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Sicherheit und Übergang im Jemen

Ohne Aufschwung keine Sicherheit

Analyse

Anschläge, Entführungen, Drohnenkrieg: Die Sicherheitslage ist ein Symptom des gescheiterten Übergangs im Jemen. Zu lange wurden wirtschaftlicher Neustart und Kampf gegen Korruption aufgeschoben – und damit falsche Prioritäten gesetzt.

Seit Anfang Mai hat sich der Kampf gegen Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel auf die jemenitische Hauptstadt ausgeweitet. Immer wieder geraten Sicherheitskräfte und vermeintliche Anhänger der Terrororganisation in Sanaas Straßen gewaltsam aneinander. Am 9. Mai kamen bei einem Angriff auf zwei Militärcheckpoints in der Nähe des Präsidentenpalastes vier Soldaten der Republikanischen Garden ums Leben. Die Lage bleibt angespannt, die Sicherheitskräfte sind in höchster Alarmbereitschaft. 

 

Die Sicherheitslage in der Hauptstadt hatte sich bereits um den 24. April verschärft, als ein gescheiterter Entführungsversuch zweier Ausländer in einem Friseursalon mit dem Tod zweier bewaffneter Jemeniten endete. Erst blieb die Staatsangehörigkeit der Schützen unbekannt. Gerüchten zufolge soll es sich um Russen gehandelt haben, die die jemenitischen Entführer aus Notwehr erschossen haben sollen.

 

Erst Wochen später stellte sich heraus, dass es sich bei den Ausländern um zwei US-Amerikaner gehandelt hatte, einen CIA-Agenten und einen Offizier des »Joint Special Operations Command«. Beide Institutionen sind maßgeblich für die US-Drohnenangriffe im Jemen verantwortlich. Den Sicherheitsvorkehrungen der US-Botschaft in Sanaa zufolge hätte sich das Personal nicht außerhalb der Botschaft aufhalten dürfen. Ob neben einem Haarschnitt oder einer Rasur der Ausflug beim Frisör noch einen weiteren Hintergrund hatte, bleibt unklar.

 

Nachdem die Ausländer ihre Entführung verhindern konnten, flohen sie rasch vom Tatort und hinterließen lediglich die Leichen der Angreifer.  Mit Kenntnis der jemenitischen Regierung wurden die Amerikaner ausgeflogen. Wenige Tage später folgten zwei separate Angriffe auf ein deutsches Diplomatenfahrzeug und französisches Sicherheitspersonal der EU-Delegation. Ein Franzose kam bei den Angriffen ums Leben.

 

Die Militäroffensive gegen Al-Qaida rückt den politischen Übergang in den Hintergrund

 

Die Angriffe sind die Speerspitze einer Gegenoffensive Al-Qaidas. Um den 19. April herum töteten amerikanische Drohnen Dutzende Menschen in den südlichen Provinzen des Jemens, dem Hauptschauplatz des Kampfs gegen Al-Qaida. Bei den Toten soll es sich um Mitglieder der Terrororganisation gehandelt haben, doch waren auch Zivilisten unter den Opfern. Auf die Drohnenangriffe folgte eine massive Militäroffensive der jemenitischen Sicherheitskräfte in Gebieten um Sanaa sowie im südlichen Shabwa. Dabei gewannen die Regierungstruppen auch Kontrolle über Azzan zurück, einer Hochburg Al-Qaidas.

 

Der Kampf gegen Al-Qaida steht nun im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit im Jemen. Spätestens seit dem im Januar 2014 die »Konferenz des Nationalen Dialogs« abgeschlossen wurde, ist der politische Prozess und damit der Übergang zur Nebensache geworden. Der Nationale Dialog, der von dem Übergangsabkommen des Golfkooperationsrats vorgesehen war, um die Konflikte des Landes zu lösen, konnte seine Ziele nicht erreichen. Nachdem die Konferenz beendet wurde, griffen sowohl die Houthi-Bewegung im Norden des Jemens, als auch die Sezessionsbewegung im Süden weiter zu gewaltsamen Mitteln und Protest, um ihre Forderungen gegenüber der Zentralregierung durchzusetzen.

 

Einen wirklichen nationalen Konsens konnte die Konferenz nicht finden. Die Erwartungen der Bevölkerung an die Konferenz waren hoch. Zu Beginn der Tagung im März 2013 wurde der Dialog als die letzte Hoffnung für das Land angepriesen: »Dialog oder Bürgerkrieg« implizierte damals eine großangelegte Werbekampagne in den Medien und auf den Straßen. Doch insbesondere bei der Frage des Status der südliche Provinzen, in denen Großteil der Bevölkerung eine Abspaltung von der Zentralgewalt fordert, steuerte das Dialogforum in eine Sackgasse.

