Nach Algeriens Unabhängigkeit hoben sie mit Sonatrach einen Öl-Betrieb aus der Taufe, der zum Staatsgiganten wuchs. Sie blieben Freunde – jetzt planen sie ihren wahrscheinlich letzten Coup.
An einem Montagmorgen im Januar 2014 geht eine Spezialeinheit an Bord der Beechcraft 1900 auf dem Rollfeld des Flughafens von Algier. Die zweimotorige Propellermaschine mit einer Reichweite von rund 700 Kilometern und dem Schriftzug »Star Aviation« auf dem Leitwerk wird zur Betankung zwischenlanden müssen. Noch verhalten sich die Männer ruhig, sie sind die Strecke oft geflogen. Als die Beechcraft auf einer Reisehöhe von rund 20.000 Fuß die grünen Berge der Kabylei überflogen hat, nehmen einige die gelben Lärmschützer von den Ohren, um die Mission noch einmal zu besprechen.
Sie haben nichts dem Zufall überlassen: Prognosen errechnet, Daten und Entwicklungen extrapoliert. Sie wissen, dass ihnen und ihrem Land nicht mehr viel Zeit bleibt, um die Operation über die Bühne zu bringen: effizient, möglichst geräuschlos, zielsicher. Ob sich kommende Generationen einmal voller Anerkennung an den »Club des pétroliers« – oder die »Dinosaurier«, wie sie sich selbst nennen – erinnern werden? Als sicher kann nur eines gelten: Es wird der letzte große Coup dieser verschworenen Truppe.
Über Jahrzehnte haben die acht Männer Algeriens Geschichte mitgeschrieben. Dass das nordafrikanische Land täglich rund 1,1 Millionen Fass Rohöl produziert und Kohlenwasserstoffe im Wert von rund 50 Milliarden Euro jährlich ausführt, ist auch ihnen zu verdanken: Sie sind die Taufpaten eines Giganten – eines Staates im Staate, der Algeriens Glanz und Elend widerspiegelt, 120.000 Menschen beschäftigt und in den vergangenen Jahren wegen schwerer Korruptionsfälle in Verruf geraten ist: Die »Société Nationale pour la Recherche, la Production, le Transport, la Transformation, et la Commercialisation des Hydrocarbures« oder kurz: Sonatrach.
Das Staatsunternehmen begeht bald sein 50-jähriges Bestehen. Nach Feiern ist den Männern, die an diesem Tag an Bord der Beechcraft sitzen, allerdings kaum zumute. Denn der nationalistische Fortschrittsglaube, der in der Gründerzeit so sprudelte wie das Öl, ist mit der Zeit versiegt und der Erkenntnis gewichen, dass die Ressourcen die wirtschaftliche Entwicklung dieses Landes womöglich ebenso behindert wie befördert haben. Und dass sie endlich sind: 12 Milliarden Fass Rohöl an nachgewiesenen Reserven.
Der Energieverbrauch der rund 40 Millionen Algerier steigt unablässig, Strom wird hauptsächlich durch das Verheizen von Öl und Gas produziert – Rohstoffe, die man gewinnbringend verkaufen könnte. »Es gehört nicht viel Vorstellungskraft dazu, zu berechnen, was passiert, wenn der Verbrauch in diesen Dimensionen wächst«, sagt Abdelmajid Attar, einst Wasserminister und Sonatrach-Vizepräsident, dessen Name auch in den geheimen US-Drahtberichten, den so genannten »Wikileaks-Cables«, als Gewährsmann auftaucht.
Aus diesem Grund haben sie sich zusammengeschlossen: Sie wollen sich einmischen, Lobbyarbeit betreiben, private Investoren anwerben und den politischen Diskurs in eine andere Richtung lenken. Das Ziel: Erneuerbare Energien sollen nicht länger als Feigenblatt herhalten, sondern endlich als einzig vernünftiger Ausweg aus dem Energiedilemma konsequent gefördert werden. Denn bisher führt das Portfolio »Erneuerbare Energien« ein Schattendasein unter Federführung des staatlichen Gasversorgers Sonelgaz (»Socièté Nationale de l'Electricité et du Gaz«), einer Schwester von Sonatrach in Staatsbesitz.
Ein groß angelegtes Vorhaben, dessen konkrete Umsetzung aber im Ungefähren bleibt. Aus dem Konzept bringen lassen sich die Altvorderen davon aber keineswegs. Der Plan der Dinosaurier basiert auf einem düsteren Szenario: Sie haben errechnet, dass Algerien bei der derzeitigen Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahr 2030 rund 150 Terrawatt an Elektrizität benötigen wird. Um dies mit Gaskraftwerken bereitzustellen, würde man 85 Milliarden Kubikmeter Erdgas verbrennen.
Stimmen die Zahlen, so müssen die Staatsbetriebe bereits 2020 an die 60 Milliarden Kubikmeter bereitstellen, um die Stromversorgung zu gewährleisten. Die Folgen: Algerien sollte sich entscheiden, ob es den wertvollen, für die Volkswirtschaft derzeit noch überlebenswichtigen Rohstoff exportieren oder in Strom für den heimischen Gebrauch umwandeln will.
