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Nach dem Abtritt von Präsident Ali Abdullah Saleh

Auf die Garden kommt es an

Analyse

Sechs Monate nach dem Abtritt von Präsident Ali Abdullah Saleh tobt der Elitenkonflikt in Sanaa weiter. Doch um einen politischen Wandel zu ermöglichen, muss die Umstrukturierung des Militärs voranschreiten.

Am 13. September stürmten Demonstranten die Amerikanische Botschaft in Sanaa. Aufgebracht durch den plump inszenierten, islamfeindlichen Trailer eines dubiosen, vorgeblichen Filmemachers, verbrannten sie die Flagge der Botschaft und steckten einige Autos in Brand. Sicherheitskräfte schossen mit scharfer Munition, um die Demonstranten aufzuhalten.

 

Trotzdem ist es den Demonstranten gelungen, in das Botschaftsgelände einzudringen – obwohl die US-Botschaft eigentlich einer Festung gleicht. Wie es dem aufgebrachten Mob gelungen ist, so weit vorzudringen, ist unklar. Auf der jemenitischen Straße wird angenommen, dass die jemenitischen Sicherheitskräfte den Angriff zugelassen haben.

 

Videoaufnahmen scheinen zu bestätigen, dass Soldaten am Eingang der Botschaft die Randalierer ungehindert passieren ließen. Die Bilanz nach dem Sturm auf das Botschaftsgelände: Ein Toter und dutzende Verletzte. Einige Tage zuvor, am 11. September 2012, explodierte in der Innenstadt Sanaas eine Autobombe.

 

Ziel des Anschlags war der Verteidigungsminister der jemenitischen Übergangsregierung, Mohammed Nasser Ahmed. 12 Zivilisten und Sicherheitskräfte starben bei dem Attentat, der Verteidigungsminister überlebte. Sowohl die Ausschreitungen an der US-Botschaft, als auch der Anschlag auf Ahmed machten die Instabilität und den Mangel an Sicherheit im Land erneut deutlich.

 

Beobachter vermuteten schnell den jemenitischen Al-Qaida-Zweig hinter dem Attentat. Und aus gutem Grund, denn schließlich versuchte Al-Qaida bereits im Mai den Minister zu töten. 100 Soldaten kamen damals ums Leben. Doch bald ergab sich ein anderes Bild. Wenige Stunden nach dem Attentatsversuch wechselte Präsident Hadi Regierungsmitglieder und Staatsbeamte aus.

 

Die Vermutung lag nun nahe, dass der ehemalige Präsident Ali Abdullah Saleh hinter dem Anschlag stand. Unter anderem war der Chef der Nationalen Sicherheit, Ali Al-Anesi, von den Personaländerungen betroffen. Genau wie alle anderen ausgewechselten Personen stand auch Al-Anesi dem ehemaligen Präsidenten nahe. 

 

Den Umstand, dass die Übergangsregierung nicht im Stande ist für Sicherheit zu sorgen, nutzen Saleh-Anhänger, um den neu gewählten Präsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi und das vom Golfkooperationsrat (GCC) ausgehandelte Abkommen zu de-legitimieren. Seit der Wahl Hadis, kam es immer wieder zu bewaffneten Konflikten zwischen Anhängern des ehemaligen Präsidenten und jenen, die einen politischen Wandel befürworten. Trotzdem wagt die Übergangsregierung Schritte, die die GCC-Initiative vorsieht – insbesondere in Hinsicht auf die Umstrukturierung des Militärs.   

  

Präsident Hadi hat sich für den politischen Wandel entschieden

 

Während seiner 33 Jahre andauernden Präsidentschaft entwickelte sich das Militär zunehmend zu einem Familienunternehmen. Schlüsselpositionen wurden mit Familienmitgliedern, andere wichtige Posten mit Mitgliedern des Präsidentenstamms Sanhan besetzt. Während der Monate des Arabischen Frühlings 2011 bildeten insbesondere die Republikanischen Garden und die Zentralen Sicherheitskräfte das Rückgrat des Saleh-Regimes.

