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Präsidentschaftswahlen auf den Malediven

Der Fluch der Kokosnuss

Analyse
von A.S.

Die Malediven nehmen den dritten Anlauf in zwei Monaten zu gültigen Präsidentschaftswahlen. Die Konkurrenten ziehen alle Register, der Wahlkampf verkommt zur Farce. Doch die Bürger haben den Glauben an die Demokratie noch nicht verloren.

Bis zum Jahr 2008 waren Wahlen auf den Malediven eine reine Formsache. Der seit 1978 amtierende Präsident Maumoon Abdul Gayoom wurde zwar alle fünf Jahre durch ein Referendum im Amt bestätigt, gegen lästige Gegenkandidaten musste er dabei jedoch nicht antreten. Zwar ließ die Verfassung die Gründung von politischen Parteien durchaus zu, den 2001 erstmals gestellten Antrag auf Gründung einer Oppositionspartei lehnte der Präsident allerdings ab.

 

Allzu lange konnte er sich dem allgemeinen Wunsch nach einer Demokratisierung des Landes jedoch nicht entgegenstellen. Nach Unruhen sah er sich im Jahr 2005 gezwungen, der Gründung von mehreren Parteien zuzustimmen. Den vorläufigen Abschluss des erzwungenen Reformkurses stellte die Ratifizierung einer neuen Verfassung im Jahr 2008 dar. Die Malediven waren nun eine parlamentarische Demokratie mit einem Mehrparteiensystem.

 

Bei den Präsidentschaftswahlen im selben Jahr trat Gayoom gegen die Oppositionellen Mohamed Nasheed und Mohamed Waheed Hassan, seinen ehemaligen Minister Jameel Ahmed, den schwerreichen Geschäftsmann Qasim Ibrahim sowie seinen Halbbruder Abdullah Yemen an. In der Stichwahl unterlag Langzeitpräsident Gayoom seinem jungen Herausforderer Nasheed. Die großen Hoffnungen konnte der erste demokratisch gewählte Präsident der Malediven jedoch nur bedingt erfüllen.

 

Im Amt agierte der damals 41-Jährige zuweilen ungeschickt und trug so nicht unwesentlich dazu bei, dass sich die Phalanx seiner ehemaligen Mitkonkurrenten um das höchste Staatsamt schloss. Den größten Fauxpas leistete er sich, als er Anfang 2012 den vorsitzenden Richter des Obersten Strafgerichtshofs festsetzen ließ. Dieser hatte ein Korruptionsverfahren gegen Abdullah Yemen blockiert und den inzwischen wegen Verleumdung des Präsidenten inhaftierten Jameel Ahmed freigelassen.

 

Als der Richter sich weigerte, vor einer Regierungskommission zu erscheinen, um über seine Amtsführung Rechenschaft abzulegen, bat Nasheed zunächst die UN um Vermittlung. Dann aber ließ er den Richter durch das Militär abführen und ohne gerichtlichen Beschluss auf längere Zeit festsetzen. Nasheeds Amtsmissbrauch war Wasser auf die Mühlen seiner Gegner. Deutlich vor Ablauf seiner fünfjährigen Amtszeit trat der Präsident im Februar 2012 zurück. Zunächst sprach Nasheed von einem freiwilligen Rücktritt, kurz darauf jedoch von einem Putsch.

 

Die hohe Wahlbeteiligung von 88 Prozent verdeutlichte, welche Bedeutung die Malediver den Wahlen zumaßen

 

Die Amtsgeschäfte übernahm Vizepräsident Waheed, der Neuwahlen bis zum November 2013 ankündigte. Die Situation auf den Malediven war zunächst unübersichtlich. Es dauerte fast drei Monate, bis Waheed sein Kabinett durch das Parlament bestätigen lassen konnte. Im Gegenzug legte er den Wahltermin auf den Juli 2013 vor und kam damit Nasheeds Forderung nach einem möglichst frühen Termin entgegen. Fast umgehend startete der Ex-Präsident in den Wahlkampf – allerdings unter denkbar schlechten Umständen.

 

Eine vom Commonwealth, den USA und Indien unterstützte, unabhängige Untersuchungskommission erklärte den Machttransfer vom Februar 2013 für legal und verfassungsgemäß – und entkräftete Nasheeds Putschvorwurf. Außerdem sah sich der Ex-Präsident ob der unrechtmäßigen Festsetzung des Richters nun einem Verfahren wegen Amtsmissbrauch gegenüber. Damit verbunden war die Auflage, die Hauptstadt Malé nicht zu verlassen – sein Wahlkampf in dem aus 26 Atollen bestehenden Land kam so kaum in die Gänge.

