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Sieg bei den Wahlen für Islamisten in Marokko

Wo Islamisten noch Wahlen gewinnen

Analyse

In Ägypten und Tunesien haben sich islamistische Parteien an der Macht die Finger verbrannt, in Marokko fahren sie weiter Wahlsiege ein. Das Erfolgsgeheimnis: Marokkos Königshaus und Regierungspartei PJD brauchen sich gegenseitig.

Am 4. September fanden in Marokko die ersten lokalen Wahlen seit 2009 statt. Knapp 140.000 Kandidaten konkurrierten um 32.000 Sitze. Es waren die ersten Wahlen, die nach Annahme der neuen Verfassung 2011 abgehalten wurden. Das Referendum nutzte König Muhammad VI. geschickt, um der Protestbewegung »20. Februar« den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem die Verfassung auf einige zentrale Forderungen der Protestierenden eingeht.

 

Die neue Verfassung und das darauf folgende Regionalisierungsgesetz übertragen den Regionalräten mehr Kompetenzen, was Marokkos zwölf Regionen zu mehr Autonomie verhilft. Die Bürger bekommen also mehr Mitbestimmung in der Regionalpolitik. Die islamische »Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung« (PJD) ist der klare Gewinner der diesjährigen Wahlen. Die PJD sicherte sich eine relative Mehrheit der regionalen Sitze (26,6 Prozent), gefolgt von ihrem Hauptrivalen, der »Partei für Authentizität und Modernität« (PAM) mit 19,4 Prozent.

 

Die PAM wurde 2008 vom Königshof, der als politisches Machtzentrum in Marokko unter der Bezeichnung »Makhzen« bekannt ist, als Gegengewicht gegründet, um ein Gegengewicht zur PJD zu bilden. Die Partei baut zudem mit deutlichen Mehrheiten in den Großstädten Casablanca, Rabat, Salé, Marrakesch, Fes, Meknes, Tanger, Kenitra, und Agadir ihre Vormachtstellung als Hauptkraft in urbanen Zentren weiter aus. Auf der Gemeindeebene wurde die PJD drittstärkste Kraft mit 15,94 Prozent der Stimmen nach der PAM mit 21,12 Prozent und der nationalistischen Istiqlal (»Unabhängigkeitspartei«), die 16,22 Prozent der Sitze gewann.

 

Dennoch hat ein geschicktes Manöver dazu beigetragen, das starke Ergebnis der PJD zumindest teilweise zu relativieren. Auf der Basis der Ergebnisse der Kommunalwahlen wurden am 14. September die Präsidenten der zwölf Regionen gewählt. Die PAM stellt nun fünf der neu gewählten Regionalpräsidenten, die PJD, die »Nationale Vereinigung der Unabhängigen« (RNI) und die »Istiqlal« jeweils zwei. Die »Volksbewegung« (MP) hat die Präsidentschaft einer Region inne. Die PJD wird also die meisten Bürgermeister in den großen Städten wie Casablanca und Rabat stellen, aber hat nur zwei Regionalpräsidenten.

 

Der »Rassemblement national des indépendants« (RNI), Koalitionspartner der PJD und dem »Makhzen« nahestehend, hatte für die Präsidentschaftskandidaten der PAM gestimmt und ist somit seinem Koalitionspartner in den Rücken gefallen. Der RNI verhalf damit der PAM zu mehr Einfluss in den Regionen. Die Regionen haben vor allem durch die vielen Entwicklungs- und Infrastrukturprojekte, die von staatlicher Seite  gefördert werden, in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Die PJD-Bürgermeister müssen also eng mit den Regionalpräsidenten zusammenarbeiten.

 

Der Seitenwechsel der RNI ist ein gewollter Versuch des »Makhzen«, den neugewonnenen Einfluss der PJD in den Städten einzudämmen. Bilal Talidi, ein Mitglied des PJD-Politbüros, behauptet gegenüber zenith, dass die Regionen, die als strategisch gelten, weil sie entweder sehr wohlhabend, touristisch bedeutsam oder Grenzregionen sind, bewusst dem Einfluss der PJD entzogen werden sollten. Die Wahlen sind ein Test für die Regierung von Premierminister Abdelilah Benkirane, der im Januar 2012 Marokkos erste islamistisch geführte Regierung bildete, sowie ein Indikator für die Parlamentswahlen im nächsten Jahr.