 

Doch mit General Ali Mohsen und seinen Truppen, sowie den Stammeskriegern der Al-Ahmar-Familie auf Seiten der Opposition, standen die Truppen Salehs einem ebenbürtigen Gegner gegenüber. 

 

Mit dieser Konstellation entstand ein Machtgleichgewicht, das letztendlich den Abschluss des GCC-Abkommens und damit die Abwahl Salehs ermöglichte. Doch Saleh verbleibt weiterhin im Jemen, und hat durch seinen Sohn und Neffen Einfluss auf Teile des Militärs. In der Übergangsphase bilden nun Ali Mohsen und seine Truppen sowie Sadeq Al-Ahmar und seine Stammeskämpfer, das Gegengewicht zu Saleh-Loyalisten.

 

Während Präsident Hadi sich Anfangs vorsichtig zwischen beiden Seiten bewegte, wird es mittlerweile immer deutlicher, dass er sich den ehemaligen Oppositionsparteien, und damit auch Ali Mohsen, angenähert hat. Mit diesem Gegengewicht hat Präsident Hadi erst die nötige Macht, um Schlüsselpositionen innerhalb des Militärs auszuwechseln, um damit Reformen zu ermöglichen.

 

Langfristig soll mit der Umstrukturierung des Militärs deren Institutionalisierung vorangetrieben und die unterschiedlichen Armeeteile unter einer einheitlichen Führung dem Verteidigungsministerium unterstellt werden. Kurzfristig geht es aber – zumindest implizit – darum, Saleh und seine Anhänger zu schwächen, etwa durch die Ab- und und Versetzung von Offizieren.

 

So soll die Loyalität der Soldaten gegenüber Individuen geschwächt, und gegenüber dem Staat gestärkt werden. Doch wenn immer Präsident Hadi die Umstrukturierung des Militärs vorantreibt, stößt er auf Widerstand – nicht selten in Form von Waffengewalt.

 

Die Rache des alten Regimes

 

Seit seiner Wahl hat Hadi bereits wesentliche Personalveränderungen innerhalb des Militärs veranlasst. Im April 2012 setzte er Luftwaffenchef Mohammed Saleh Al-Ahmer, ein Halbbruder des ehemaligen Präsidenten, ab. Im gleichen Zug wurde Tarek Mohammed Saleh, dem Neffen Salehs, das Kommando erst über die Präsidentengarde, dann über die 3. Brigade der Republikanischen Garden entzogen.

 

Ali Abdullah Saleh soll beide Verwandte angewiesen haben, sich der präsidentiellen Anordnung zu widersetzen. Nachdem Mohammed Saleh Al-Ahmar damit drohte, Passagierflugzeuge abzuschießen, wurde der Flughafen der Hauptstadt geschlossen. Es brauchte fast 20 Tage und eine Intervention durch den UN-Sondergesandten Jamal ben Omar, bis Luftwaffenchef Al-Ahmar zurücktrat.

 

Mit seinem Rücktritt folgte aber er nicht nur den Anordnungen des neugewählten Präsidenten, sondern auch den Forderungen einiger hundert Luftwaffenoffiziere. Soldaten der jemenitischen Luftwaffe hatten bereits ab Januar 2012 gegen ihren Oberbefehlshaber demonstriert. Fast täglich marschierten sie entlang einer der Hauptstraßen Sanaas auf und forderten den Rücktritt von Salehs Halbbruder.

 

Zeitgleich begann auch die 4. Brigade der Republikanischen Garden, sich gegen ihren Anführer zu wenden. Auch sie wollten sich den Demonstranten anschließen. Die Meuterei wurde schnell unterdrückt – es waren die ersten Zeichen dafür, dass sich auch innerhalb der Republikanischen Garden Widerstand gegen die Saleh-Familie regt.