 

Nach einem Verstoß gegen diese Auflage wurde Nasheed zunächst von der Polizei festgesetzt, dann jedoch wieder freigelassen. Die angespannte politische Lage führte im Verlauf der Jahre 2012 und 2013 mehrfach zu Unruhen. Nachdem die Kandidaten für die inzwischen auf den 7. September 2013 verschobenen Präsidentschaftswahlen bekanntgegeben wurden, nahm der Wahlkampf an Fahrt auf. 

 

Zusammenstöße zwischen den Anhängern verschiedener Parteien konnten jedoch größtenteils vermieden werden. Die Polizei  griff nur einmal ein, um eine mit einem Koranvers versehene Kokosnuss in Gewahrsam zu nehmen, die in der Nähe eines Wahllokales aufgefunden wurde. Anklage wurde allerdings nicht erhoben. Es handelte sich wohl eher um eine deutliche Warnung, von Praktiken der schwarzen Magie während des Wahlkampfes die Finger zu lassen.

 

Doch auch jenseits solcher Kuriositäten sollten die Wahlen von nun an einen äußerst merkwürdigen Verlauf nehmen. Die Wahlbeteiligung lag mit 88 Prozent beeindruckend hoch und verdeutlichte, welche Bedeutung die Malediver den Wahlen zumaßen. Mit Nasheed, Waheed, Yemen und Ibrahim stellten sich vier bereits im Jahr 2008 angetretene Kandidaten zur Wahl. Nasheeds Anhänger hofften, dass ihr Favorit am 7. September bereits mit mindestens 50 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang direkt in das höchste Staatsamt gewählt werden würde.

 

Der Ex-Präsident kam am Ende immerhin auf 45 Prozent, deutlich weniger erhielten seine Mitbewerber Yemen mit 26 Prozent und Ibrahim mit 24 Prozent. Amtsinhaber Waheed lag mit nur 5 Prozent der Stimmen abgeschlagen auf dem letzten Platz. Eine Stichwahl zwischen Nasheed und Yemen schien die logische Folge. Doch es kam anders. Die unterlegenen Kandidaten Yemen und Ibrahim legten beim Obersten Gerichtshof Beschwerde gegen die Durchführung des ersten Wahlganges ein und forderten dessen Annullierung.

 

Grundlage ihrer Beschwerde war ein vertrauliches Dossier der Polizei, wonach 5.623 der rund 239.000 Stimmberechtigten zu Unrecht die Wahlerlaubnis erhalten hätten. Das Parlament votierte  denoch für eine ordentliche Fortsetzung der Wahlen und die Durchführung des zweiten Wahlganges. Der Oberste Gerichtshof hingegen folgte den Beschwerdeführern und ordnete Neuwahlen unter bestimmten Auflagen an. So sollte etwa die verbindliche Akzeptanz der Wählerliste durch die Kandidaten ein erneutes Anfechten der Wahl verhindern.

 

Mit landesweiten Sitzstreiks protestierten unzufriedene Malediver gegen die Wahlabsage

 

Der Gerichtsbeschluss rief auf internationaler Ebene Erstaunen hervor-Die USA, die UN und Indien hatten die Durchführung der Wahlen mit mehreren Millionen Dollar unterstützt, Wahlbeobachter von fairen und freien Wahlen gesprochen. Der Oberste Gerichtshof zeigte sich jedoch unerbittlich und untersagte der Wahlkommission die Fortführung der Vorbereitungen für den zweiten Wahlgang – und ordnete an, diese Forderung im Zweifelsfall unter Einsatz von Gewalt durchzusetzen.

 

Erst am 10. Oktober wurde der 19. Oktober als Termin für die Neuwahlen festgelegt. In Rekordzeit stellte die Wahlkommission ein überarbeitetes Wählerverzeichnis zusammen. Doch je näher dieser Termin rückte, umso größer wurden die Zweifel. Yemen und Ibrahim weigerten sich schlichtweg, das Wählerverzeichnis anzuerkennen und erklärten, mehr Zeit für dessen Prüfung zu benötigen. Die Polizei unterstützte die Wahlkommission zunächst dennoch bei der Verteilung von Wahlurnen auf die rund 200 bewohnten Inseln der Malediven.