 

Der Staat soll nun in sechs föderale Regionen geteilt werden. Eine Lösung, die von der »Bewegung des Südens« abgeleht wurde und weite Teile der Bevölkerung nicht überzeugen konnte. Andere Beschlüsse in den Bereichen Wirtschaft, Bildung oder Gesundheit bedürfen weitreichender Reformen und sind angesichts eines verkrusteten Staatsapparats, Korruption und Patronagenetzwerken innerhalb der gegebenen Institutionen schwer umsetzbar. Dennoch gaben Beobachter und Beteiligte des Nationalen Dialogs die Hoffnung nicht auf und hofften, dass die erzielten Ergebnisse umzusetzen seien.

 

Im März 2014 wurde die konstitutionelle Kommission gegründet, die auf Grundlage der Konferenzergebnisse eine neue Verfassung schreiben soll. Doch schon jetzt ist abzusehen, dass die wichtigsten Beschlüsse des Dialogforums, etwa das föderale System, in der neuen Verfassung kaum Niederschlag finden. Nach langem Warten und wenige Tage vor dem Treffen der internationalen Gebergemeinschaft am 29. April in London wurde die Gründung einer neuen Institution bekanntgegeben, die die Umsetzung der Konferenzergebnisse beobachten soll – kaum mehr als ein symbolischer Akt.

 

Es ist eine Frage der Zeit, wie lange sich der Staat seine Angestellten noch leisten kann

 

Der Übergang im Jemen ist ins Stocken geraten. Durch das Scheitern des Nationalen Dialogs hat der Prozess in der Bevölkerung stark an Legitimität verloren. Sie wartet weiter, aber vergeblich auf spürbare Veränderungen. In der Hauptstadt verschärft sich derweil die Treibstoffkrise. Die Warteschlangen an Tankstellen schlängeln sich kilometerlang durch die Straßen Sanaas. Stromausfälle sind an der Tagesordnung und aufgrund der fragilen Sicherheitslage werden Straßen gesperrt, so dass ganze Stadtteile fast lahm gelegt werden.

 

Auch auf dem Arbeitsmarkt hat der Übergangsprozess keine neuen Impulse gebracht. Als Ergebnis des politischen Konflikts der regierenden Parteien, wurden neue Stellen lediglich vereinzelt im Staatsapparat geschaffen. An der Politikpraxis der Vorgängerregierung unter Ex-Präsident Ali Abdullah Saleh änderten die Nachfolger unter Übergangspräsident Abd Rabbo Mansur Hadi kaum etwas, im Kampf gegen Vetternwirtschaft und Korruption sind Erfolge Fehlanzeige. Die internationale Gebergemeinschaft zögert nicht nur aus diesem Grund, Entwicklungsgelder fließen zu lassen.

 

Bisher sind erst 35 Prozent der versprochenen Gelder auch tatsächlich ausbezahlt worden. Die wirtschaftliche Entwicklung genoss seit Beginn des Übergangsprozesses eigentlich keine Priorität. Während alle Konzentration auf den Nationalen Dialog gerichtet war, blutete die Staatskasse weiter aus. Es ist eine Frage der Zeit, wie lange sich der Staat seine Angestellten noch leisten kann.  Beim Treffen der sogenannten Freunde des Jemens am 29. April in London hat die internationale Gemeinschaft beschlossen, der Wirtschaft mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

 

Trotzdem halten alle wichtigen Akteure eisern an einem Credo fest: ohne Sicherheit keine Entwicklung. Dieser Ansatz verkennt jedoch, dass die schlechte Wirtschaftslage den Extremisten in die Hände spielt. Junge arbeitslose Männer lassen sich unter diesen Bedingungen leicht rekrutieren. Als Al-Qaida-Kämpfer verdienen sie ein Gehalt. Im Todesfall erhält die Familie Blutgeld und der Gefallene ein anständiges Begräbnis. Die sogenannten Volkskomitees, spätestens seit 2011 ein wichtiger Sicherheitsfaktor in den südlichen Provinzen, fordern eine bessere Bezahlung. In Shabwa etwa verdienen sie lediglich umgerechnet 50 Euro pro Person im Monat. Inzwischen haben die Bürgermilizen hier den Dienst ausgesetzt, bis die Regierung ihren Forderungen nachkommt. Ohne sie, wird es schwer sein, auf der lokalen Ebene Sicherheit herzustellen.

Von: 
Mareike Transfeld

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