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Israel und Allianzen im Nahen Osten

Periphere Partnerschaften

Feature

Jemen und Aserbaidschan, Sudan und Oman, Iran und Kurdistan – diese und weitere Länder zähl(t)en zu peripheren Partnern Israels. Eine neue Studie untersucht nun kenntnisreich Jerusalems Suche nach Allianzen im Nahen und Mittleren Osten.

Wissenschaftler sind zuweilen dem Vorwurf ausgesetzt, sie säßen tagein, tagaus in ihrem eigens errichteten Elfenbeinturm – fernab der Realität. Mitnichten, zumindest im Falle von Mosche Maoz. Auf der Höhe des Libanesischen Bürgerkrieges war es dem israelischen Großmeister der Orientalistik, heute emeritierter Professor der Hebräischen Universität Jerusalem, vergönnt, nach Byblos zu reisen, um an der Seite von israelischen Militärs und Geheimdienstmitarbeitern Gespräche mit der Maroniten-Miliz der Phalangisten zu führen.

 

Mit dabei auf dieser Reise ins Feindesland war auch: Yossi Alpher. »Professor Mosche Maoz und ich entschlossen uns, im Mittelmeer schwimmen zu gehen – eskortiert, geradewegs durch eine Reihe sonnenbadender maronitischer Schönheiten, wurden wir dabei von AK-47 schwingenden Phalangisten«, erinnert er sich. Der abendliche Höhepunkt dieses Arbeitsaufenthaltes: Ein Abendessen an den Stadtmauern der antiken Stadt zu den Klängen von »Hava Nagila«. Alpher schreibt dies in seinem nun erschienen Buch »Periphery: Israel’s Search for Middle East Allies«.

 

Der Feind meines Feindes ist mein Freund

 

Der ehemalige Direktor des »Jaffee Center for Strategic Studies« der Universität Tel Aviv und einstige Berater Ehud Baraks während der Camp-David-II-Verhandlungen, bedient sich in seiner Studie über periphere Allianzen zahlreicher Quellen: der eigenen Erfahrungen aus seiner Zeit beim Mossad sowie bei der militärischen Aufklärung, wo er Offizier gewesen ist, sowie zahlreicher Interviews mit israelischen sowie ausländischen Geheimdienstmitarbeitern – auch aus der arabischen Welt. Daneben hat er bislang versiegeltes Archivmaterial analysiert, so etwa Tagebucheinträge Ben-Gurions, die bislang nicht öffentlich waren, und in den Jahren 1957-1958 verfasst wurden. Herausgekommen ist ein spannendes Buch über die Schatten- und Parallelwelten des Nahen Ostens.

 

Die israelische Peripherie-Doktrin ist ein Produkt der 1950er-Jahre, erdacht von David Ben-Gurion, Reuven Shiloah (er prägte den Begriff »Torat ha-Peripheria«), der den Auslandsgeheimdienst Mossad gegründet, sowie von Isar Harel, der sowohl den Mossad, als auch den Inlandsgeheimdienst Schin Bet geführt hat.

 

Der Hintergrund für diese Entscheidung: Nach den beiden Waffengängen (1948 und 1956) sowie im Zuge der Revolution im Irak, der Aufstände in Jordanien und im Libanon 1958 erkannte man – nicht zuletzt mit Blick auf den wachsenden Einfluss der Sowjetunion –, so Alpher, dass man mit den Minoritäten der arabisch-muslimischen Welt engere Bande knüpfen sollte, getreu dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Gleichzeitig ging es darum, diese Allianzen den USA sowie der Nato als Beweis für die Bedeutsamkeit des kleinen jungen jüdischen Staates für die westliche Wehrgemeinschaft zu verkaufen.

 

Das Norddreieck: Israel, Iran, Türkei

 

Alpher, Ende der 1970er-Jahre Chefanalyse für Iran-Fragen, führt den Leser in dieser Publikation zunächst in die israelischen Überlegungen und Abwägungen ein, die aus Sicht Jerusalems für die Annäherung an potentielle Partner sprachen; fünf Voraussetzungen mussten stets gegeben sein: Volle (militärische) Kontrolle über ein Territorium, Zugang (zum Beispiel über den Seeweg) zu diesem Territorium, die Bereitschaft, den gemeinsamen Feind zu bekämpfen, geheimdienstlicher Nutzen für Israel, geringe Kosten.

