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Palästinensischer Politiker Marwan al-Barghouthi

Volkstribun hinter Gittern

Portrait

Auch aus dem Gefängnis übt Marwan al-Barghouthi großen Einfluss auf die palästinensische Politik aus. Die Mehrheit der Israelis assoziiert den Fatah-Politiker vor allem mit der blutigen Zweiten Intifada.

Marwan al-Barghouthi war 15 Jahre alt, als er sich Yassir Arafats Fatah-Bewegung anschloss und sogleich mit einigen Weggefährten die Jugendorganisation Schabibeh gründete. Diese »Junge Garde« war im Gegensatz zu der seit Jahrzehnten aus dem Exil heraus operierenden Fatah-Führung fest im Westjordanland und im Gazastreifen verwurzelt und tagtäglich mit der israelischen Besatzung konfrontiert – Konflikte schienen damit langfristig vorprogrammiert zu sein.

 

Als die Palästinenser in der Ersten Intifada (»Abschüttelung«) ab 1987 aufbegehrten, waren es zunächst auch lokale Persönlichkeiten, die den Ereignissen ihren Stempel aufdrückten. Barghouthi stieg zu einer der Führungsfiguren der Proteste auf; die israelische Armee nahm den 28-Jährigen fest und deportierte ihn nach Jordanien. Dort und später in Tunis, wo Barghouthi als bislang jüngstes Mitglied in den Revolutionsrat der Fatah gewählt wurde, koordinierte er die Aktivitäten zwischen der Schabibeh und der Exil-Führung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO).

 

»Widerstand ist ein heiliges Recht des palästinensischen Volkes, um der israelischen Besatzung zu begegnen«

 

Im Rahmen des Osloer Friedensprozesses, den Barghouthi anfangs lautstark unterstützte, kehrte der Politik-und Geschichtswissenschaftler ins Westjordanland zurück. Unmittelbar nach seiner Ankunft 1994 gründete er ein Komitee mit dem Ziel, die Fatah in eine moderne, zivile und auf die Palästinensischen Gebiete konzentrierte Partei umzuwandeln. Dadurch geriet er zusehends in Konflikt mit der »Alten Garde«; diese verstand die Fatah weiterhin als revolutionäre Bewegung, die sowohl die Diaspora als auch die von Israel besetzten Gebiete repräsentiere.

 

Barghouthi kritisierte das Machtmonopol, das Arafat und seine Weggefährten institutionalisierten. Um die Fatah personell zu erneuern und der grassierenden innerparteilichen Korruption den Kampf anzusagen, forderte er vehement die Abhaltung des mehrfach verschobenen Generalkongresses. Die Spannungen wurden 1996 schließlich überdeutlich, als Barghouti für die offizielle Fatah-Liste bei den Parlamentswahlen nicht berücksichtig wurde.

 

Er trat daraufhin als Unabhängiger in seinem Heimatbezirk Ramallah an und konnte sich auf seinen starken Rückhalt in der Bevölkerung verlassen – mühelos zog er ins Parlament ein. Barghouthis zunehmend kritische Sicht auf den Friedensprozess spiegelte das Empfinden vieler Palästinenser wider. Hatte er anfangs noch enge Beziehungen zu israelischen Politikern gepflegt, begann Barghouthi Ende der 1990er Jahre angesichts des anhaltenden Siedlungsbaus Israels Bereitschaft zu einem Kompromiss zu hinterfragen.

 

Ab November 2000 befürwortete er einen konfrontativen Ansatz; von ihm organisierte und angeführte Massenproteste wurden zunehmend gewalttätig. Dementsprechend wurde der medienpräsente Aktivist in Israel als Anstifter und Personifizierung der Zweiten Intifada wahrgenommen, den die israelische Armee zudem beschuldigte, hinter einigen blutigen Anschlägen zu stecken.

 

Barghouthi kritisierte das Machtmonopol der Exil-Führung um Arafat

 

Nachdem sein Konvoi im April 2001 von israelischen Raketen beschossen worden war, tauchte Barghouthi für über ein Jahr unter – im August 2002 wurde er schließlich verhaftet. Es folgte ein zweijähriger Prozess, den die Interparlamentarische Union als »unfair« kritisierte und an dessen Ende eine fünfmal lebenslängliche Haftstrafe stand. Auch im Gefängnis übt Barghouti großen Einfluss auf die palästinensische Politik aus. Er trat einerseits als Vermittler zwischen der Hamas und der Fatah auf; andererseits versuchte er, letztere aus der Zelle heraus zu erneuern.

 

Dabei schreckte er auch nicht davor zurück, eigene Wahllisten aufzustellen und somit auf Konfrontationskurs zu den Veteranen des Zentralkomitees zu gehen, dem er seit 2009 selbst angehört. Um sein erklärtes Ziel zu verwirklichen, Mahmud Abbas als Palästinenserpräsident abzulösen, ist Barghouthi auf die Hilfe von ebendiesem angewiesen. Denn realistische Chancen auf Freilassung hat er nur im Rahmen eines Gefangenenaustauschs. Bis dahin bleibt Barghouthi nichts anderes übrig, als weiter hinter den Kulissen die Strippen zu ziehen – was ihm bislang bemerkenswert gut gelang.

Von: 
Christoph Dinkelaker

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