 

Während in Tunesien die islamistische Ennahda 2014 von den Wählern abgestraft wurden und das Amt des Präsidenten an Beji Caid Essebsi, den Führer der säkularen Partei »Nidaa Tunis«, verlor, waren die Islamisten in Marokko in der Lage, ihre Popularität auszubauen. Bei den Kommunalwahlen 2009 sicherte sich die PJD 700.000 Stimmen, 2015 waren es 1,5 Millionen. 

 

Der Wahlsieg macht die PJD zum Favoriten für die 2016

 

Interne Demokratie und eine kohärente politische Botschaft verhelfen der Partei zu Glaubwürdigkeit. Die PJD ist stark, weil andere Parteien, insbesondere die Linke, schwach sind. Wichtiger noch im Vergleich zu anderen islamistischen Parteien in der Region, hat die PJD sich extrem pragmatisch gezeigt. Das klare Bekenntnis zur Monarchie und die Tatsache, dass sie die existierende politische Ordnung nicht radikal ändern will, sind entscheidend für den Erfolg der Partei.

 

Islamisten scheinen am erfolgreichsten zu sein, wenn sie innerhalb der bestehenden politischen Ordnung arbeiten. Die PJD begann in den 1990er Jahren, an Wahlen teilzunehmen. Die politische Integration der Partei wurde von der Monarchie vorangetrieben, nachdem die größte islamistische Gruppe, »Al Adl Wal Ihsan«, Kooptationsversuche seitens der Monarchie zurückgewiesen hatte. Die PJD wurde darauf verpflichtet, die religiösen und exekutiven Vorrechte des Königs anzuerkennen.

 

Die PJD ist eine königstreue Partei, die die bestehende Machtkonfiguration anerkennt und nicht radikal zu ändern versucht. Von Beginn ihrer eigenen Regierungskontrolle an interpretierte die Partei ihre Vorrechte konservativ, um jegliche Konfrontation mit der Monarchie zu vermeiden. PJD-Mitglieder werden nicht müde immer wieder zu betonen, dass sie graduellen Wandel mit Stabilität wollen – eine Botschaft, die die Ansichten des Königs bestätigt.

 

Dieser Ansatz ist auch von der algerischen Erfahrung geprägt worden, wo das Militär die zweite Runde der nationalen Wahlen 1992 absagte, nachdem klar wurde, dass die Islamistische Heilsfront (FIS) einen durchschlagenden Sieg erringen würde. Die PJD fühlt sich außerdem in ihrem Ansatz von der jüngeren Erfahrung der Muslimbrüder in Ägypten bestätigt, dass ihr gradueller Ansatz der effektivste sei. Die ägyptischen Muslimbrüder werden als Bewegung gesehen, der es an politischer Intelligenz mangelt und die deshalb zu schnell zu viel erreichen wollte, was zu ihrem Scheitern führte. Am Ende ist es die Botschaft des graduellen Wandels und die klare Unterstützung für die Monarchie, die die Partei attraktiv für Wähler macht, die zwar Wandel wollen, aber nicht unbedingt Systemwandel.

 

Effektive Führungspolitik und interne Demokratie

 

Die PJD führte zudem eine effektive Wahlkampagne. Sie profitierte von der Popularität ihres Premiers. Benkirane war während der Kampagne öffentlich sehr präsent und hielt Wahlkampfveranstaltungen in allen großen und vielen kleineren Städten ab, von Casablanca, Salé, Fes, Meknes und Agadir bis Taza und Tiznit. Anderen Parteien fehlt es an ähnlich prominenten Führungspersönlichkeiten. Die PAM verlor 2011 ihren charismatischen Führer, als Fuad Ali Al Himma zurücktrat – ein Kindheitsfreund des Königs und royaler Berater aus der ersten Parteireihe.

 

Der aktuellen Führungsriege der PAM mangelt es an Glaubwürdigkeit. Ihr derzeitiger Generalsekretär Mustapha Bakkoury ist der frühere Direktor des »Caisse de dépôt et de gestion«, des staatlichen Pensionsfonds. Daneben ist Bakkoury zurzeit auch Direktor der Marokkanischen Agentur für Solarenergie (MASEN), eines staatlichen Unternehmens mit hunderten Millionen von Dollar an Investitionsportfolio. Der PJD nutzte der Eindruck von Bakkoury als Technokrat ohne politische Erfahrung.

