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Kulturwoche Saudi-Arabien

Das Land, in dem Öl und Honig fließen

Feature

Das Königreich Saudi-Arabien bedankt sich in Berlin mit einer groß inszenierten Kulturwoche. Hilft so ein Event, das Unverständliche an diesem Land besser zu begreifen? Ungeahnte Einblicke werden erst auf den zweiten Blick sichtbar.

Vor dem Hintergrund all der momentan lodernden Konflikte kommen Gesellschafts- und Kulturthemen in der Berichterstattung über den Nahen Osten derzeit oft zu kurz. Um das zu ändern, beglückt ausgerechnet Saudi-Arabien den Waffenlieferanten Deutschland mit einer Kulturwoche. Statt der Waffen stehen Datteln als alternatives Symbol des Überflusses im Mittelpunkt. Fünf Tage »Saudi Disneyland« am Potsdamer Platz. Man kommt vor dem Besuch nicht umhin, noch einmal die gängigen Fakten über das Königreich Revue passieren zu lassen.

 

Ist Saudi-Arabien nicht das Land, in dem Frauen nur als schwarze Ninjas verkleidet aus dem Haus treten dürfen? Wo Jugendliche aus purer Langeweile auf schnurgeraden Wüstenstraßen mit Papas SUV halsbrecherische Stunts vollführen? Bricht dort nicht regelmäßig die Infrastruktur zusammen, wenn die jährlich auftauchende Regenwolke einmal mehr als ein paar Tropfen versprüht?Und macht die religiöse Sittenpolizei nicht immer dann international von sich reden, wenn sie junge Mädchen in einem brennenden Schulgebäude einsperrt, weil diese unverschleiert auf die Straße zu rennen drohen?

 

Viel ist außerdem vom Ölreichtum die Rede, wenn über Saudi-Arabien geschrieben wird. Reichtum, der sich vor allem in himmeljagenden Glas-und Betontürmen niederschlägt – und natürlich im Vorwurf der Finanzierung des weltweiten Dschihadismus. Doch zugegeben, die wenigsten, die über das Heimatland Usama bin Ladens geschrieben haben und dies noch tun, sind jemals dort gewesen – den Autor dieser Zeilen eingeschlossen. Dass nun dieses Land mit dem Leumund der irdischen Inkarnation des Bösen ausgerechnet in Berlin eine kulturelle Charmeoffensive startet, darf daher als ganz besondere Ehre aufgefasst werden. Denn wo das eine Extrem beheimatet ist, kann das positive Gegenstück nicht so fern liegen. Und das führt dem Außenstehenden so einige Absurditäten vors kritisch geschulte Auge.

 

»Heute empfinde ich den rasanten Wandel als unumgänglich«

 

Den Anfang des Schaulaufs machte sodann am 24. September 2014 die mittlerweile überregional bekannte saudische Schriftstellerin Raja Alem. Die Stimmen eines Ortes einzufangen, zum Erklingen zu bringen und auf diese Weise zu bewahren, so benennt sie den Kern ihres literarischen Schaffens. Vorgeführt hat sie dies zuletzt in ihrem preisgekrönten und von Sagen durchwobenen Roman »Das Halsband der Tauben«. Dafür wird ihr folgerichtig auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse der »LiBeratur«-Preis verliehen.

 

Gerade in Mekka, dem Heimatort der Autorin, werden jene Stimmen vom ausufernden Modernisierungswahn jedoch zum Verstummen gebracht. Amokartig begraben die Bagger und Kräne die Geschichte ganzer Stadtviertel unter einer grenzenlosen Zahl Shoppingmalls, Parkplätze und Luxushotels. »Kunst muss zuallererst provokativ sein«, so möchte Alem ihre polyfonen Erzählungen verstanden wissen. Ein Statement also gegen die Zerstörung der Heiligen Stadt? »Wir sind ein romantisches Volk, wir hängen an der Vergangenheit.

 

Aber wer von uns kann sich ein Urteil darüber anmaßen, ob die flachen Steinhäuser die Spiritualität des Ortes besser repräsentiert haben als die hohen Glastürme?« In der Tat wird sich so eine Anmaßung niemand trauen. Aus gutem Grund: Immerhin entspinnt sich die Geschichte in Alems Buch um einen ungeklärten Mordfall, der in Verbindung mit der wuchernden Kommerzialisierung des Heiligen Distrikts steht. Und womöglich möchte auch niemand in Anwesenheit seiner Exzellenz des königlichen Botschafters, sowie vor drei mitgereisten saudischen Kamerateams, die mustergültige nationale Harmonie stören.

 

Neben Waffen haben die arabischen Länder eben auch folgendes im Überfluss: Einen augenwischerischen Nationalismus, der gesellschaftliche Ungerechtigkeiten einfach zu überblenden vermag. Das wird auch im Gespräch mit dem 28-jährigen Hussin deutlich, der voll des Stolzes für das jüngste Projekt glüht, das wie so viele andere den omnipräsenten Namen des Staatsgründers trägt: »King Abdulaziz Center for World Culture«.

 

Ein Ort der Bildung und des kulturellen Erbes für alle Mitglieder der Gesellschaft?

