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Milizenführer des afghanischen Bürgerkrieges

Fragwürdige Kriegshelden

Kommentar

Die Erinnerung an Ahmad Shah Massoud ist noch immer stark verklärt, andere Milizenführer des Bürgerkrieges der 1990er Jahre bekleiden heute hohe Posten – ein Persilschein für die Menschenrechtsverbrechen der afghanischen Warlords.

Am 9. September 2001 wurde in Takhar, Afghanistan, der gefeierte Führer der Nordallianz, Ahmad Shah Massoud, von zwei arabischen Selbstmordattentätern, getarnt als Journalisten, ermordet. Bis heute ranken sich um Massoud, auch »Löwe von Panjshir« genannt, zahlreiche Legenden, die ihn als »charismatischen Krieger« und »gottesfürchtigen Muslim« beschreiben.

 

Europa hat einen großen Anteil an der »Heldenpropaganda« um Massoud. Während des Kalten Krieges war Massoud ein Held, insbesondere für den Westen. Er war derjenige, der seine Heimatprovinz Panjshir jahrelang erfolgreich gegen die Sowjets, sprich, gegen die »gottlosen Kommunisten« verteidigen konnte. Ein wahrer »Mudschahid«, ein tapferer und edler Krieger, so wie es sich für einen wahren Afghanen gehört.

 

Der russische Afghanistan-Veteran und ehemalige General Boris Gromov, der den sowjetischen Abzug vom Hindukusch leitete, dagegen erinnert sich ganz anders an den »Löwen von Panjshir«. Er beschreibt Massoud in seinem Buch »Limited Contingent« als »Agenten der Sowjets«. Demnach soll Massoud die Sowjets nicht bekämpft, sondern mit ihnen in enger Verbindung gestanden haben.

 

Nach Gromov kam es unter anderem 1982 zu einem Abkommen, in dem Massoud den Sowjets versicherte, dass seine Truppen keine sowjetischen Militärkonvois, die den von ihm kontrollierten südlichen Pass von Salang passieren, angreifen werden. Massoud konzentrierte sich darauf, seinen Erzrivalen Gulbuddin Hekmatyar auszuschalten.

 

Dieses Vorgehen lag auch im Interesse der Sowjets, da der Paschtune Hekmatyar massiv von Seiten der USA und Pakistan unterstützt wurde. Für ausländische Kamerateams aus Europa stellte sich Massoud zur Schau, indem er vorgab, gegen die Rote Armee zu kämpfen. Der Afghanistan-Veteran Yuri Korbert, der zu diesem Zeitpunkt in Panjshir stationiert war, bestätigte dies während eines späteren Interviews und behauptete, dass in all den Jahren kein einziger Kampf gegen Massoud stattfand.

 

Er fügte außerdem hinzu, dass es im Falle einer Konfrontation mit Massoud kein Problem gewesen wäre, ihn und seine Kämpfer zu besiegen. Dies wäre nicht verwunderlich, denn Massoud und seinen Truppen fehlte es an Waffen sowie an logistischen Mitteln, um gegen die Rote Armee dauerhaft erfolgreich bestehen zu können.

 

Massoud war ein Kriegsverbrecher – so wie die anderen afghanischen Warlords auch

 

Nichtsdestotrotz wird der Kommandant aus Panjshir, dessen Großvater ursprünglich aus Tadschikistan emigrierte, von zahlreichen westlichen Historikern als »brillanter Guerilla-Taktiker« in einer Reihe mit Ché Guevara oder Ho Chi Minh genannt. Das Wall Street Journal widmete Massoud sogar ein Titelblatt und nannte ihn »den Afghanen, der den Kalten Krieg gewann«.

 

Der amerikanische Journalist Eric Margolis wiederum behauptet in seinem Buch »American Raj, Liberation or Domination, Resolving the Conflict between the West and the Muslim World«, dass Massoud die Regierung in Moskau überzeugen wollte, den damaligen afghanischen Präsidenten  Mohammad Najibullah zu stürzen, damit er dessen Platz einnehmen könne.

 

1993, vier Jahre nach dem sowjetischen Abzug aus Afghanistan, kam es im Kabuler Stadtteil Afschar zu einem folgenschweren Massaker, dem hauptsächlich Angehörige der Hazara, einer schiitischen Minderheit, zum Opfer fielen. Die Haupttäter dieses Massakers waren der damalige Ministerpräsident und Massouds ideologischer Ziehvater Burhanuddin Rabbani, der islamistische Warlord Abdul Rasul Sayyaf sowie Ahmad Shah Massoud, der damals Verteidigungsminister war.

 

Etwa 750 Menschen wurden getötet oder verschleppt. Auch die Soldaten Massouds beteiligten sich an Morden, Plünderungen und Vergewaltigungen. In der Erinnerung vieler Tadschiken spielen die Gräueltaten von Massouds Milizen dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Sie gedenken eher der vergleichsweise sicheren und stabilen Lage ihrer Bevölkerungsgruppe unter der Führung Massouds.

 

Zudem wird ihm zugute gehalten, noch eine Allianz gegen die Taliban auf Beine gestellt zu haben, als diese Mitte der 1990er Jahre den Großteil Afghanistans unter ihre Kontrolle gebracht hatten – und sich auch im Westen die meisten Regierungen mit der Taliban-Herrschaft abgefunden hatten. Die Kabuler Regierung sowie der Westen schweigen immer noch zum Massaker von Afschar.