 

Die meisten Parteien haben keine feste Wählerschaft und keine ideologische Bindung an ihre Wähler. Kandidaten wandern von Partei zu Partei – je nachdem, wer ihnen das beste Angebot macht. Parteien wirken somit als korrupt und ineffizient. Die PAM hat erfolgreich lokale Notabeln in ländlichen Gegenden rekrutiert, die persönliche und familiäre Beziehungen nutzen, um Stimmen zu gewinnen. Im Gegensatz dazu prüft die PJD ihre Kandidaten sehr genau.

 

Interne demokratische Strukturen garantieren, dass die vielversprechendsten Kandidaten ausgewählt werden. Zukünftige Abgeordnete durchlaufen ein dreistufiges Auswahlverfahren: Nachdem der Kandidat von einem lokalen Komitee bestätigt wurde, muss er von einem regionalen Komitee gewählt und schließlich vom Generalsekretär der Partei ernannt werden. Dieser strikte Rekrutierungsprozess garantiert, dass nur engagierte Kandidaten, die nicht aus opportunistischen Gründen bei der Wahl antreten, ausgewählt werden. »Wir haben 2.000 Treffen abgehalten, nur um die Kandidaten, die bei den Wahlen angetreten sind, auszuwählen. Bevor ein Kandidat nominiert wird, diskutieren wir dessen Stärken und Schwächen für drei Stunden«, gab Bilal Talidi, der auch Redakteur bei Al-Tajdid ist, des Parteiorgans der PJD, gegenüber zenith zu Protokoll.

 

Abgeordnete der PJD werden im Gegensatz zu anderen Kandidaten als effiziente, lokal verwurzelte Manager gesehen. Die PJD wird nicht unbedingt aus religiösen Gründen gewählt, sondern weil sie als nicht korrupte Alternative zu anderen Parteien, die an Glaubwürdigkeit verloren haben, gesehen wird. Die Tatsache, dass die PJD in wohlhabenden Vierteln wie Rabat-Agdal erfolgreich war, widerlegt die weit verbreitete These, dass vor allem sozial schwache Bürger Islamisten wählen. Die PJD hat starken Rückhalt in der Mittelschicht, die konservative Wertevorstellungen hat und gleichzeitig das neoliberale Wirtschaftsmodell unterstützt, das die PJD forciert.

 

Die PJD stellt Korruption als individuelles Versagen dar – und nicht als strukturelles Problem

 

Seitdem die Partei 2012 die erste islamistisch geführte Regierung bildete, ist ihr Handlungsspielraum extrem eingeschränkt worden. Die Monarchie bleibt trotz der Verfassung von 2011, die dem Parlament mehr Kompetenzen zuspricht, die Hauptsäule des politischen Systems. Die PJD musste die Praxis der Souveränitätsministerien, die direkt dem König unterstehen, anerkennen und in der Praxis fortbestehen lassen. Die PJD agiert extrem pragmatisch und vermeidet jegliche Konfrontation mit dem König.

 

Während eines Treffens im Januar 2015 mit der Parteijugend verkündete Premier Benkirane, dass die PJD Marokko nicht regiere. Andere Parteimitglieder geben ebenfalls offen zu, dass Marokko noch immer ein Land sei, in dem der König repräsentiert und regiert. Abdelaali Hamiedinne, ein Mitglied des PJD-Generalsekretariats, räumt gegenüber zenith ein, dass »die Regierung nicht ohne die Unterstützung des Königs existieren kann«. Die Wähler haben diese Ehrlichkeit belohnt, die noch nie zuvor von einer politischen Partei so offen dargelegt wurde.

