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Saudi-Arabien und die Huthis im Jemen

Der lange Weg zum Verhandlungstisch

Analyse

Nach der Revolution tritt auch der Nordjemen in eine Phase des Übergangs. Schon seit Jahren kämpft die zaiditische Huthi-Bewegung für mehr Autonomie. Ein Konflikt, bei dem auch Nachbar Saudi-Arabien die Finger mit im Spiel hat.

Der politische Transformationsprozess im Jemen hat viele Hürden zu nehmen: anhaltende Scharmützel, eine ausgesetzte Militärreform, Anwesenheit islamistischer Militanter, eine Sezessionsbewegung im Süden und eine acht Jahre alte Rebellion einer zaiditischen Gruppe, die zur faktischen Autonomie der im Norden gelegenen Provinz Saada geführt hat. Eben jene Rebellen unter der politischen und spirituellen Führung von Abd al-Malek bin Badr al-Din al-Huthi haben jedoch auch ihren Willen zum nationalen Dialog nach den politischen Umbrüchen des Jahres 2011 bekundet.

 

Nur wenige Beobachter glauben, dass die Gruppe ihre Autorität über die die Provinz, die ihnen Schutz und politisches Kapital bietet, wieder aufgeben wird. Der Aufstand, der 2004 im Marran-Distrikt von Saada losbrach, fußt auf einer gut organisierten Gruppierung, deren militärische Strukturen ausreichen, Territorium zu kontrollieren, das bis an die Peripherien an der Grenze zu den Nachbarprovinzen Hajah im Westen und al-Jawf im Osten reicht.

 

Sowohl die Zentralregierung in Sanaa, als auch Saudi-Arabien schätzen die Bewegung als eine Bedrohung ein – letztere erkennen darin einen Versuch des Irans, an der saudischen »Südflanke« an Einfluss zu gewinnen. Die Huthis taten ihr übriges, den Anschein einer Allianz mit dem Iran zu wecken, als sie den Schlachtruf »Tod Israel, Tod den USA« übernahmen und sie weiterhin Studenten nach Teheran und Damaskus entsandten.

 

Viele Beobachter tun Anschuldigungen einer zaiditisch-schiitischen Allianz als Propaganda Saudi-Arabiens und der USA ab, obwohl inzwischen diverse Beweise für finanzielle und politische Beziehungen vorliegen. Bereits in den 1990er Jahren wurde die Kooperation thematisiert, als die iranische Botschaft in Sanaa dabei half, Krankenstationen im Marran-Distrikt zu errichten.

 

Aus dieser Gegend kam auch Hussain bin Badr al-Din al-Huthi, Führer der Huthi-Gruppierung, der 2004 von jemenitischen Soldaten getötet wurde. Bereits 2001 profitierten viele Huthis davon, dass der Iran das Verbot zaiditischer Literatur durch das von Ali Abdullah Salehs Verbündete von der Islah-Partei kontrollierte Bildungsministerium bereitwillig unterlief. So kamen zaiditische Gruppen wie die al-Schabab al-Mumineen (Gläubige Jugend) trotz der Einschränkungen für nicht-staatliche religiöse Schulen an neue Quellen für akademische und agitatorische Texte. Die jemenitische Regierung wollte unbedingt verhindern, dass zaiditische Gelehrte innerhalb der akademischen Landschaft des Landes an Einfluss gewinnen.

 

Auch Zaiditen sind zersplittert

 

Während die Gründe für die 2004 ausgebrochene Rebellion in der Marginalisierung der schiitischen Glaubensrichtung liegen, muss man bei den direkten Auslösern auch einen Konflikt innerhalb des Regimes berücksichtigen: Hussain al-Huthi war Offizier der jemenitischen Armee, seine Brüder hatten hohe Posten in der Verwaltung inne. Besonders Hussain war bereits 2000 an den Verhandlungen zu einem Grenzabkommen zwischen Jemen und Saudi-Arabien beteiligt und war dafür verantwortlich, dass die zaiditischen Stämme das Vertragswerk akzeptierten.

 

Diese Stämme hatten das Abkommen von 1934, insbesondere die saudische Herrschaft über die Gebiete Asir und Najran, nie anerkannt. Die 2000 im Gegenzug gemachten Versprechen wurden in den Augen vieler Zaiditen nicht eingehalten, was den Unmut wachsen ließ und mit zum bewaffneten Aufstand führte. Obwohl die Gruppe einige wichtige Erfolge erringen konnte, deuten Quellen aus ihrem Umfeld an, dass sie inzwischen in bis zu drei Unterfraktionen zersplittert ist, was ihre Beschlussfahigkeit deutlich einschränken könnte.

