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Podiumsdiskussion zu Konfessionalismus

Das Gespenst der Fitna

Feature

Im Hamburg diskutierten Experten über die Frage, ob interreligiöse Spannungen die Zukunft der Region prägen werden. Gibt es einen Ausweg aus dem »kalten Krieg« zwischen sunnitischen und schiitischen Mächten?

Stehen die politischen Entwicklungen des Nahen Ostens im Zeichen eines Konfliktes zwischen Sunniten und Schiiten? Hat der Arabische Frühling die Spannungen zwischen den Religionsgemeinschaften im multikonfessionellen Orient verstärkt? Nutzen Staaten wie Saudi-Arabien und Iran als selbst ernannte Schutzmächte der Konfessionen dies für ihre Interessen? Über diese Fragen diskutierten vier Experten am Donnerstag der vergangenen Woche auf Einladung der Veranstalter der »Kulturwochen Mittlerer Osten« und des Magazins zenith – Zeitschrift für den Orient in Hamburg.

 

Der irakische Geistliche Sayyed Jawad al-Khoei war dazu aus Najaf, der irakischen Hauptstadt des Schiitentums, angereist und beklagte dabei unter anderem die Politisierung des schiitisch-sunnitischen Verhältnisses in seiner Heimat.

 

Die Frage des Moderators und zenith-Herausgebers Daniel Gerlach, ob die Geistlichkeit die politische Mehrheit schiitischer Parteien im irakischen Parlament für eine verstärkte Einflussnahme nutzen wolle, verneinte al-Khoei. »Wir legen Wert auf eine klare Distanz zu den politischen Entscheidungsträgern«, sagte der Geistliche, der einer der bedeutendsten irakischen Klerikerfamilien entstammt. Die Angst der sunnitischen Bevölkerungsminderheit vor einem Erstarken der Schia im Irak könne er nicht nachvollziehen.

 

Ein Grundproblem der westlichen Wahrnehmung der Schia sei, dass diese gemeinhin mit den Machtansprüchen der Islamischen Republik Iran identifiziert würden. Die irakische Geistlichkeit lehne die Einmischung der Theologen in tagespolitische Belange in ihrer Mehrheit ab, fügte al-Khoei hinzu.

 

Naseef Naeem, Staatsrechtler, Anwalt und Experte für Verfassungsdiskurse in der arabischen Welt kritisierte, dass es bislang nur unzureichend gelungen sei, die konfessionellen Konflikte im Irak durch gesetzliche Regelwerke einzudämmen.

 

Der Springteufel ist aus dem Kasten

 

Der Islamwissenschaftler Spiegel-Reporter Christoph Reuter, der mehrere Jahre in Bagdad gelebt hat, nannte das wechselseitige Misstrauen zwischen Sunniten und Schiiten einen »Springteufel« der irakischen Politik. »Es ist möglich, ihn einzusperren, aber in regelmäßigen Abständen lässt ihn jemand heraus und nutzt ihn für die eine oder andere politischen Agenda«, umschrieb Reuter dessen Wirkung.

 

Daran anknüpfend erklärte Rainer Brunner, Islamwissenschaftler in Freiburg und Paris und einer der führenden Experten zur islamischen Konfessionsgeschichte, die historischen Zusammenhänge des schiitisch-sunnitischen Antagonismus und seiner mitunter gewalttätigen Form (Fitna). Gemeinhin würde diese in den frühislamischen Auseinandersetzungen zwischen der Nachkommenschaft des Propheten Muhammad unter dessen Schwiegersohn Ali und der arabischen Dynastie der Umayyaden verortet.

 

Mit Safawiden und Osmanen wurde aus Theologie Geopolitik

 

Brunner wies jedoch darauf hin, dass der eigentliche Wendepunkt hin zu einem überregional wirksamen Konflikt keinesfalls in der Frühzeit des Islams zu suchen sei: Erst mit dem Aufstieg der Safawiden-Dynastie im Iran (1501-1722) sei der Schiismus erstmalig zur Staatsreligion eines Reiches erklärt worden. Die Safawiden hätten die schiitische Karte im Kampf um die Vorherrschaft gegen die sunnitischen Osmanen ausgespielt. »Die bis dahin eher theologischen und sozialen Konflikte zwischen den Konfessionen erhielten erst damals jene machpolitische Dimension, die sie bis heute prägt«, sagte Brunner.

 

Auch die konfessionellen Spannungen in Syrien waren Thema der Diskussion: Christoph Reuter vertrat dabei die Ansicht, das Assad-Regime schüre die Angst der religiösen Minderheiten, insbesondere der Alawiten und der Christen, vor einem Religionskrieg. Die Darstellungsweise der Regierung, wonach der Aufstand von sunnitisch-islamistischen Kräften geführt werde, treffe seiner Einschätzung nach nicht zu. Dass die führenden Vertreter der christlichen Kirchen ihre Unterstützung für Assad bekundet hätten, sei einerseits Ausdruck von Angst, andererseits dem Bedürfnis geschuldet, Privilegien zu verteidigen.

 

Der Jurist Naseef Naeem kritisierte in diesem Zusammenhang die Berichterstattung westlicher Medien, die die konfessionellen Spannungen und die Ängste religiöser Minderheiten vor einem »irakischen Szenario« weitgehend ausgeblendet hätten.

Von: 
Robert Chatterjee

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