 

In den 1950er-Jahren erfüllten zunächst die Türkei und Iran diese Voraussetzungen, Alpher nennt sie »Flaggschiff-Operationen«, später kamen die Barzanis in Kurdistan, das christliche Äthiopien des Kaisers Haile Selassi und Marokko hinzu, das man im marokkanisch-algerischen Grenzkrieg von 1963 heimlich unterstützte; König Hassan II. vermittelte später zwischen Israel und Ägypten vor den Camp-David-Verhandlungen auf höchster Ebene, Mosche Dajan reiste inkognito in den Maghreb. In Äthiopien hingegen war man mit der Aus- und Weiterbildung der Armee sowie dem Aufbau der Landwirtschaft (Stichwort: Kibbutz-Erfolgsgeschichte) vertraut; ein Mann, der Weltgeschichte schreiben sollte, gehörte auch zu den Rekruten Israels: der junge Nelson Mandela aus Südafrika.

 

Aufgrund ihrer Expertise in der Landwirtschaft waren zwischen 1958 und 1973 tausende israelische Entwicklungshelfer in ganz Afrika unterwegs – in Äthiopien und Angola ebenso wie im Kongo und in Kenia. Sie halfen bei der Entwicklung der Bewässerungswirtschaft, bauten Felder und bildeten Landwirte aus. Für die an kostenlosem Know-how interessierten jungen afrikanischen Staaten war es ebenso eine Win-win-Situation wie für Israel, das lukrative Wirtschaftsverträge zugesprochen bekam – und viele Rebellengruppen zu Armeen ausbilden und dadurch Verbündete gewinnen konnte; Alpher zufolge soll die Mehrzahl der heutigen Generäle der südsudanesischen Armee von Israel ausgebildet worden sein.

 

Pingpong in Mogadischu, Waffenlieferungen gen Jemen

 

Ein besonderer Mehrwert dieses Buches: Alpher gelingt es in seinem Buch, diese Partnerschaften, die dahinter stehenden Interessen, und die Entstehungsgeschichte nachzuzeichnen – und das nicht in trockener Militärsprache, sondern flüssig, verständlich, kenntnisreich und zuweilen unterhaltsam. Etwa, wenn er über David Ben Uziel schreibt, einen ehemaligen Fallschirmspringer mit Rufnamen »Tarzan« des Kommandos 101, der unter dem Decknamen »John« in Äthiopien als Militärinstrukteur arbeitete.

 

Oder wenn er von seinem Besuch bei Mohamed Siad Barre in Mogadischu in den 1980er-Jahren berichtet, seinerzeit Präsident Somalias. Der erhoffte sich israelische Hilfe im Kampf um die Provinz Ogaden, nachdem die Sowjetunion nunmehr Äthiopien unterstütze und Israel mit dessen neuem Herrscher Mengistu keine engen Beziehungen mehr hatte – bleibenden Eindruck hat der Regent bei Alpher indes aufgrund seines italianisierten Englisch-Akzentes, dem schrillen Anzug sowie seiner ausgeprägten Tischtennisleidenschaft gemacht. 

 

Neben Bonmots wie jenen zeigt Alpher weiter, dass auch Staaten zu Israels peripherem Allianzsystem gehörten, von denen man es nicht erwartet hat. Der Oman etwa, aber auch der Jemen: 1964 intervenierte man in den jemenitischen Bürgerkrieg (1962-1967) an der Seite Großbritanniens, das die Royalisten im Kampf gegen die Republikaner unterstützte; das Vereinigte Königreich wollte seinen Einfluss in Aden aufrecht erhalten und Israel so viele ägyptische Truppen wie möglich entfernt von der Sinai-Halbinsel binden. Die israelischen Flüge mit Waffenlieferungen wurden von Saudi-Arabien über den britischen Special Air Service (SAS) finanziert. Die Waffen waren einstmals ägyptisches Material, erbeutet im Sinai-Feldzug von 1956.

 

Avigdor Lieberman als Advokat einer neuen Peripheriestrategie

 

Durch den Sturz des Schahs von Iran 1979 sowie die Konsolidierung der afrikanischen Staaten endete Israels Peripherie-Strategie in den späten 1970er und frühen 1980er-Jahren. Zurück ins Gedächtnis des israelischen Sicherheits- und Politapparates brachte diese, so Alpher, Avigdor Lieberman.

 

Im Zuge des Arabischen Frühlings und infolge des »Mavi Marmara«-Zwischenfalls 2010 sucht Jerusalem neue Verbündete. Heute gibt es neue Allianzen, mit Rumänien und Bulgarien, mit Griechenland und Zypern. Aber auch mit Aserbaidschan, den Golfstaaten – und Kurdistan. Im aufkeimenden schiitisch-sunnitischen Kräftemessen will man auf alle Eventualitäten vorbereitet sein.


 

Periphery: Israel’s Search for Middle East Allies

Yossi Alpher

Rowman & Littlefield Publishers, 2015

196 Seiten, 34 USD

 
Von: 
Dominik Peters

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