 

Nicht mehr alle führenden Mitglieder scheinen die uneingeschränkte Herrschaft Abd al-Malik al-Huthis zu akzeptieren. Gemeinsam mit seinen Brüdern sichert er sich politische Pfründe und kontrolliert die ausländische Unterstützerszene. Die Fragmentierung könnte auch negative Auswirkungen auf die Sicherheitslage an der Grenze zu Saudi-Arabien haben. Seitdem die Huthis am 23. März 2011 das Stadtzentrum von Saada eingenommen haben, konzentrierten sie sich darauf, das Gebiet zu halten und die salafistischen Gruppen in Damaj und al-Jawf nordöstlich von Saada in Schach zu halten. Zwischen April und September hielt zudem die Rivalität mit al-Islah-treuen Stämmen in der Region an.

 

Dieser Konflikt um Einfluss in der al-Jawf-Region entwickelte sich zu einem Stellvertreterkrieg der Zaiditen gegen al-Islah und deren Versuch der »Sunnitisierung« der akademischen Landschaft Jemens. Für die vom Golfkooperationsrat mandatierten Dialogrunden, zu denen sich die einzelnen Fraktionen am 23. November 2011 in Riad bereit erklärten, hat der am 21. Februar 2012 neu gewählte Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi einige Hürden zu überwinden: ein breites Spektrum an Teilnehmern der Jugendrevolution, die Sezessionsbewegung im Süden, Huthis, al-Islah, wie auch die Oppositionspartei JMP. Zwar betont Präsident Hadi, die Huthis müssten an den Verhandlungen ohne Vorbehalte teilnehmen, jedoch ist unklar, in welcher politischen Formation die Gruppierung antreten wird: als »Ansar Allah«, als Teil der al-Umma-Partei oder als zaiditische al-Haq-Partei.

 

Wer hat die Geschichte auf seiner Seite? 

 

Auch wenn jemenitische Aktivisten und Politiker den Vorwurf interreligiöser Gewalt stets zurückweisen, hat sich besonders in die Sprache der Kämpfer ein religiöser Unterton gemischt: »Wir gegen sie!« Ob Jemen jedoch neue religiöse Gewalt bevorsteht oder nicht, ist vielfach eine Frage des Geschichtsverständnisses. Beide Seiten haben einen unterschiedlichen Blick auf die fast ein Jahrtausend andauernde Herrschaft des zaiditischen Imamats in Nordjemen.

 

Viele zaiditische Familen, die sich zu den Sayyids, den Nachkommen des Propheten, zählen, beklagen seit der Revolution von 1962 und insbesondere der Wiedervereinigung 1990 eine systematische Diskriminierung ihrer Minderheit. Während die Sayyids zuvor die Elite der Gesellschaft stellten, werfen sie dem früheren Präsidenten Ali Abdullah Saleh vor, sie marginalisieren zu wollen.

 

Gleichzeitig beklagen sunnitische Jemeniten die Gewaltherrschaft der Zaiditen bis 1962. Aussöhnung auf höchster politischer Ebene bleibt ein schwieriges Unterfangen. Die jüngsten Zusammenstöße zwischen Huthi- und al-Islah-Anhängern auf dem zentralen Platz der Revolution in Sanaa sind ein Damoklesschwert über den Verhandlungen. Auch wurde die Forderung an Saudi-Arabien, die »gestohlenen« Provinzen Asir und Najran zurückzugeben, wieder lauter – eine Forderung, die keine andere Fraktion in der politischen Landschaft Jemens vertritt.

 

Es werden viel Überzeugungsarbeit und Zugeständnisse nötig sein, bis Abd al-Malek al-Huthi neben al-Islah und der Saleh-Partei »Allgemeiner Volkskongress« am Verhandlungstisch Platz nimmt. Dazu kommt, dass die neu entstandene Salafistenpartei al-Raschad noch immer daran scheitert, Gruppen wie die aus Damaj kommenden  Militanten unter sich zu sammeln. Die Lage im entlegenen Norden Jemens bleibt unübersichtlich und explosiv.

Von: 
Fernando Carvajal

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