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Politische Reformen im Sudan

Leeres Geschwätz im Freundschaftssaal

Analyse

Sudans Regierung versucht mit Ankündigungen politischer Reformen im Inland und Diplomatie auf internationalem Parkett zu punkten. Doch diese Strategie zielt nicht auf Öffnung, sondern eher auf eine Zementierung des politischen Systems.

Der sudanesische Präsident Omar al-Baschir, der in seinen Reden sonst eher undiplomatisch politische Gegner ins Abseits poltert, spricht nun in verklausulierten Sätzen. In dem von China spendierten »Freundschaftssaal« präsentiert er in einer langen Ansprache die Eckpfeiler seiner politischen Ziele, die Khartum aus der politischen und wirtschaftlichen Krise heben sollen: »Das Ende des Krieges im eigenen Land, eine freie politische Landschaft, der Kampf gegen die Armut und die Wiederbelebung der nationalen Identität.«

 

Da war sie also, die lange herbeigesehnte Überraschung, die selbst der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter angekündigt hatte, als er Ende Januar 2014 in Khartum zu Besuch war. Die Reaktion jedoch fiel verhalten aus: Oppositionelle, von denen manche dem Ereignis überraschend beiwohnten, zeigten sich weder über die Eloquenz noch von den eigentlichen Zielen ihres Präsidenten beeindruckt: Es mangle an Substanz, beschwerte sich der Anführer der oppositionellen »Revolutionären Front des Sudan« Malik Agar in der darauffolgenden Pressekonferenz.

 

Die Rede sei »kalām fāḍy« – leeres Geschwätz, kommentierte ein sudanesischer Student im Gespräch. Zwar wird kurz darauf das Verbot der Tageszeitung Ray al-Sha'b der oppositionellen Volkskongresspartei von Baschirs früherem Chefideologen Hasan al-Turabi aufgehoben. Nach der Rede vergehen jedoch nur wenige Tage, bis frühere Tageszeitungen die neuen »politischen Freiheiten« erfahren dürfen: Ihre Dienstagausgaben werden von der Presseaufsicht wieder einmal zurückgehalten.

 

Inwieweit ist Baschir noch Herr im eigenen Haus?

 

Das jüngste Verhalten der politischen Elite Khartums ist im Kontext der vergangenen Monate zu verstehen: Im Herbst 2013 war eine Reihe studentischer Proteste gewaltsam niedergeschlagen worden, als diese die Aufhebung wichtiger Lebensmittel- und Treibstoffsubventionen zum Anlass nahmen, zum Sturz des Regimes aufzurufen. Schon während der Ausschreitungen meldeten sich innerhalb der regierenden Nationalen Kongresspartei Stimmen zu Wort, die im Zuge der mehr als 200 getöteten Demonstranten ungewohnt direkt Herrschaftskritik übten.

 

Etwas voreilig berichteten ausländische Medien, der Arabische Frühling könnte nun im Sudan angekommen sein. Seitdem scheint unklar, inwieweit Baschir noch Herr im eigenen Haus ist: Als Reaktion auf die Krise wurde am 8. Dezember nahezu das gesamte Kabinett umgekrempelt. Selbst treue Gefolgsmänner und Vordenker des islamistischen Regimes, das 1989 an die Macht kam, wie beispielsweise Vizepräsident Ali Osman Taha, mussten ihre Plätze räumen.

 

Ersetzt wird die alte Garde nicht von einer inklusiven nationalen Übergangsregierung, wie vom Führer der oppositionellen Ummah-Partei, dem ehemaligen Präsidenten Al-Sadiq Al-Mahdi, gefordert wurde. Stattdessen nehmen nun hochrangige Militärs und Mitglieder von Baschirs Ja’ali-Stamm am Kabinettstisch Platz. Die Strategie zum Machterhalt scheint klar zu sein: Eine Kombination aus Vetternwirtschaft und einer engeren Beziehung zur Exekutive soll für innerparteiliche Stabilität sorgen.

 

Die Rede Baschirs im »Freundschaftssaal« stellt einen weiteren Schritt auf dem Weg zur erhofften innenpolitischen Konsolidierung dar. Die Rede ist von einem »nationalen Dialog«, an dem die Regierung und Oppositionsparteien teilnehmen sollen, um über die politische Situation im Lande zu beraten. Die Opposition, von der sich Teile noch sträuben, soll sowohl Repräsentanten der rebellierenden Fraktionen aus den Staaten Darfur, Südkordofan und Blauer Nil als auch in Khartum ansässige Oppositionsparteien umfassen.

