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Schmuggel in der Sahara

Drehkreuz im Fadenkreuz

Analyse

Internationale Rauschgiftschmuggler und terroristische Gruppen haben den Drogenmarkt nach Westafrika verlagert. Fragile Staaten und die schwer zu überwachende Sahara bieten ideale Bedingungen für illegale Aktivitäten.

»Save West Africa from the drug barons« – so lautete die Überschrift eines im Januar 2012 im britischen Guardian publizierten Artikels des früheren UN-Generalsekretärs Kofi Annan. Westafrika liege in den Händen von Drogenbossen und die Entwicklung der Region hinge entscheidend davon ab, ob sie sich aus dem Griff der Rauschgiftbarone befreien kann. Im vergangenen Jahrzehnt häuften sich Berichte über Drogentransporte in und über Westafrika: In Nigeria wurden 2006 in einer einzigen Aktion 14,2 Tonnen Kokain beschlagnahmt. 2009 entdeckten Sicherheitskräfte in der malischen Wüste eine ausgebrannte Boeing 727, die bis zu 20 Tonnen des illegalen Stoffs geladen hatte.

 

Und die US-Drogenbehörde DEA deckte im Juli 2010 einen internationalen Drogenring auf, der annähernd sechs Tonnen südamerikanisches Kokain über Liberia nach Europa transportieren wollte. Nach Angaben des United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) gelangten 2011 rund 30 Tonnen Kokain und 400 Kilogramm Heroin nach Westafrika. Sicherheitsbehörden aus West-afrika und den USA schätzen, dass die tatsächliche Kokain-Schmuggelmenge mittlerweile sogar bei 100 bis 200 Tonnen liegen könnte. Damit liegen die vermuteten Gewinne aus dem illegalen Geschäft über dem Gesamtwert aller legalen Exportprodukte Westafrikas.

 

Zudem rückt die Region seit 2009 als Produzent und Exporteur chemischer Drogen ins Visier der Ermittler. Aufgrund der Nähe zu Europa, der prekären Sicherheitslage, die das Risiko von Kontrollen und Beschlagnahmungen begrenzt, und den gut vernetzten lokalen kriminellen Organisationen gilt Westafrika als idealer Standort für illegale Schmuggelaktivitäten jeglicher Art. Zunehmend verlagern auch ausländische Akteure ihre illegalen Aktivitäten in die Region. So wichen beispielsweise im Zuge des »War on Drugs« lateinamerikanische Kartelle auf alternative Handelsrouten in Westafrika aus, um den verschärften Sicherheitsvorkehrungen im karibischen Raum zu entgehen und ihren Zugriff auf den europäischen Drogenmarkt zu sichern. Auch süd- und osteuropäische Mafiaorganisationen, die radikal-islamische Hizbullah aus dem Libanon und die kolumbianische Guerillagruppe FARC beteiligen sich am Rauschgifthandel über Westafrika. Alle diese Gruppierungen schöpfen Profit aus der Schwäche der westafrikanischen Staaten und tragen durch Korruption und Gewalt, die mit dem Drogengeschäft einhergehen, zu deren Fragilität bei.

 

Die Gewinne aus dem Drogenhandel übersteigen den Gesamtwert von Westafrikas legalem Export

 

Ihre auf dem Rauschgifthandel basierende Finanzmacht verschafft den beteiligten Akteuren Zugang zu höchsten Regierungskreisen, wie ein 2012 veröffentlichter gemeinsamer Bericht verschiedener internationaler Organisationen über den Einfluss des Drogenschmuggels in Westafrika konstatiert. Bereits 2010 beschrieb der ghanaische Sicherheitsexperte Kwesi Aning in der Studie »Understanding the Intersection of Drugs, Politics & Crime in West Africa«, wie hochrangige Beamte, Politiker und Militärs in sechs westafrikanischen Staaten direkt oder indirekt am Drogenhandel beteiligt sind oder waren. Das illegale Geschäft und seine Begleiterscheinungen beeinträchtigen so die sozioökonomische und politische Entwicklung der gesamten Region.