 

Diese Strategie ist dennoch auf lange Sicht riskant und schwierig aufrechtzuerhalten. Der Zugewinn bei den Wahlen entkräftet ein Stück weit das Argument der eigenen Machtlosigkeit, so dass die Wähler sie harscher beurteilen wird, falls sie es versäumt, Ergebnisse vorzuweisen. Insgesamt war die Partei in der Lage, effektiv mit ihrer Wählerschaft zu kommunizieren und ihre Anti-Korruptions-Botschaft effektiv zu verkaufen – obwohl sie dieses Vorhaben nicht vollends umsetzte. In anderen Fällen erntete die Partei die Früchte für Projekte, die sie nicht selbst angestoßen hatte. Schon 2011 war die Korruptionsbekämpfung der Hauptschwerpunkt der PJD-Kampagne. S

 

eitdem betreibt die Partei eine Moralisierung der Politik dadurch, dass sie Korruption als individuelles Versagen und nicht als strukturelles Problem darstellt, um nicht die Wirtschaftspraktiken des Königs und seiner Entourage in Frage zu stellen. In Interviews präsentiert die PJD die Reform der Zugangsvoraussetzungen für Ministerien und die Einführung landesweiter Prüfungen für die Aufnahme neuer Kandidaten als Bemühung, Patronage entgegenzuwirken und Chancengleichheit herzustellen.

 

Allerdings wurde die Verordnung, die die Zugangsbedingungen reformierte, bereits am 25. November 2011 erlassen, während Benkirane erst am 29. November offiziell zum Premierminister ernannt wurde. Die PJD war also nicht Initiator dieser Gesetzesänderung.  Im Zuge eines der zahlreichen Versuche, Korruption entgegenzuwirken, kündigte die Partei an, das Vergabeverfahren für Taxilizenzen zu reformieren.

 

Eine entsprechende Auflistung, die das Transportministerium veröffentlichte, um diesen Prozess transparenter zu gestalten, umfasste sogar die Namen von Personen mit Verbindungen zum »Makhzen«. Am Ende jedoch die PJD unternahm keine weiteren Schritte, um die Reform auch tatsächlich umzusetzen. Als Teil des öffentlichen Diskurses nimmt die Partei den Kampf gegen Korruption durchaus ernst, obwohl die meisten Projekte schlussendlich nicht konsequent weiterverfolgt werden.

 

Krontreue und Kronleuchter

 

Im Hinblick auf sozialpolitische Themen wie Abtreibung und Frauenrechte bleibt die Partei ihrem konservativen Ruf treu. Das hat Frauengruppen erzürnt, die die Benkirane-Regierung als Rückschlag für Frauenrechte sehen. Frauengruppen kritisieren, dass der Regierung nur eine weibliche Ministerin angehört: Bassima Hakkaoui, Ministerin für Solidarität, Frauen, Familie und soziale Entwicklung und PJD-Mitglied. Dennoch hat keine andere Regierungspartei eine Frau als Ministerin ernannt – einschließlich der linken »Partei für Fortschritt und Sozialismus« (PPS).

 

Die PJD implementiert die neue Paritätsprovision der neuen Verfassung nur langsam und unvollständig, was Frauengruppen auf die mangelnde Unterstützung der PJD für die neuen Bestimmungen sehen. Im Juni 2014 verglich Benkirane Frauen mit »Kronleuchtern, die das Haus erleuchten«. Er folgerte, dass »Häuser zu dunklen Orten« würden, sobald Frauen sie verlassen, um einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Die Aussage löste eine Kampagne unter der Losung #anamachitria aus – im marokkanischen Arabisch bedeutet das: »Ich bin kein Kronleuchter«.

 

Obwohl derartige Aussagen die sehr forsche und offensive marokkanische obere Mittelklasse und Elite auf die Barrikaden bringen, finden sie Anklang bei Bürgern, die diese Botschaft als Bekenntnis zu Familienwerten und Familienzusammenhalt sehen und die mit den konservativen Geschlechterrollen übereinstimmen, die die PJD vertritt – was wiederum die kohärente Wahrnehmung der Parteilinie erklärt. Die Islamisten sind nicht zuletzt deshalb so stark, weil ihre Rivalen schwach sind.

 

Das trifft speziell auf die linken Parteien zu, die die klaren Verlierer der diesjährigen Wahlen sind. Während die Botschaft der PJD in ihrem Verhältnis zur Monarchie einfach verständlich ist, ist die Linke zersplittert und artikuliert sich widersprüchlich dazu, wie sie zur gegenwärtigen politischen Ordnung steht. Da es in der politischen Linken keine Einigkeit dazu gibt, was für ein politisches System sie will und wie dieses herbeigeführt werden soll, haben einige linke Parteien Wahlen mal boykottiert, mal daran teilgenommen.

