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Sudan, Südsudan und Öl

Klartext für Juba

Analyse

Neue Volte am Weißen Nil: Nach einem verlorenen ersten Jahr hat sich die südsudanesische Regierung mit dem nördlichen Nachbarn auf eine Teilung der Erdöleinnahmen geeinigt. Bei aller Skepsis gibt dies Anlass für vorsichtigen Optimismus.

Einmal mehr haben die sudanesischen und südsudanesischen Politiker ihren besonderen Sinn für Dramatik unter Beweis gestellt. Allzu oft in den vergangenen Jahren schien die Lage hoffnungslos verfahren, bis es in letzter Minute doch noch einen Durchbruch gab. So auch jetzt in dem Streit, der erst zur Einstellung der Ölproduktion geführt hatte und dann im Frühjahr zu teils heftigen Kämpfen zwischen ihren Armeen eskaliert war.

 

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatte beiden Staaten ein Ultimatum zum 2. August dieses Jahres für eine Lösung ihrer Konflikte gesetzt. Andernfalls drohten Sanktionen. Am Abend des 3. Augusts berichteten die Agenturen über das Scheitern der Verhandlungen – um am frühen Morgen des 4. Augusts den Erfolg in der Ölfrage zu vermelden. Was war passiert?

 

Intervention der Freunde

 

Öffentlich hatte die südsudanesische Führung lange Zeit den Eindruck vermittelt, für die Benutzung der sudanesischen Exportinfrastruktur weit weniger als einen Dollar pro Barrel bezahlen zu wollen. Dazu verwies sie auf ein entsprechendes Abkommen zwischen Tschad und Kamerun, wo die Marktlage allerdings grundlegend anders ist.

 

Die vom Norden akzeptierte Abspaltung des Südens hat demgegenüber nicht nur einen wirtschaftlichen Preis, sondern auch einen politischen. Die Regierung in Juba hatte zwar zuletzt ihr Angebot auf 7,2 US-Dollar pro Barrel für die eine Pipeline und 9,16 für die andere erhöht – aber offenbar nur vordergründig.

 

Denn aus gut informierten Kreisen ist zu hören, sie habe diese Offerte im Kleingedruckten mit derart vielen finanziellen Bedingungen verbunden, dass die Zahlungen effektiv gegen Null tendiert hätten. Diese Liste ist nunmehr vom Tisch. Die triumphale Darstellung von Chefunterhändler Pagan Amum, man habe »lediglich kleinere Zugeständnisse« gemacht, ist daher als PR-Stunt zu sehen.

 

Obwohl der Ausfall der Öleinnahmen mit der folgenden Finanzkrise beide Regierungen schon mürbe gemacht hatte, war für den Durchbruch »extremer Druck« der Hauptverbündeten USA, Großbritannien und Norwegen nötig, wie Hardliner Amum bitterlich beklagt. Den Ausschlag gab offensichtlich US-Außenministerin Hillary Clinton bei ihrem Besuch in Juba am 3. August.

 

Gemessen an der Deutlichkeit ihrer Aussagen gegenüber der Presse dürfte sie in ihren Gesprächen mit Präsident Salva Kiir drastisch Klartext gesprochen haben.

 

Eine zentrale Rolle spielte laut Insidern auch Burundis früherer Präsident Pierre Buyoya, da er es im Gegensatz zu dem als arrogant geltenden Ex-Präsident von Südafrika, Thabo Mbeki, immer wieder schaffte, die Parteien über das High Implementation Panel der Afrikanischen Union (AUHIP) in Addis Abeba zusammenzubringen. Darüber hinaus war es wohl kein Zufall, dass Sudans Präsident Omar Al Bashir just am 3. August aus Katar zurückgekehrt war. Das reiche Golfemirat hatte seinen strategischen Partner in Khartum unlängst mit Kapitalspritzen gestützt.

 

Hart aber fair

 

Die Einigung auf durchschnittlich knapp 10 US-Dollar pro durchgeleitetem Barrel sowie eine zusätzliche Zahlung von rund 3 Milliarden US-Dollar über dreieinhalb Jahre kann man durchaus als salomonisch bezeichnen. Nachdem die Regierung in Khartum ihre – ebenfalls völlig unrealistische - Forderung von ursprünglich 36 US-Dollar pro Barrel aufgegeben hatte, traf man sich wie im Basar mehr oder minder auf halbem Wege.

 

Trotzdem ist es für beide Regierungen nunmehr schwierig, um innenpolitische Unterstützung für den Deal zu werben, nachdem sie jeweils die öffentliche Stimmung aufgeheizt hatten. Noch stehen also hinter dem Ergebnis viele große Fragezeichen. Anschlussgespräche sollen erst nach Ende des Ramadans Ende August stattfinden.

 

Technischen Experten zufolge sind die südsudanesischen Ölanlagen durch den plötzlichen Förderstopp im Januar derart beschädigt, dass die Produktion frühestens im November wieder aufgenommen werden könnte. Zugleich ist durchaus fraglich, ob die mehrheitlich chinesisch-malaysischen Ölkonzerne angesichts ihrer turbulenten Erfahrungen allzu euphorisch an die Arbeit gehen werden.

 

Vor allem aber hängt das Abkommen davon ab, ob der Südsudan seine materielle Unterstützung für die Aufständischen der Sudan People’s Liberation Army – North (SPLA-N) in den Grenzregionen Südkordofan und Blue Nile sowie für die Darfur-Rebellen einstellt. Von Khartum aus gesehen ist dies der Knackpunkt für die Regelung aller anderen Fragen.

