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Politischer Wandel im Jemen

Ämter-Tauziehen um Jemens Zukunft

Analyse

Der politische Wandel ist in Sanaa angekommen. Reformer und die Familie des früheren jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Saleh ringen um Einfluss – eine Schlüsselrolle spielt das Militär.

Nach Monaten des politischen und militärischen Patts unterzeichnete der damalige jemenitische Präsident Ali Abdullah Saleh im November 2011 ein Abkommen des Golfkooperationsrats (GCC), welches die politische Krise des Jemens beenden sollte – besiegelt wurde seine Präsidentschaft durch Wahlen am 21. Februar 2012. Seitdem sprechen einige internationale Beobachter und westliche Politiker vom Jemen als Vorbild für friedlichen politischen Wandel im Nahen Osten.

 

Auch der deutsche Außenminister Guido Westerwelle, der Anfang des Jahres das südlichste Land der arabischen Halbinsel besucht hatte, lobte den Jemen als ein mögliches Modell für Syrien. Das Land befinde sich nun in einem »Übergangsprozess« zur Demokratie, so Außenminister Westerwelle. Doch tatsächlich geht der Kampf um die Zukunft des Staates ungebrochen weiter. Ali Abdullah Saleh versucht weiterhin seinen Einfluss in der Politik geltend zu machen. Wie viel ist dran am Mythos des Wandels?

 

Eine »Jagdlizenz« für Ali Abdullah Saleh?

 

Das GCC-Abkommen hat nicht die Prozesse angestoßen, die sich die jungen Demonstranten auf der Straße erhofft hatten. Formal erreichten sie eins ihrer Ziele, die Absetzung Ali Abdullah Salehs. Doch viele Protestierende wurden durch Tunesien und Ägypten inspiriert und hofften auf einen sofortigen Sturz des herrschenden Regimes. Stattdessen gewährleistet das GCC-Abkommen, dass ein Großteil gerade jener Eliten, die das Saleh-Regime in der Vergangenheit unterstützt hatten, auch in Zukunft eine politische Rolle im Land spielen werden.

 

Auch eine Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung beinhaltet das Vertragswerk, eine Klausel, die viele Internetaktivisten zynisch mit einer »Jagdlizenz« verglichen. Dank der Aussicht, nicht belangt zu werden, hätte das Regime monatelang ungestraft auf Demonstranten schießen können.

 

Die Jugendbewegungen, die im Volksmund »al-Shabab« genannt wird, beklagt, während der Verhandlungen um das Dokument außen vor geblieben zu sein. Andere Oppositionsgruppen, insbesondere die Hirak-Bewegung, die seit 2009 einen unabhängigen Staat im Süden des Landes fordert und die Houthi-Bewegung, die sich im Laufe des Arabischen Frühlings weitgehende Autonomie im Norden erringen konnte, waren ebenfalls nicht Teil der Gespräche.

 

Dennoch wurde mit dem Abschluss des GCC-Abkommens eine zumindest vorläufige Befriedung des Konflikts innerhalb der Elite erreicht. Nach steigendem internationalen Druck sah sich Saleh schließlich gezwungen, zu unterzeichnen und einen Kompromiss mit der Opposition einzugehen. Mit Abed Rabbo Mansur Hadi, bislang Vizepräsident, konnte ein Konsenskandidat für die Wahlen im Februar gefunden werden. Der Elitenkonflikt um die Zukunft des jemenitischen Staates verlagert sich von der Straße in die Regierung.

 

Das GCC-Abkommen ermöglicht Veränderung des Machtgefüges

 

Die aktuelle Einheitsregierung schafft Möglichkeiten für Oppositionelle, Reformen anzustoßen. Beispielsweise befinden sich das Finanzministerium und das Ministerium für Internationale Zusammenarbeit in den Händen der früheren Opposition. Erstmals haben verschiedene Fraktionen direkten Einfluss auf den Staatsapparat. Viele einflussreiche Behörden, so das Ölministerium, verbleiben jedoch in den Händen der Regierungspartei »Allgemeiner Volkskongress« (AVK), zu deren Vorsitzenden Ali Abdullah Saleh inzwischen ernannt wurde.

 

Den Einfluss der Saleh-Familie auf das Militär des Landes einzuschränken, ist ein weiteres Anliegen. Am 6. April hat Präsident Hadi dementsprechend weitreichende Personalwechsel veranlasst und Familienmitglieder des ehemaligen Präsidenten abgesetzt. Mohammed Saleh Al-Ahmar, ein Halbbruder des Präsidenten, wurde als Chef der Luftwaffe abgelöst, die Kampfflieger sollen fortan direkt dem Verteidigungsminister unterstellt sein. Tarek Saleh, ein Neffe des ehemaligen Präsidenten und Anführer der Präsidentengarde, wurde ebenfalls entlassen.

 

Jedoch stießen diese Maßnahmen auf Widerstand. Mohammed Saleh weigerte sich die Entscheidung anzunehmen und drohte damit, Flugzeuge, die auf dem Flughafen Sanaa landen, anzugreifen. Infolge der Ankündigung wurde der Flughafen der Hauptstadt vorübergehend gesperrt – Präsident Hadi drohte dem General mit dem Militärgericht.

 

Auch die Erinnerungsfeiern zum »Freitag der Würde«, als am 18. März 2011 mehr als 50 Demonstranten in Sanaa erschossen wurden, waren Anlass für Säbelrasseln. Während Premierminister Muhammad Basindwa dem früheren Präsidenten vorwarf, den Schießbefehl erteilt zu haben, drohte dieser damit, seine Parteikollegen aus der Regierung abzuziehen.

 

Herrscht die Saleh-Familie weiter?

 

Besonders die Republikanischen Garden spielen für die Saleh-Familie eine wichtige Rolle, da sie – mit Ahmed Ali an der Spitze - noch immer als loyal gelten. Mit einer Massenhochzeit für Soldaten versuchte sich Saleh auch die Gunst der niederen Ränge zu erkaufen. Ahmed Ali, der die Republikanischen Garden anführt, wird kaum aus seiner Position zu entheben sein, setzen doch jetzt viele Saleh-Unterstützer auf die jüngere Saleh-Generation. Mohammed Al-Shayef, der Sohn eines mächtigen Stammesanführes, verkündete dementsprechend, dass der AVK Ahmed Ali als Präsidentschaftskandidat für die nächsten Wahlen nominieren würde.

 

Die direkte Konfrontation mit Präsident Hadi möchte Ahmed Ali bislang jedoch vermeiden und inszeniert sich stattdessen als Garant der Verfassung. Kaum waren Halbbruder und Neffe des ehemaligen Präsidenten aus ihren Ämtern enthoben, sagte Ahmed Ali in einer Ansprache an seine Truppen, dass seine Republikanische Garde Präsident Hadi und die Verfassung schützen würden. Eine Taktik, um sich selbst und seine Position innerhalb des Militärs zu legitimieren.

 

Das Tauziehen innerhalb der Regierung wird weitergehen. Dabei können weitere gewaltätige Konflikte nicht ausgeschlossen werden. Doch auch falls die Restrukturierung des Militärs gelingt, und die Saleh Familie aus ihren Positionen verdrängt wird, sind noch immer die Interessen der einzelnen Regionen des Landes zu berücksichtigen. Insbesondere im Süden werden die Rufe nach Unabhängigkeit vom Rest des Staates immer lauter. Auf die desaströse Wirtschaftslage und Al-Qaida, die im Süden eine ganze Region unter Kontrolle haben, muss auch eine Antwort gefunden werden.

Von: 
Mareike Transfeld

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