Die Energiewende ist kein politisches Prestigeprojekt, sondern eine unabwendbare Notwendigkeit
Die Energiewende ist also kein politisches Prestigeprojekt, sondern eine unabwendbare Notwendigkeit. Das Problem: Algeriens Regierung hat einen ehrgeizigen »Solarplan« angekündigt, legt diesem aber eine weit geringere Bedarfskalkulation zugrunde. Bisher wurde nur wenig unternommen, um die Infrastruktur für Erneuerbare Energien aufzubauen. Das Land hinkt seinen eigenen Plänen hinterher. Im November 2013 präsentierte Sonelgaz einen wieder einmal revidierten »Plan Solaire«, der die ambitionierten Zielvorgaben weiter hochschraubt, aber zugleich immer weiter in die Zukunft verlegt. Bis 2030 soll der Anteil Erneuerbarer Energien an der Stromproduktion auf 40 Prozent steigen. Auch wenn keiner der »Dinosaurier« mit dieser Aussage persönlich zitiert werden möchte, wird deutlich: Sie glauben nicht mehr daran, dass Algier wirklich
eine Strategie besitzt. »An der Spitze des Ölministeriums sitzt eine Mannschaft, die nicht an den ›Peak Oil‹ glaubt«, sagt Ali Boutalbi, Ex-Vizepräsident von Sonatrach und seinerzeit verantwortlich für das Upstream-Geschäft: Förderung und Produktion. »Peak Oil« ist ein wissenschaftliches Konzept, dem die Annahme zugrunde liegt, dass die Förderung bereits vor der Erschöpfung der nachgewiesenen Reserven nicht mehr rentabel wird – aus logistischen, technischen, geologischen Gründen.
Ein Zeitpunkt ist schwer zu bestimmen, doch zumindest so viel steht fest: Algerien nimmt zwar zahlreiche Explorationen vor, neue Entdeckungen aber bleiben aus. Sofern sich das in den nächsten Jahren nicht ändert und keine wirklichen Alternativen zur fossilen Stromproduktion gefunden werden, wird das Land in naher Zukunft mehr Öl verbrauchen, als es produziert. Für jeden aktiven Manager sind Rentner, die sich in das alltägliche Geschäft einmischen, ein Graus.
Andererseits gibt es nur wenige, aus deren Mund die Mahnung zu einer baldigen Energiewende glaubwürdiger klingen könnte, als vom »Club des pétroliers«: Es sind Männer, die nicht nur ihre Karriere dem schwarzen Gold verdanken und die nach Jahren in der Wüste, fern ihrer Familien, ein zärtliches Verhältnis zu Kraftdrehköpfen, Kloben und Eruptionskreuzen entwickelt haben. Sie ließen sich nichts anmerken, wenn ihnen ein Skorpion seinen giftigen Stachel in die Ferse jagte, aber sie weinten wie die Kinder, wenn – so geschehen 2006 in Hassi Messaoud – ein Bohrturm nach einem schweren Gasrückstoß in drei Minuten schmolz.
Algerien muss sich entscheiden: Export für die Volkswirtschaft oder Strom für den heimischen Gebrauch
»Wir sind ein Energie-Think-Tank und werden uns unermüdlich einbringen. Im Laufe unseres Lebens haben wir uns in Geduld geübt. So etwas lernt man, wenn man in der Wüste kilometertief nach Öl bohrt«, sagt Toufik Hasni, einst Sonatrach-Vorstand und Gründer der ersten Tochtergesellschaft für »neue Energien«. Er selbst leitete das Projekt des ersten und bisher einzigen solarthermischen Hybridkraftwerks. Das liegt bezeichnenderweise in Hassi R’Mel – direkt über Algeriens größtem Gasfeld. Die Effizienz des Kraftwerks, das bei Tageslicht mit Sonnenenergie, des nachts mit Gas betrieben wird, ist aber umstritten. Ü
ber die beste Technik, etwa großflächige Photovoltaik, und die notwendige Netz-Infrastruktur sind sich die »Dinosaurier« noch nicht einig – sie streiten unter Freunden über die Details. Aber das Ziel scheint klar zu sein. An diesem Tag im Januar besuchen sie einen Mitverschwörer in der Wüstenstadt Adrar: Mohamed Fechkeur, einst Gründer des nationalen Petroleum-Instituts, heute Multi-Unternehmer und Vorstandschef der Gruppe RedMed, die alle Arten von Dienstleistungen für die Öl-Exploration und -Industrie anbietet, Personal von Bohrtürmen in Sicherheitsfragen schult und neben einem Transportunternehmen auch eine eigene Flugzeugflotte unterhält.
Nicht weit von Adrar entfernt steht auch Algeriens einziger bisher in Betrieb genommener Windpark Kabertene. Doch auch für die Sonnenwärme fangenden Parabolspiegel von CSP-Kraftwerken (»Concentrated Solar Power«) und Photovoltaikplatinen böte die Wüstenlandschaft ideale Bedingungen. An diesem Nachmittag präsentiert Hasni seine Zahlen nicht etwa vor dem Kabinett der algerischen Regierung, sondern vor einigen hundert Studenten und Dozenten – und einer kleinen, privaten Delegation europäischer Wirtschaftsfachleute, unter denen sich auch der Niederländer Paul van Son befinde.
Van Son ist Chef des angeschlagenen Industriekonsortiums Desertec. Er wirbt für den Abbau von Subventionen für fossile Energieträger, die Nutzung von Solarenergie und Zusammenarbeit zwischen Europa und Nordafrika. Und beim Dinosaurier-Gipfel in Adrar ist van Son Kronzeuge: 1.400 Kilometer von der Hauptstadt entfernt beginnt das, was in einem friedlichen Putsch der algerischen Energiepolitik enden könnten. Die Dinosaurier stehen zusammen und bereiteten ihren Marsch auf die Hauptstadt vor: Die Operation Solar beginnt.