 

Dies konterkariert wiederum die zaghaften Stabilisierungserfolge, die einige Staaten Westafrikas seit Ende der 1990er Jahre verzeichnen. Ein extremes Beispiel ist Guinea-Bissau, wo das herrschende Militär das Drogengeschäft kontrolliert sowie Infrastruktur und Logistik für dessen Abwicklung bereitstellt. Längst hat sich das Land zum Hauptumschlagplatz des Rauschgifthandels in und über Westafrika entwickelt und wird in der internationalen Presse bereits als »Afrikas erster Narko-Staat« bezeichnet. Bis zu einer Tonne südamerikanisches Kokain soll Guinea-Bissau täglich erreichen, um anschließend weiter nach Europa und Nordamerika transportiert zu werden. Die Machtkämpfe um den Zugang zum lukrativen Drogengeschäft haben zu einer anhaltenden Destabilisierung der politischen Verhältnisse des Landes geführt.

 

Viele Experten vermuten, dass sowohl die Ermordung von Präsident João Bernardo Vieira 2009 als auch der Militärputsch 2012 in enger Verbindung zum Rauschmittelgeschäft stehen. Der Ursprung für die Entwicklung Westafrikas zu einem der Hauptoperationsgebiete des internationalen Rauschgifthandels liegt bereits in den 1980er Jahren, als infolge einer wirtschaftlichen Krise herrschende Militärs und Politiker in Staaten wie Nigeria, Liberia und Ghana verstärkt auf illegale Einkommensquellen zurückgriffen. Der Drogenhandel spielte da-bei eine zentrale Rolle.

 

»Der Terrorismus auf der ganzen Welt wird vom Drogenhandel befördert, insbesondere in Westafrika«

 

Obgleich also kein junges Phänomen, ist Westafrikas Rolle als internationales Drogendrehkreuz erst vor kurzer Zeit in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt und hat die internationale Staatengemeinschaft in Alarmbereitschaft versetzt. Auf Druck des Westens sind die Sicherheitskontrollen vor Westafrikas Küsten in den letzten Jahren deshalb ebenso angestiegen, wie gemeinsam koordinierte afrikanisch-europäische und afrikanisch-amerikanische Beschlagnahmungsaktionen stattfinden. Obwohl diese Anstrengungen zu vordergründigen Erfolgen in Form von vermehrten Konfiszierungen führten, ist ihre langfristige Wirksamkeit zu bezweifeln.

 

Wie im Falle Lateinamerikas diversifizieren sich vornehmlich die Transportweisen und -routen: Um Kontrollen zu entgehen, weichen Schmuggler immer häufiger auf kaum zu überwachende und ständig wechselnde Überlandstrecken aus, die durch den Sahelraum führen. Malis früherer Präsident Amadou Toumani Touré – 2012 aus dem Amt geputscht – nannte die Sahara jüngst den »weltgrößten Supermarkt« für Waffen, Geiseln und Drogen. Durch die jüngsten politischen Umbrüche in Nordafrika und das dadurch entstandene sicherheitspolitische Vakuum werden auch Staaten wie Algerien, Marokko, Libyen und Ägypten immer öfter als Durchgangsländer für den Drogentransport nach Europa genutzt. Um den Überlandtransport der illegalen Fracht zu organisieren, machen sich die Drogenhändler und -kartelle die Schmuggelkenntnisse und logistischen Fähigkeiten lokaler Gruppierungen zunutze.

 

So sollen sowohl einige Tuareg-Stämme als auch die aus Algerien stammende Terrororganisation »Al-Qaida des Islamischen Maghreb« (AQMI) Teil des transkontinentalen Drogenhandels sein. Diese Gruppierungen erhalten für ihre logistischen Dienstleistungen Berichten zufolge circa 2.000 US-Dollar pro Kilo geschmuggelten Kokains. Derartige Beträge addieren sich zu mehreren Millionen Dollar pro Jahr, mit denen Organisationen wie AQMI die Ausbildung und Ausrüstung für ihre politisch und religiös motivierten Kämpfer finanzieren.

