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Pressefreiheit und Al-Jazeera

Aufstieg und Fall von Al-Jazeera

Kommentar

Auch wenn Al-Jazeera in der Vergangenheit Glaubwürdigkeit verspielt hat, sollten gerade die ägyptischen Medien mehr Solidarität mit ihren Kollegen an den Tag legen, denen zurzeit der Prozess gemacht wird, meint Politologe Asiem El Difraoui.

»All dieser Wirbel um einen Sender, der so groß ist wie eine Streichholzschachtel?«, soll sich Hosni Mubarak vor mehr als einem Jahrzehnt nach einem Besuch des damals noch kleinen Newsrooms von Al-Jazeera gewundert haben. Mittlerweile ist er wohl um eine Erkenntnis reicher – der TV-Sender war maßgeblich an seinem Sturz beteiligt. Während Ägyptens Staatsfernsehen während der Proteste Anfang 2011 den Zuschauern einen leeren Tahrir-Platz vorgaukelte, lieferte Al-Jazeera Bilder von den wirklichen Ereignissen.

 

So wurde er zu einer entscheidenden Informationsquelle. Generell haben Ägypter, wie im Übrigen die meisten Araber, dem Satellitensender aus dem Golfstaat Katar einiges zu verdanken. 1996 gegründet, revolutionierte er die verkrustete arabische Medienlandschaft. Seine Talkshows wurden zum Symbol einer damals unbekannten Rede- und Meinungsfreiheit. In heftigen Wortgefechten standen sich etwa Baathisten, Liberale und Islamisten gegenüber, oder es trafen vollverschleierte Tradionalistinnen auf Frauenrechtlerinnen im Minirock.

 

Der Sender offenbarte, dass in der arabischen Welt eine große Stimmenvielfalt herrschte und politische Alternativen existierten. Auch in Konflikten war Al-Jazeeras Berichterstattung wegweisend. Sei es nach dem 11. September 2001 in Afghanistan oder der US-Invasion im Irak 2003. Al-Jazeera machte die Araber erstmals bei der Berichterstattung aus der eigenen Region von westlichen Sendern wie CNN oder BBC unabhängig. CNN musste sogar selbst auf Al-Jazeera zurückgreifen: Das US-Network unterhielt während des »Krieges gegen den Terror« ein kleines Büro in der Redaktion des Senders, um an dessen exklusives Material heranzukommen.#


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ist eine unabhängige Gruppe aus dem Expertennetzwerk des Magazins zenith und des Vereins forum zenith e.V. zenithCouncil sieht sich als Denkfabrik und Schnittstelle zwischen den Nahost-Wissenschaften, Recht, Medien und Politik.


Gerade der ägyptische Journalismus hat Al-Jazeera einiges zu verdanken. Ägypter waren Chefredakteure des Senders und einige der renommiertesten Journalisten des Landes wurden erst durch ihre Arbeit für den Kanal aus Katar berühmt. Etwa Yosri Fouda. Der heutige TV-Superstar war jahrelang investigativer Reporter bei Al-Jazeera und hat als Einziger die Al-Qaida-Organisatoren des 11. September interviewt.

 

Ägyptens Medien bringen durch ihr Verhalten ihre eigene Arbeit in Gefahr

 

Noch rasanter als der Aufstieg des Senders erfolgte in Ägypten nur sein Fall. Dies zunächst aus Gründen, die wenig mit dem Sender selber zu tun hatten. Nach dem Sturz Mubaraks verlor Al-Jazeera in Ägypten an Bedeutung, da die Medien dort nun selbst frei berichten und diskutieren konnten. Dabei waren sie besser informiert als ihre ausländischen Konkurrenten und gewannen so zahlreiche Zuschauer. Der wirkliche Fall von Al-Jazeera jedoch begann mit der von vielen als parteiisch empfundenen Berichterstattung während der Präsidentschaft Muhammad Mursis.

 

Kenner waren schon lange vor Beginn des Arabischen Frühlings überzeugt, dass die stärkste Fraktion innerhalb der Redaktion aus Anhängern der Muslimbrüder bestand. Da auch der Emir von Katar aus geopolitischen Gründen auf die »Ikhwan« setzte, ist es wenig verwunderlich, dass der Kanal immer tendenziöser berichtete. Dies verärgerte die Ägypter, selbst jene, die den Militärs kritisch gegenüberstanden. Nach Mursis Sturz im Juli 2013 ging eine ganze Gruppe ägyptischer Journalisten bei einer Pressekonferenz zum Teil mit Gewalt auf Al-Jazeera-Kollegen los.

 

Dass Al-Jazeeras Berichterstattung oftmals der Muslimbruderschaft schmeichelte, ist kaum strittig. Dies rechtfertigt aber nicht die Inhaftierung von 20 Mitarbeitern des Senders in Kairo und ihre Anklage wegen Unterstützung und sogar Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Unter den Beschuldigten sind zahlreiche, die keinerlei Sympathien für die Muslimbruderschaft hegen, sondern schlicht dem politischen Islam weiterhin eine Stimme in den Medien geben wollten, um deren Gleichschaltung zu verhindern.

 

Mittlerweile machen sich Tausende von Journalisten weltweit für die im Gefängnis sitzenden Kollegen stark. Von einem fast hysterischen Pro-Militär-Patriotismus betört, schweigen die meisten ägyptischen Medien jedoch. Ein beschämendes Schweigen – nicht nur wegen der Verdienste des Senders in Sachen Presse- und Meinungsfreiheit, sondern weil die ägyptischen Medien durch dieses Verhalten ihre eigene Arbeit in Gefahr bringen. Sobald die Euphorie über den Fall der Muslimbrüder nachlässt und Ägyptens »liberale« Journalisten sich selbst Zensur und Einschüchterung gegenübersehen, werden sie wohl wenig internationale Sympathie und Solidarität erwarten können.


Dr. Asiem El Difraoui ist Politologe und Journalist. Er ist Autor des soeben erschienenen Buches »Ein Neues Ägypten? Reise durch ein Land im Aufbruch« (Edition Körber Stiftung).

Von: 
Asiem El Difraoui

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