 

Widerstand und Meuterei unter den Gardisten

 

Als Präsidentenneffe Tarek Mohammed Saleh im April 2012 ausgetauscht wurde, brach in der 3. Brigade ebenfalls eine Meuterei aus. Mehrere Wochen lang lehnten Teile der 3. Brigade ihren neuen Kommandeur, Abdulrahman Al-Halili, ab. Doch ein anderer Teil unterstützte die Personalentscheidung Hadis.

 

Es dauerte 65 Tage, bis die Unterstützer des neuen Präsidenten mit Gewalt das Hauptquartier der Brigade unter ihre Kontrolle brachten und das Kommando an Al-Halili übergeben konnte. Hadi unternahm einen weiteren mutigen Schritt, als er sowohl dem Sohn Salehs, Ahmed Ali, als auch Ali Mohsen das Kommando über einige Divisionen entzog, und sie zu einer neuen Präsidentengarde zusammenschloss.

 

Die Umstrukturierung soll Ahmed Ali von unten schwächen, zurzeit erscheint eine Absetzung des Sohnes des ehemaligen Präsidenten jedoch noch nicht möglich. Denn Ahmad Ali hat noch immer genug Unterstützung und Mittel, um seine Position zu verteidigen – notfalls mit Gewalt. Ali Mohsen verkündete schnell seine Unterstützung für die Reform. Eine ähnliche Erklärung von Ahmed Ali blieb bezeichnenderweise aus.

 

Stattdessen stürmten wenige Tage nach der Umstrukturierung Soldaten der Republikanischen Garden das Verteidigungsministerium. Der Angriff, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen, wurde von der Übergangsregierung verurteilt. Die involvierten Soldaten werden nun vor einem Militärgericht zur Verantwortung gezogen.      

 

Die neue Regierung greift durch

 

Anfang September empfing Hadi einige Mitglieder des Parlaments im Präsidentenpalast. Zwar würdigte er die Fortschritte der Übergangsregierung, kritisierte aber ebenso, dass einige den Inhalt des GCC-Abkommens immer noch nicht begriffen hätten. Wen er damit gemeint hat, dürfte insbesondere nach den Angriffen auf das Verteidigungsministerium klar sein.

 

Im gleichen Zusammenhang warnte er vor jeglichen Versuchen, die Umsetzung des Abkommens zu stören und damit den Übergang zu gefährden. Am selben Tag besuchte Verteidigungsminister Ahmed die für Sanaa so bedeutende 3. Brigade der Republikanischen Garden. In seiner Ansprache lobte er die Fortschritte Hadis bei der Umsetzung der GCC-Initiative – und forderte die Soldaten auf, nun geschlossen hinter der politischen Führung zu stehen, um Sicherheit und Stabilität zu gewährleisten.

 

Die Botschaft der Übergangsregierung ist klar: Die Reformierung des Militärs wird weiter gehen, Störenfriede werden nicht toleriert. Bereits im August erklärte das neu gegründete Militärkomitee, dass jeder Widerstand gegen präsidentielle Anordnungen als Hochverrat betrachtet werde. Auch die internationale Gemeinschaft steht hinter Präsident Hadi.

 

Sowohl der UN-Sicherheitsrat als auch die US-Regierung drohen Saboteuren des Abkommens mit Sanktionen. Die Auswechslung einzelner Regierungsangehöriger und Beamter ist ein wichtiger Schritt, um den Einfluss des ehemaligen Präsidenten und seiner Familie einzuschränken und damit die Konflikte innerhalb des Militärs zumindest zu reduzieren.

 

Besonders für den anstehenden »Nationalen Dialog«, der das fragmentierte Land einigen soll, ist Stabilität und Sicherheit wichtig. Eine Umstrukturierung und Institutionalisierung des Militärs ist eine Grundvoraussetzung für politischen Wandel. Denn nur so kann die Monopolisierung der Macht in den Händen der Saleh-Familie rückgängig gemacht werden. Dazu muss auch die Umstrukturierung der für Saleh so wichtigen Republikanischen Garden und der Zentralen Sicherheitskräfte fortschreiten.

Von: 
Mareike Transfeld

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