 

Das Beispiel Lateinamerika lässt befürchten, dass sich die Situation in Westafrika noch verschlimmert

 

In einem 2009 mit dem Kommandeur des amerikanischen »Africa Command«, General William E. Ward, geführten Gespräch musste Touré eingestehen, dass die Gewinne aus dem Drogenhandel in Mali größtenteils direkt in die Finanzierung von Terroristen flössen. Ward äußerte darauf die Besorgnis, der malische Staat böte Drogen- und Waffenhändlern sowie Terroristen noch größere Handlungsspielräume, sollte die Regierung die schlecht kontrollierten Gebiete im Norden des Landes nicht in den Griff bekommen. Der General sollte mit seiner Befürchtung Recht behalten, wie die Ereignisse seit dem Militärputsch im April 2012 verdeutlichen: Durch Drogengelder finanzierte, separatistische, radikal religiöse und kriminelle Gruppen kämpfen seither Seite an Seite und fordern den Staat und dessen internationale Verbündete heraus.

 

Auf dem Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos im Januar 2013 erklärte auch Nigerias Präsident Goodluck Jonathan, dass die Erlöse, die in Westafrika mit dem Drogenhandel und dem Erpressen von Lösegeldern für Geiseln erzielt werden, dem afrikanischen Terrorismus Auftrieb verliehen. Die zunehmenden Verbindungen zwischen Rauschgifthändlern sowie terroristischen und militanten Gruppen sind somit ein weiteres Sicherheitsrisiko für die Region. Der ehemalige nigerianische Präsident und Vorsitzende des 2013 gegründeten Think Tanks »West Africa Commission on Drugs«, Olusegun Obasanjo, bezeichnete die ausufernde Macht des organisierten Verbrechens in Mali als »Weckruf« für andere Staaten, auf die Gefahren zu reagieren, die sich aus den Verbindungen zwischen Organisierter Kriminalität und Terrorismus ergeben – zumal diese Gefahren die Grenzen Westafrikas deutlich überschreiten.

 

Dieser Weckruf scheint deshalb mittlerweile auch Europa und die USA erreicht zu haben und hat Westafrika ins Fadenkreuz des globalen Anti-Drogen-Kampfes befördert. So begründete der französische Präsident François Hollande das jüngste Eingreifen Frankreichs in den Konflikt in Mali mit der Pflicht Europas und seines Landes, nicht nur Demokratie und Menschenwürde zu verteidigen, sondern die internationale Gemeinschaft auch vor den Gefahren des Terrorismus zu schützen. In einer Rede am 5. Februar 2013 vor dem Europäischen Parlament wies Hollande dabei dem Kampf gegen den Drogenhandel eine zentrale Rolle zu, »da der Terrorismus auf der ganzen Welt vom Drogenhandel befördert wird, insbesondere in Westafrika.«

 

Die EU sieht das Eingreifen Frankreichs und ihre eigene im April 2013 gestartete Ausbildungsmission für die malische Armee, an der sich auch die Bundeswehr beteiligt, auch unter diesen Vorzeichen. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung im März berichtete, verstehe die Union ihr Engagement als Beitrag, die miteinander verknüpften Gefahren von Drogenhandel und Terrorismus in der Sahelzone zu verringern. Auch in Zahlen verdeutlicht sich der neue Fokus des Westens, haben die USA ihre finanziellen Hilfen für Afrikas Anti-Drogenkampf doch von 7,5 Millionen US-Dollar im Jahr 2009 auf mittlerweile 50 Millionen Dollar jährlich erhöht. Inwiefern die vor allem technisch und finanziell ausgerichtete Unterstützung dazu beiträgt, den Drogenhandel tatsächlich einzudämmen, bleibt abzuwarten. Beispiele aus Lateinamerika, wo seit Jahren eine ähnliche Strategie verfolgt wird, lassen jedoch befürchten, dass sich die ohnehin angespannte Sicherheitssituation in Westafrika noch verschlimmern könnte.


Menko Behrends hat Regionalwissenschaften an der Universität zu Köln studiert und seine Diplomarbeit über organisierte Kriminalität in Zentralamerika und Westafrika geschrieben. Übernahme aus der Ausgabe 2/2013 des ADLAS – Magazin für Außen- und Sicherheitspolitik.

Von: 
Menko Behrends

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