 

Doch noch am Morgen des Wahltages wendete sich das Blatt. Die eben noch hilfsbereite Polizei besetzte das zentrale Wahlbüro und beschlagnahmte wichtige Wahlunterlagen. Die Wahlen wurden abgesagt. Gewaltsamen Reaktionen blieben jedoch aus – unzufriedene Malediver landesweit wählten als Protestform den Sitzstreik. Am nächsten Tag machte der Wahlleiter seinem Ärger in einer Pressekonferenz Luft.

 

Die von der Polizei ehedem postulierte Ungültigkeit der 5.623 Wählerstimmen sei in den meisten Fällen durch die schwierigen Namensverhältnisse auf den Malediven oder Adressenänderungen zustande gekommen. Trotz Übereinstimmung von Person, Ausweisnummer und Wählerverzeichnis hätte die Polizei die Wahlberechtigung der Betroffenen negiert. Nasheed schlug in dieselbe Kerbe und machte den Verteidigungsminister sowie den diesem nachgeordneten Polizeichef als Hauptschuldige der Misere aus.

 

Aus Furcht vor Amtsverlust im Falle seiner Wiederwahl hätten sie die Wahl bewusst verschleppt. Der Polizeichef wies alle Anschuldigungen zurück und bezichtigte seinerseits die Wahlkommission der Schlamperei. Der unterlegene Kandidat Ibrahim sprang ihm bei und forderte sogar die Bestrafung von Mitgliedern der Wahlkommission, da diese sich den Anweisungen des Obersten Gerichtshofes entgegengesetzt hätten. Ungeachtet aller Schuldzuweisungen setzte der Wahlleiter den 9. November als Termin für einen weiteren Anlauf des Wahlgangs an. etwaige Stichwahl würde eine Woche später stattfinden.

 

Haben Nasheeds Gegner das politische Chaos bewusst herbeigeführt?

 

Die stete Verschiebung des Wahltermins bringt  rechtliche Probleme mit sich. Die Verfassung der Malediven sieht nämlich eigentlich vor, dass zwischen der ersten und zweiten Wahlrunde mindestens 21 Tage verstreichen müssen und zudem die Präsidentschaftswahlen spätestens 30 Tage vor Ablauf der Regierungsperiode des Amtsinhabers abzuhalten sind. Diese Fristen wären bereits bei der für den 19. Oktober anberaumten Wahl nicht eingehalten worden.

 

Nach dem Ende von Waheeds Amtsperiode am 11. November droht nun ein Interregnum in der rechtlichen Grauzone. Denn falls am 9. November kein Kandidat mit mindestens 50 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang gewählt werden wird, stehen die Malediven bis zum 16. November ohne gewähltes Staatsoberhaupt dar – ein Fall, der in der Verfassung nicht vorgesehen ist und durch die oben genannten Bestimmungen eigentlich vermieden werden soll.

 

Einer erneuten Anfechtung der Wahlen und einer Fortsetzung des Kompetenzgerangels zwischen Legislative, Judikative und Exekutive sind damit Tür und Tor geöffnet. Doch auch wenn alle Konkurrenten mit harten Bandagen kämpfen, bewegt sich die Auseinandersetzung bislang  in einem verfassungsgemäßen Rahmen. Allerdings drängt sich immer mehr der Eindruck auf, Nasheeds Gegner führten das politische Chaos bewusst herbei, um in der Bevölkerung den Ruf nach der »starken Hand« zu wecken.

 

Erfolgreich wäre dieser Versuch aber wahrscheinlich nicht. Die hohe Wahlbeteiligung hat das Interesse der Malediver an einer funktionierenden Demokratie unter Beweis gestellt. Und die meisten Bürger wünschen sich vermutlich eine stabile Regierung, die endlich jene Probleme angeht, die sich in der kurzen Amtszeit Waheeds nicht gebessert sondern teilweise sogar verschlimmert haben: Armut, Wohnungsmangel, verbreiteter Drogenmissbrauch und Bandenkriminalität.

 

Der Unmut über diese Missstände sowie die Unzufriedenheit über mangelnde politische Partizipation hatte die Bevölkerung schließlich vor weniger als zehn Jahren dazu veranlasst, den demokratischen Wandel zu erzwingen. So schnell werden die Malediver von ihrer Demokratie nicht lassen.

Von: 
A.S.

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