 

Just am sogenannten »Wohlstandsbrunnen« in Dhahran, wo mit den ersten Ölbohrungen der saudische Wohlstand aus dem Boden schoss, soll nun der Wandel zu einer Wissensgesellschaft angestoßen werden. In einem durchdesignten Pavillon unter dem Sonnendach des Sony Centers stellt Hussin das gesamte Projekt vor: »Es wird ein Ort der Bildung und des kulturellen Erbes für alle Mitglieder der Gesellschaft.« Keimt da ein zartes Pflänzchen Hoffnung im Wüstensand auf? »Das Bildungsprogramm entsteht in Zusammenarbeit mit den Menschen«, verspricht Hussin, der selbst an der Umsetzung beteiligt ist.

 

Für ungläubige Ohren klingt das schon fast nach demokratischer Graswurzelrevolution. Vor dem geistigen Auge entsteht da im unruhigen und vernachlässigten Osten des Landes ein Ort, an dem Sunniten mit Schiiten, sowie Saudis mit asiatischen Gastarbeitern gemeinsam an einer zukunftsfähigen nationalen Identität feilen. Doch das an den Pavillon anschließende folkloristische »saudische Dorf« zeigt statt der multiethnischen Vielfalt vor allem ein beduinisches Idyll. Allenthalben werden süße Datteln kredenzt, im heimeligen Beduinenzelt flicht ein Dicker mit Krummdolch Bastkörbe, eine saudische Frau webt ein buntes Stück Stoff.

 

An alle Gäste werden großzügig Devotionalien verteilt, als wären sie absolutistische Fanartikel. Der ein oder andere Tourist, der sich eben noch am kostenlosen Büffet gütlich tat, spaziert nun im grünen »Saudi Arabia«-Schal durch den Berliner Herbstwind. Das Markenzeichen »Made in China« ist allgegenwärtig und wahrscheinlich das landestypischste an der ganzen Veranstaltung. Daran ändern auch die zuvorkommenden saudischen Studenten nichts, die passend zur Kulisse, in traditionelle Kleider gewandet, ihren Dienst tun.

 

Ihre Hände frieren bei 14 Grad Celsius in Wollhandschuhen. Das Highlight für den voreingenommenen Westler bildet zweifelsohne jene vollverschleierte, opulente Dame, die eine grün-weiße Mütze trägt mit der Aufschrift: »I love Kingdom of Saudi-Arabia«. Doch in ihren Augen, die schwarzen Perlen gleichen, ist keine Spur von Ironie oder zynischem Sarkasmus zu lesen.

 

Die absurden Widersprüche spiegeln den ganz normalen Alltag wider

 

Im Grunde spiegelt sich in dem ganzen Event, was uns demokratisch versierten Europäern irgendwie schwer begreiflich ist: Eine enorme Bandbreite an Werten und kulturellen Einstellungen, die gemäß dem Islamwissenschaftler Thomas Bauer eine hohe gesellschaftliche »Ambiguitätstoleranz« erfordern – und die uns hierzulande im Laufe der Geschichte abhanden kam. In diesem Sinne sind die trotz ihrer Marginalisierung patriotischen Frauen, die bildungspolitische Avantgarde, wie sie Hussin verkörpert, sowie die Modernisierung »Made in China« unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung des ultrareligiösen Regimes keine absurden Widersprüche, sondern allein Ausdruck dieser gleichzeitigen, alltäglichen Vielfalt.

 

Und wir müssen das, so wie die Menschen in Saudi-Arabien und andernorts, als ihre eigene Form von Normalität hinnehmen. Wer diesen Blickwinkel zulässt und dann auch selbst einnimmt, gewinnt ein Gespür für dieses symbiotische Phänomen von tyrannischer Sittenstrenge und friedlicher Alltagskultur. Und kann der saudischen Kulturwoche dann doch noch den ein oder anderen positiven Aspekt abgewinnen. Schließlich wurde auch an nichts gespart. Eine ganze Entourage aus Künstlern, Köchen, Handwerkern und Musikern erfüllen das »saudische Dorf« mit Leben.

 

Es sind erstaunlicherweise viele Araber aus Berlin, die sich vom Lokalkolorit begeistern lassen. Und zurecht: Ein so prominenter Platz wird der arabischen Kultur in Deutschland sonst nicht gewährt. Professionelle Kalligrafen schreiben Besuchern Andenkenkarten, junge Frauen verzieren die Hände der Besucherinnen kunstvoll mit Henna. Ein Stand bietet das sonst den Pilgern zu Mekka vorbehaltene Wasser des Zamzam-Brunnens zum Verzehr an. Eine mehrtägige Vortragsreihe mit saudischen Intellektuellen und deutschen Wissenschaftlern verspricht ein offenes Forum auch für kritischen Meinungsaustausch.

 

Allein das die Woche begleitende Kinoprogramm fällt dürftig aus. Gibt es in Saudi-Arabien doch weder Kinos noch Filmindustrie. Saudische Graffiti-Künstler gestalten am Rande eine Leinwand und auf der Bühne schwenken Kinder die grüne Landesfahne, auf der das Glaubensbekenntnis prangt, im Rhythmus der Live-Musik. Ein bisschen fühlt man sich bei dem Spektakel freilich wie ein Ungläubiger bei der Umrundung der Kaaba. Wirklich durchschaubarer werden das Land und seine Menschen letzten Endes dadurch nämlich nur bedingt.

Von: 
Ruben Schenzle

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