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Mahmud Abbas und die Nachfolge in der PLO

Abbas spielt mit dem Feuer

Analyse

Kaum Mitbestimmung, seit acht Jahren keine Wahlen und eine überalterte Führungsriege: Die PLO hat Legimität eingebüßt – und könnte doch ein Comeback erleben. Doch die wichtigste Zukunftsfrage bleibt im politischen Ramallah weiter ungelöst.

Beinahe wäre es Mitte September zu einem politischen Desaster in Ramallah gekommen: Die einzig international anerkannte Vertretung der Palästinenser, die Palästinensische Befreiungsbewegung (PLO), wäre für einen Coup durch die Fatah genutzt worden, um einen der ihrigen als Nachfolger für Präsident Mahmud Abbas zu installieren. Das Ansehen der PLO hätte durch diese Nacht-und-Nebel-Aktion großen Schaden genommen und die Spaltung zwischen Hamas und Fatah wäre mit diesem Schritt zementiert worden.

 

Mehrere Mitglieder des PLO-Exekutiv-Komitees hatten im August ihr Amt niedergelegt, um den Weg für Neuwahlen zu dem höchsten Entscheidungsgremium der PLO durch den Palästinensischen Nationalrat (PNC) der PLO freizumachen. Die Bedeutung der PLO sollte nicht unterschätzt werden. Auch wenn die Organisation seit der Entstehung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) mit den Oslo-Verträgen in den 1990er Jahren an Gewicht verloren hat, ist sie noch immer die einzig international anerkannte Vertretung aller Palästinenser – unabhängig davon, ob diese in den Palästinensischen Gebieten oder im Ausland leben.

 

Derzeit beläuft sich die geschätzte Zahl aller Palästinenser weltweit auf 11 bis 12 Millionen (circa ein Drittel von ihnen leben in den Palästinensischen Gebieten). Während die PA sich um die Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten der Palästinenser kümmert, ist die PLO die Instanz, die über politische Strategien zur Erlangung von nationaler Selbstbestimmung – kurz: über Krieg und Frieden scheiden kann. Weil das palästinensische Parlament der PA seit acht Jahren nicht mehr zusammengetreten ist und somit nicht als ein Forum für überparteilichen Austausch dient, ist das PLO-Exekutiv-Komitees das einzige Organ, in dem (fast) alle palästinensischen Strömungen vertreten sind und in dem regelmäßig kontroverse Diskussionen stattfinden.

 

Die Repräsentativität der PLO ist im Laufe der Zeit zunehmend in Frage gestellt: Ursprünglich sollte sie eine Plattform für alle politischen Bewegungen der Palästinenser sein. Die Aufnahme der neuentstandenen Kräfte – neben der Hamas auch Islamischer Dschihad und die »Palästinensische Nationale Initiative» (Al-Mubadara) – ist zwar mit dem Versöhnungsabkommen zwischen den politischen Fraktionen – zuletzt dem »Beach Camp«-Abkommen 2014, beschlossen worden, jedoch hat solch eine Reform (mit Ausnahme der Aufnahme von Al-Mubadara im März 2015) nicht stattgefunden.

 

Ein weiteres Manko der Organisation ist die fehlende Legitimation durch Wahlen. Die Vertretung der Mitgliedsparteien ist vielmehr Ergebnis von historischen, informellen politischen Verhandlungsprozessen. Zu keinem Zeitpunkt in der 50-jährigen Geschichte der Organisation haben Wahlen zum PNC stattgefunden. Nimmt man die Ergebnisse von aktuellen Meinungsumfragen zur Unterstützung verschiedener politischer Bewegungen unter den Palästinensern in den Grenzen von 1967 zur Grundlage, wird schnell offensichtlich, dass die Realitäten und Kräfteverhältnisse sich weit verschoben haben. 74 Prozent aller Palästinenser sind überzeugt, dass demokratische Wahlen zum PNC von großer Bedeutung wären.

 

Präsident Abbas: Amtsmüde und frustriert

 

Augenscheinlich war der Hintergrund des eilig einberufenen Treffens des PNC in Ramallah im September die Amtsmüdigkeit von Präsident Abbas. Die Nachfolgefrage des 80-Jährigen ist ungeklärt. Die Erfolgslosigkeit seines politischen Programms – der Internationalisierungsstrategie und Verhandlungen mit Israel – tragen wohl zu der persönlichen Frustration bei. Die Kampagne zur UN-Mitgliedschaft hat zwar die Anerkennung als Staat, jedoch keine Mitgliedschaft in den UN erzielt. Der erhoffte Domino-Effekt einer vorbehaltlosen bilateralen staatlichen Anerkennung durch wichtige europäische Staaten ist noch nicht eingetreten.

