könnte die syrische Führung dazu gezwungen werden, ihre bisherige Brutalität gegenüber den aufständischen Gebieten zumindest teilweise zurückzunehmen.

Von: 
Nils Metzger

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