 

Ihre Skepsis ist nicht unbegründet: Eine Abstimmung über mehr regionale Selbstbestimmung beispielsweise, die im »Protokoll zur Beilegung des Konflikts in Südkordofan und Blauer Nil« (2004) für 2011 abgekündigt wurde, fand schlichtweg nicht statt.   

 

Der Konflikt im Süden – eine Chance für den Norden?

 

Die internationale Presse beschäftigt sich im Rahmen der Krise im südsudanesischen Bruderstaat jedoch nur wenig mit den Vorgängen im Norden. Dabei lohnt es sich, das Auftreten Khartums am Verhandlungstisch im äthiopischen Addis Abeba zumindest zur Kenntnis zu nehmen. Während der südsudanesische Präsident und ehemalige Vizepräsident des geeinten Sudans, Salva Kiir, noch immer im Konflikt gegen die Anhänger seines Rivalen Riik Machars um die Kontrolle über sein junges Land ringt, hütet sich Khartum davor, im Nachbarland Partei zu ergreifen.

 

Bei den Friedensverhandlungen, vor allem als Mitglied im Staatenverbund »Intergovernmental Authority on Development« (IGAD), traten Präsident Baschir und sein Außenminister Ali Karti in einer Vermittlerrolle auf, und setzten sich für ein Waffenstillstandsabkommen und eine schnelle Resolution des Konflikts ein. Die seltene Diplomatie Khartums, die sich maßgeblich vom Verhalten Ugandas im Konflikt unterscheidet, wirft Fragen bezüglich ihrer Motive auf.

 

Nicht von der Hand zu weisen sind wirtschaftliche Interessen des Nordens im Süden: Noch immer erhält Khartum einen signifikanten Anteil aus den Gewinnen der Ölförderung in dieser Region. Schon während der Friedensverhandlungen gab es Initiativen, gemeinsam die Ölproduktion zu sichern, eventuell sogar mit vereinten Streitkräften, so Ali Karti im Januar. Jedoch kann das Verhalten der sudanesischen Regierung in Addis Abeba ebenfalls als außenpolitische Neuausrichtung gelesen werden, die zum Ziel hat, den gebeutelten Ruf Khartums auf dem internationalen Parkett aufzubessern.

 

Al-Dideeri Mohamed, Chef der außenpolitischen Abteilung der Nationalen Kongresspartei, spricht dabei von einer internationalen Rehabilitierung nach dem Muster von Iran. Seit dem Regierungswechsel 2013 zeigt sich Teheran nach langen Konfrontationen mit dem Westen und seinen Nachbarn in Nahost um das iranische Atomprogramm kompromissbereit, was mit der Lockerung drückender Sanktionen belohnt wird.

 

Hoffen auf die Lockerung der US-Sanktionen

 

Ob diese Rechnung auf internationaler Ebene aufgehen wird, bleibt abzuwarten. Eine Lockerung der US-Sanktionen, die seit 1997 den Sudan von weiten Teilen des globalen Wirtschaftsprozesses isolieren, würde Khartum vor allem innenpolitisch dienen, da eine wirtschaftliche Erholung eine politische Entspannung nach sich ziehen dürfte. Doch könnte diese Diplomatie auf internationaler Ebene auch das Ansehen der Regierung im Inland wiederherstellen?

 

Eine allzu weit hergeholte Vermutung. Hierfür fehlen Anzeichen auf einen tatsächlichen Wandel im heimischen politischen System. Die politische Rhetorik hat sich in den vergangenen Monaten geändert, jedoch scheint das Ziel der Regierung nach wie vor dasselbe zu sein, obgleich es mit neuen Mitteln erreicht werden soll: die innerparteiliche Machtkonsolidierung Baschirs via Kabinettsbesetzung mit führenden Militärs und Stammesmitgliedern; die Entschärfung des rauen Tons in der politischen Landschaft Khartums und außerhalb; der Versuch, den Ruf des »Schurkenstaats« auf internationaler Ebene los zu werden.

 

All diese Anstrengungen deuten eher auf eine Zementierung der Macht Baschirs hin als auf das »junge Blut« in der Politik, das er noch im März 2013 angekündigt hatte. Alles also nur leeres Geschwätz?

Von: 
Jakob Dragendorff

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