 

Während die »Vereinigte Sozialistische Partei« (PSU) die Wahlen 2011 boykottiert hatte, nahm sie 2015 als Teil einer Koalition dreier linker Parteien – der »Föderation der Demokratischen Linken (FGD) – teil, obwohl sich an den politischen Rahmenbedingungen zwischen 2011 und 2015 nichts geändert hatte. Die Partei »Der Demokratische Weg« boykottierte die Wahlen 2015. Elf ihrer Mitglieder wurden im Zuge dessen am 25. August in Rabat festgenommen, als sie auf offener Straße zum Boykott der Wahlen aufriefen. Eine Grund für die Festnahmen wurde nicht genannt.

 

Die politische Zukunft der PJD bleibt trotz des Wahlerfolges ungewiss

 

Zwar haben die Kommunalwahlen der PJD einen Legitimitätsgewinn gebracht. Das muss allerdings nicht bedeuten, dass die Partei auch in Zukunft kontinuierlich an Beliebtheit gewinnen wird. Marokkanische Parteien haben gewöhnlich ein Verfallsdatum von zwei Legislaturperioden, bevor sie an Glaubwürdigkeit verlieren. Als die linken Parteien nach Jahrzehnten der Opposition 1998 die Regierung stellten, überlebte die von der »Sozialistischen Union der Volkstribunen« geführte Regierung zwei Amtszeiten, bevor sie kollabierte.

 

Die Partei hatte ihren Rekrutierungsprozess geändert, nachdem sie in Regierungsverantwortung kam und wurde in Folge dessen von Opportunisten untergraben. Die Erfahrung der PJD ist deshalb bisher nicht außergewöhnlich, sondern steht vorerst für eine erfolgreiche Kooptation einer islamistischen Partei seitens der Monarchie. Erst wenn die Partei 2021 für eine dritte Amtszeit wiedergewählt werden sollte, stellt sich die Frage nach einer möglichen Einzigartigkeit der politischen Etablierung der PJD. Sollte die PJD jedoch relativ bald diskreditiert werden, hat die Monarchie ein ernsthaftes Problem, weil sie derzeit keine glaubwürdige Alternative zur PJD hat.

 

Der Königshof hat deshalb für den Moment ein Interesse daran, die Entwicklung der PJD zu stabilisieren, was auch bedeutet, das Bild einer graduellen Demokratisierung zu bewahren. Das Modell der partizipativen Demokratie, das der König propagiert, ist nur glaubwürdig, wenn die Menschen tatsächlich an Wahlen teilnehmen. Dies erklärt das harte Vorgehen gegen Kampagnen, die zum Wahlboykott aufriefen. Diese Kampagnen sind in Bezug auf Größe und Effekt vernachlässigbar, aber sie untergraben das offizielle Narrativ. Fassadendemokratie funktioniert nur, wenn es ein Minimum an Partizipation der Bevölkerung gibt. So lag die Wahlbeteiligung offiziell bei 53,67 Prozent – was gemeinhin als unrealistisch hoch angesehen wird. 

 

Marokkos Königshof muss deshalb die politische Erfahrung seit Beginn des Arabischen Frühlings 2011 bewahren und gleichzeitig eine Partei aufbauen, die die PJD in den urbanen Zentren, wo die Leute verstärkt aus inhaltlichen und nicht klientelistischen Gründen wählen, herausfordern kann. Die PAM, der Hauptrivale der PJD, ist vor allem in ländlichen Gebieten gewählt worden, wo Patronagenetzwerke wichtiger sind als programmatische Politik.

 

Menschen wählen die PAM, weil sie wissen, dass die Partei enge Verbindungen zum Königshof unterhält, von denen sie profitieren wollen – sei es in Form von Investitionen oder Geldgeschenken. Als starkes Gegengewicht zu den Islamisten, wie ursprünglich vorgesehen, taugt die Partei aber scheinbar nicht. Der überragende Sieg der PJD in den städtischen Zentren hat gezeigt, dass die PAM dort kaum mehr in der Lage ist, die Rolle einer glaubhaften Alternative zur PJD zu spielen. Die PAM ist deshalb für die Monarchie zunehmend weniger nützlich – eine echte Herausforderung für das Regime.


Dörthe Engelcke schloss 2015 ihre Doktorarbeit am St Antony’s College Oxford ab. Für das akademische Jahr 2014/2015 war sie Visiting Fellow am »Islamic Legal Studies Program« der Harvard Law School.

Von: 
Dörthe Engelcke

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