 

2001 wurde Massoud offiziell von Karzai zum »Helden der afghanischen Nation« erklärt. 2002 nominierten ihn die Franzosen für den Friedensnobelpreis. So wie alle anderen afghanischen Warlords während des Bürgerkriegs der 1990er Jahre kann man Ahmad Shah Massoud aber mit Fug und Recht als Kriegsverbrecher bezeichnen.

 

Verdrängte Massaker und unantastbare Milizenführer

 

Doch auch viele der (über)lebenden Warlords neben Massoud genießen in Afghanistan immer noch einen Status, der sie unantastbar macht. Anstatt im Gefängnis oder vor dem Menschenrechtsgerichtshof in Den Haag sitzen die meisten von ihnen im afghanischen Parlament oder bekleiden hohe Ämter, etwa als Provinzgouverneure. Dabei sind die Kriegsverbrechen etwa des usbekischen Milizenführers Abdul Rashid Dostum ausführlich dokumentiert.

 

Dennoch genießt er in der usbekischen Minderheit immer noch einen Helden- und Führerstatus. Zweifelhafte Berühmtheit erlangte Dostum durch besonders grausame Hinrichtungsmethoden, mit denen er seine Autorität zu untermauern suchte, so etwa das Überrollen Gefangener – oder als illoyal vermuteter Kämpfer – mit Panzern.

 

In den späten 1990ern machten seine Dschunbesch-Milizen in Mazar-e Sharif und den umherliegenden Gebieten regelrecht Jagd auf Paschtunen. das gleiche geschah in der Provinz Baghlan und in Kabul. Die Zahl der Getöteten geht in den dreistelligen Bereich. Meist handelte es sich bei diesen Paschtunen nicht etwa um feindliche Taliban sondern um Zivilisten.

 

Die verhassten Taliban folterte Dostum auf eine andere Art und Weise, sobald sie in die Gefangenschaft seiner Miliz gerieten. Dostum beteiligte sich oftmals an den Misshandlungen und richtete viele der Gefangenen selber hin. Besonders abscheulich war jenes Massaker im November 2001, als eine größere Gruppe von Taliban-Kämpfern von Dostum und seinen Milizen gefangen genommen und in mehrere Container gesperrt wurde.

 

Diese Container fuhr man mitten in die Wüste und ließ sie einige Tage dort stehen. Von außen schossen die Milizen immer wieder Löcher in die Container. Die Gefangenen ließ man qualvoll in der Hitzen verdursten. Unter den Gefangenen befanden sich nicht nur paschtunische Taliban-Kämpfer, sondern auch viele Männer aus Tschetschenien, Pakistan und sogar aus Usbekistan.

 

Als die Container nach einigen Tagen geöffnet wurde, entwich, so beschreiben es anwesende Journalisten, bestialischer Gestank, eine Mischung aus Verwesung, Blut, Urin und Kot. Von den etwa 220 Männer pro Container überlebten durchschnittlich jeweils sechs Männer die Tortur. Die wenigen Überlebenden wurden danach allerdings umgehend hingerichtet, die Leichen verscharrte man in Massengräbern.

 

Die Warlords rüsten sich für den nächsten Bürgerkrieg

 

Der pakistanische Journalist Ahmed Rashid, bekannt für seinen Bestseller »Taliban«, bezeichnete das Massaker als das schlimmste und brutalste Menschenrechtsverbrechen des Afghanistan-Krieges. 2002 drehte der irische Dokumentarfilmer Jamie Daron gemeinsam mit dem afghanischen Journalisten Najibullah Quraishi den Film »Afghan massacre: The Convoy of Death«.

 

Die Dokumentation zeigt Massengräber und rekonstruiert den Tathergang des Massakers. Durch die Operation »Enduring Freedom« der USA nach dem 11. September 2001 wurden die Taliban zwar vorerst vertrieben – doch um den Preis einer strategischen Allianz mit blutrünstigen Warlords à la Dostum. Nun werden die Folgen deutlich sichtbar.

 

Während man in Afghanistan nicht gerne über die Toten des Bürgerkriegs spricht und damit die Taten Ahmad Shah Massouds in Kabul, Mazar-e Sharif oder Panjshir gar nicht in Frage gestellt werden, haben sich Abdul Rashid Dostum, Ahmad Zia Massoud, der jüngere Bruder Ahmad Shahs, und Hajji Mohammad Mohaqiq, ein weiterer Warlord aus der Minderheit der Hazara, in einem Bündnis zusammengeschlossen.

 

Gemeinsam haben sie die sogenannte »Nationale Allianz« gegründet, um gegen die Rückkehr der Taliban zu kämpfen. Für die Präsidentenwahlen 2014 will die Gruppierung mit einem eigenen Präsidentschaftskandidaten antreten. Wer auch immer das sein wird, eine Person aus einem Bündnis von Kriegsverbrechern, das das Land in den nächsten Bürgerkrieg stürzen will, kann nichts Gutes für Afghanistan bedeuten.

Von: 
Emran Feroz

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