 

Die Regierung in Juba bestreitet indes Berichte, wonach Kiir US-Präsident Barrack Obama in diesem Punkt angelogen hatte und sich dafür bei ihm entschuldigen musste. Die Verärgerung in Washington ist aber in jedem Fall groß. Immerhin ein wenig voran gekommen ist just am Tag der Öleinigung auch der politische Prozess zu dem Krieg im neuen Süden des Sudans.

 

Bashirs Regierung vereinbarte mit der SPLA-N, endlich humanitäre Hilfslieferungen für die leidenden Zivilisten zuzulassen. Die Gespräche gerieten zwar umgehend wieder ins Stocken, doch die SPLA-N erscheint geschwächt, da ihr oberster Feldherr Abdelaziz Al Hillu angeblich schwerkrank in einem deutschen Krankenhaus liegt. Khartum kann sich den Krieg eigentlich nicht leisten und eine militärische Lösung ist ohnehin unmöglich.

 

Der Druck der Obama-Administration trifft die Regierung in Juba umso härter, da die USA unter Bill Clinton und George W. Bush entscheidend dazu beigetragen hatte, einen souveränen Südsudan aus der Taufe zu heben. Auch wenn Verschwörungstheorien im Sudan wie im sonstigen arabischen Raum besonders populär sind und oftmals bizarre Blüten treiben, so stimmen sie manchmal eben doch.

 

Kürzlich machte die renommierte US-Journalistin Rebecca Hamilton öffentlich, wie eine kleine Gruppe einflussreicher Lobbyisten ab Mitte der 1980er Jahre die Sezessionspolitik in Washington durchsetzte.

 

Jenseits von Gut und Böse

 

Ein Jahr nach der Unabhängigkeit macht die südsudanesische Führung die beschwerliche Erfahrung, dass mit der Eigenstaatlichkeit auch höhere Maßstäbe in den internationalen Beziehungen an sie angelegt werden. Auf dem diplomatischen Parkett gelingt es ihr nun nicht mehr so leicht, als Opfer von Unterdrückung die moralische Überlegenheit zu beanspruchen.

 

In der westlichen Öffentlichkeit herrscht zwar noch immer eine deutliche Tendenz zugunsten des Südsudans vor. Aber auch hier ist ein Stimmungsumschwung weg vom bisherigen Schwarz-Weiß-Denken erkennbar. Bezeichnend für diese Wende sind jüngste Äußerungen der Grünen-Politikerin Kerstin Müller, die lange zu den schärfsten Kritikern Khartums gehörte.

 

Bei einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung erklärte sie Verständnis für die sudanesische Enttäuschung darüber, dass die versprochene Belohnung für die Anerkennung der Abspaltung ausgeblieben ist. Kurz zuvor hatten Bundestagsabgeordnete aller Parteien in der Debatte über eine neue Länderstrategie beide Staaten gleichermaßen kritisiert.

 

Während die Protestbewegung im Sudan einstweilig an Schwung verloren hat, wächst in der südsudanesischen Bevölkerung die Unzufriedenheit mit der eigenen Regierung. Diese beschwört unterdessen mit einem höchst fragwürdigen Märtyrerkult die angebliche Notwendigkeit zu großen Opfern für den nationalen Stolz.

 

Letztlich ist dies ein menschenverachtender Sozialdarwinismus, bei dem von den »einfachen« Zivilisten nur die Stärksten überleben, während die »Eliten« im Luxus schwelgen. Ironie der Geschichte: Der Südsudan ist damit, wie in so vielem, ein Spiegelbild des Nordsudans. Experten wie Peter Schumann, ehemals Südsudan-Koordinator der UN-Mission UNMIS, hegen mit Hinweis auf die strukturellen Defizite der internationalen Vermittlungsbemühungen große Zweifel, ob die Einigung von Bestand sein wird.

 

Als größtes Hindernis gilt, dass eine Verhandlungslösung für die umstrittenen Gebiete, insbesondere Abyei, unmöglich erscheint. Dabei zeigen mehrere Beispiele, dass offene Grenzfragen entgegen der allgemeinen Annahme nicht notwendigerweise zu Krieg führen. So das Ilemi-Dreieck, das von Südsudan und Kenia beansprucht wird, wie das Halaib-Dreieck zwischen Sudan und Ägypten.

 

Oder das benachbarte Bir-Tawil-Viereck: es wird gar von keinem Staat beansprucht und ist damit offiziell Niemandsland. Für die betroffene Zivilbevölkerung ist die Demarkierung sowieso von eher theoretischer Natur und der traditionelle Handelsverkehr zwischen Nord und Süd überlebenswichtig.

 

Wie die Verständigung zwischen den verfeindeten Führungen funktionieren kann, illustrierte Edward Thomas, Länderexperte für die Denkfabrik Chatham House, bei der besagten Böll-Diskussion mit einer frappierenden Anekdote: Erst kürzlich habe es eine grenzübergreifende Kooperation über die Baufirma Eyat gegeben. Nach seinen Informationen gehört sie dem Vizepräsidenten Ali Osman Taha im Norden und der Witwe von SPLA-Gründer John Garang im Süden.

Von: 
Roman Deckert und Tobias Simon

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