 

Der Beitritt zum Internationalen Strafgerichtshof (ICC) wird zwar als Erfolg verbucht, mündete aber nicht unmittelbar in der Eröffnung von Strafverfahren gegen Israel. Greifbare Erfolge sind bislang ausgeblieben. Stattdessen schreiten Enteignung und Vertreibung in der Westbank fort, dauert die Entrechtung und Besatzung an und bleibt den Palästinensern im Gazastreifen jegliche nachhaltige Entwicklung verwehrt. Die Unzufriedenheit mit dem Präsidenten wächst – auch innerhalb der eigenen Partei.

 

Der Vorsitzende der PLO hat ebenso das Amt des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (seit 2013 umgetauft in das Amt des »Präsidenten des Staates Palästina«) wie auch den Vorsitz der Fatah inne. Die Gedanken vieler Politiker kreisen daher darum, was an dem Tag nach einem möglichen plötzlichen Ausscheiden des Präsidenten geschieht. Fatah-Politiker wollen sicherstellen, dass das wichtigste Amt im politischen Gefüge in ihren Händen bleibt.

 

Ein Präsident aus den Reihen der Hamas?

 

Den Posten eines Vize-Präsidenten der PA sieht das Palästinensische Grundgesetz nicht vor. Sollte der Präsident plötzlich ausscheiden, würde das Amt vom Sprecher des Parlaments übernommen. Seit 2006 ist dies Aziz Dweik, Politiker der Hamas-Bewegung. Dass dieser von der Fatah – und der internationalen Gemeinschaft – anerkannt werden würde, ist auszuschließen. Die Zukunft der PA ist auch vor dem Hintergrund der Spaltung zwischen Hamas und Fatah, Westjordanland und Gazastreifen und einer chronischen Finanzkrise ungewiss. S

 

ollte der Posten des PLO-Vorsitzenden plötzlich vakant werden, würde der Generalsekretär des PLO-Exekutiv-Komitees diesen übernehmen. Bis Juli dieses Jahres wäre der politisch unabhängige Yasser Abd Rabbo damit Nachfolger von Abbas geworden – bis ihn Präsident Abbas absetzte. Die Zusammenkunft des Nationalrats sollte daher dem für diesen Posten vorgesehenen Abbas-Vertrauten Saeb Erekat Legitimation verschaffen.

 

Auf diesem Wege wollten führende Politiker der Fatah sicherstellen, dass das höchste Amt im palästinensischen politischen System in Händen der Fatah bleibt. Dahinter steht das Kalkül, dass die PLO der PA übergeordnet und im Zweifelsfall diese überdauern wird. Schließlich ist die PLO Vertragspartei auf internationaler Ebene und hat mit den Oslo-Verträgen die PA aus der Taufe gehoben. Die Pläne stießen jedoch auf harsche Kritik, von Hamas ebenso wie aus den eigenen Reihen der Fatah und anderer Mitgliedsbewegungen der PLO wie der PFLP (»Palestinian Front for the Liberation of Palestine«), so dass in Frage stand, ob eine Zusammenkunft des PNC in Ramallah überhaupt das notwendige Quorum von zwei Dritteln der etwa 700 Mitglieder erreichen würde.

 

So entstand der Eindruck, dass Abbas durch die Wahl des Tagungsorts in Ramallah und die kurze Frist für die Einberufung des PNC kritische Stimmen aus Gaza und dem Ausland fernhalten wollte und eine schnelle Legitimation für Saeb Erekat als neuen Generalsekretär des Exekutiv-Komitees erreichen wollte.

 

Die Führungsfrage ist weiter in der Schwebe

 

Die Stimmen derer, die eine Reform der PLO unter Einbeziehung aller palästinensischen Kräfte befürworteten, gewannen seit Mitte September jedoch die Überhand. Schließlich bietet ein Zusammentreten der PLO die Möglichkeit, die inner-palästinensische Spaltung zu überwinden und sich auf eine gemeinsame Strategie zu verständigen. Nach mehrfachen Beratungen ist die Sitzung des PNC nun um drei Monate vertagt worden. Ob dieser Zeitraum ausreicht, um die Herkulesaufgabe der Reform der Organisation vorzubereiten und die Zustimmung der Hamas zu Neuwahlen zum Exekutiv-Komitee zu gewinnen, ist jedoch fraglich.

 

Sollte der PNC in möglichst repräsentativer Form zusammentreten, müsste dieses Treffen auch außerhalb der Palästinensischen Gebiete oder unter Nutzung von Video-Konferenztechnik stattfinden. Noch immer entscheidet Israel darüber, wer die Grenze passieren und nach Ramallah reisen darf. Während das Legitimationsdefizit sämtlicher Institutionen des politischen Systems wächst und die Überalterung der politischen Elite voranschreitet, ist die Zukunft der palästinensischen Führung weiterhin in der Schwebe.

Von: 
Ingrid Ross

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