Lesezeit: 6 Minuten
Roman »Who the Fuck is Kafka« von Lizzi Doron

Die Kluft des Konfliktes

Feature

Wieviel Überwindung ist möglich, wenn Vorurteile und Angst die Annäherung immer wieder aushebeln? Die israelische Autorin Lizzie Doron beleuchtet in ihrem neuen Roman die Grenzen der Freundschaft vor dem Prisma des Nahost-Konfliktes.

»Ich wünsche dir ein langes Leben, sagte ich aufrichtig. In meiner Situation ist nicht ganz klar, ob das ein Fluch oder ein Segen ist, erwiderte er lachend, und ich meinte die Stimme meiner Mutter zu hören.« Der Roman »Who the Fuck is Kafka« von Lizzi Doron beschreibt die komplizierte Freundschaft der jüdischen Schriftstellerin Lizzi und dem palästinensischen Fotografen Nadim. Das autobiografisch anmutende Buch spielt im Jahr 2014, beginnt aber rückblickend auf einer Konferenz von Friedensaktivisten in Rom 2011, bei der die beiden Protagonisten sich als Podiumsgäste kennenlernen.

 

Sowohl Lizzi als auch Nadim scheinen erfahren und auch routiniert im Umgang mit Treffen dieser Art in Europa, bei der sie als Stellvertreter der Konfliktparteien in die  starren Schubladen von Täter und Opfer geschoben werden. Sowohl die Anteilnahme für Nadim und damit per se alle Palästinenser als auch die Kritik an Lizzi, als vermeintliche Repräsentantin israelischer Politik muten so schwarzweiß und naiv an, einseitig allein schon vor dem Hintergrund der komplexen inneren Konflikte der Beiden.

 

Das Buch begleitet die Annäherung und die Auseinandersetzungen der beiden Menschen, zeigt ihre gegenseitige Anteilnahme aber auch die Hilflosigkeit gegenüber der Kluft, die zwischen ihnen liegt. Der Roman erzählt aus Lizzis Sicht, der Leser sieht nur durch ihre Augen, aber die Protagonistin beobachtet ihr Gegenüber genau, schwankt sie doch immer wieder zwischen Zuneigung zu ihrem Freund und ihren Vorurteilen und Ängsten. Es sind die Traumata ihrer Mutter, einer Holocaust-Überlebenden, die sich prägend auf Lizzi übertragen haben und sie immer wieder einholen. Und es ist mit mindestens gleicher Kraft ihre eigene Paranoia – resultierend aus dem andauernden Konflikt im Land und einer permanenten Anspannung, der auch die beiden Protagonisten des Romans unterliegen.

 

Aber auch Nadim scheint in seinem Verhalten gegenüber der Schriftstellerin zu schwanken, genau wie sie sucht er den Kontakt und den Austausch, scheint aber oft verletzt ob ihrer Unwissenheit gegenüber seiner Situation. Wiederholt wendet er sich anklagend an seine neue Bekannte, konfrontiert sie stellvertretend für das Volk, das seines dominiert und auch seinen persönlichen Alltag in Ostjerusalem so belastet und einschränkt.

 

Dennoch machen die beiden weiter, sowohl mit dem friedenspolitischen Engagement als auch mit der privaten Auseinandersetzung, obgleich ihre inneren und äußeren Konflikte jeglichen Glauben an eine direkte kurzfristige Wirkung ihres politischen Engagements zweifeln lassen. Gefangen sind sie in ihren Welten, unüberbrückbar scheint die Grenze zwischen Tel Aviv und Ostjerusalem, Missverständnisse, thematische Berührungsängste, angestrengtes Bemühen und auch Konflikte kennzeichnen ihre Treffen.

 

Vielleicht ist das Motiv, das sie nicht aufhören lässt, sich sowohl den Podiumsdiskussionen als auch den privaten Diskussionen auszusetzen, vor allem ein persönliches, das politische Engagement auch Selbstzweck, um den jeweiligen Vorurteilen nicht das Feld zu überlassen, sich dem Sog aus Traumata, Wut und Hilflosigkeit nicht kampflos hinzugeben. Die inneren Konflikte der Menschen in diesem andauernden Konflikt sind der rote Faden dieses Buches.

 

Der Roman endet im August 2014 während des Gaza-Krieges. Er endet offen, bietet keine Lösung, verspricht keine Hoffnungen und erscheint dennoch nicht hoffnungslos. Nadim und Lizzi verabschieden sich ins Ungewisse aber sie tun dies routiniert: »Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: Vielleicht wird ja auch ein anderer einen Film über uns machen. Schließlich werden wir am Schluss zusammen sterben. ISIS wird schon dafür sorgen, dass wir beide niedergemetzelt werden. – Wir haben immer einen Grund optimistisch zu sein, sagte ich. Und wie immer versprachen wir, uns bald wieder zu treffen.«

 


Who the Fuck is Kafka

Lizzi Doron

Dtv Premium, 2015

256 Seiten, 14,90 Seiten

 

Von: 
Katharina Kretzschmar

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.