Die iranische Theaterautorin Pajand Soleymani über Leben mit der Zensur, Kulturarbeit mit und in der Gesellschaft und Hoffnung auf den violetten Schlüssel.
zenith: Am 4. August wird der moderate Kleriker Hassan Rouhani als neuer Präsident der Islamischen Republik Iran vereidigt. Wie nimmt man das im Kulturbereich in Iran auf?
Pajand Soleymani: Es gibt durchaus eine Art euphorisches Gefühl in der Gesellschaft. Neues, gesundes Blut wurde mit der Wahl Rouhanis in die Adern gespritzt, auch in den Bereichen Kunst und Theater, die in den letzten vier Jahren mit massiven Problemen konfrontiert waren. Die größte professionelle Organisation für Filmemacher in Iran, das »Khane-ye sinema«, wurde geschlossen und die Unterstützung für die einstmals so lebendige Theaterszene floss durch immer engere Kanäle. Doch wir hatten die ganze Zeit über Träume, vage Hoffnungen, die nun durch einen Schlüssel wahr werden könnten. (Der violette Schlüssel war das Wahlkampf-Symbol Rouhanis, Anm.d.Rd.)
Dann erwarten Sie schon etwas vom neuen Präsidenten Rouhani?
Wir werden sicherlich anders arbeiten müssen. Von den Einschränkungen und der Zensur werden wir nicht befreit sein. Entweder wird man bald nur die halbe oder gleich die doppelte Kreativität brauchen, um ein Theaterstück zu inszenieren oder ein Buch zu veröffentlichen.
Pajand Soleymani
ist Theaterschriftstellerin, Schauspielerin und Autorin. Sie war vor Kurzem auf Einladung von zenith in Deutschland. Sie lebt und arbeitet in Teheran. Ihr letztes Theaterstück »The three pieces having delirium« wurde beim Teheraner Parin-Festival prämiert. Im letzten Jahr erschien außerdem ihr Gedichtband »the poems u must«.
Ich sprach von den Träumen, der Hoffnung. Vielleicht ist das auch nur der Wunsch, dass ein Märchen wahr werden könnte und wir wieder arbeiten und schreiben können. Auf ganz rationale, alltägliche Art und Weise kann man in Iran zensiert werden. Daran gewöhnt man sich und vielleicht macht das auch kreativer. Andererseits haben die Leute speziell in den letzten Jahren aufgehört zu arbeiten, zu antworten, überhaupt Fragen zu stellen.
Haben die Menschen resigniert oder warten sie auf besserer Rahmenbedingungen?
Sie warten nur – auf ein Ergebnis, auf eine Antwort, eine Genehmigung, eine Absage: die Theater, Zeitungen und Verlage. Kaufen, verkaufen, geben, nehmen – alles wurde wie der Atem angehalten. Dieses Vakuum währt also schon lange. Vielleicht wartet man auf eine Katastrophe oder ein Phänomen, auf einen blauen Himmel, einen grünen Baum oder einen violetten Schlüssel. Hier ist es schon so weit gekommen, dass man nur auf einen Farbe wartet, die alles verändert.
Und wird dieser Schwebezustand mit der Vereidigung Rouhanis ein Ende haben?
Wenn sie so möchten, gibt es in diesen Tagen noch ein zusätzliches Vakuum: Niemand weiß, wie sich Rouhanis Kabinett zusammensetzen wird. Entscheidungsträger wie Künstler, Intellektuelle, Geschäftsleute und Arbeiter stehen vor demselben Problem: Wir wissen noch nichts, wir können nichts machen, also warten wir lieber. Dieses Aufschieben wird noch lange dauern. Die letzten Jahre müssen erst komplett vergangen sein, damit ein Schlüssel etwas öffnen oder – pessimistischer – andere Türen verschließen kann.
Welchen Stellenwert hatte das Theater in der Gesellschaft in den Jahren der Ahmadinejad-Präsidentschaft?
Ein geringer, aber immer noch bedeutender Teil der iranischen Gesellschaft geht regelmäßig ins Theater. Ich spreche hier vom Theater in seiner eigentlichen Bedeutung, nicht dieser Kitsch, der nur zum Spaß gezeigt wird und nichts zu tun hat mit der eigentlichen Definition des Theaters: Schmerz, Satire, Ironie – ein schwarzer Humor, der einen lachen, schreien und weinen lässt, der einen zum Denken bringt. Man kann auf der Bühne von einer Katze erzählen, die auf einer Mauer langspaziert, von einer Revolution, einer Ideologie – alles, was einen zum Denken bringt ist kostbar und dafür sollte man dankbar sein.
»Nach 2009 wollten die Menschen kein Theater sondern eine Show«
Und solch ein Theater war in den letzten Jahren nicht mehr möglich?
Insbesondere in den letzten Jahren haben wir es im Iran selten mit einem besonderen und durchdachten Theater zu tun gehabt. Die Künstler haben dieses teils deformierte Theater akzeptiert und ihre Arbeit gemacht, nur um aufgrund der schwierigen finanziellen Lage und der geringen Kulturförderung überhaupt ein Publikum zu haben! Mein früherer Professor, der Theater- und Filmregisseur Hamid Samandarian, der vor einem Jahr verstorben ist, hatte in den letzten Jahren seines Lebens Berufsverbot. Sehen Sie? Er war der König, der Vater des iranischen Theaters, ein Meister! Er durfte nicht mehr arbeiten, aber die Show ging weiter.
Entsprach die Richtung des Theaters in dieser Zeit nicht auch dem Publikumsgeschmack?
Die Stimmung in der Gesellschaft, speziell nach den Präsidentschaftswahlen 2009, war am Boden. Man muss dann auch Verständnis haben, dass die Menschen in so einer Atmosphäre ein ganz anderes Theater haben wollten, eine Show. Man kann das niemandem verdenken. Sie wollten nicht nachdenken. Sie wollten frei sein vom Druck, frei sein von sich selbst. Nicht nachdenken über die Gesellschaft, die Inflation, die Wahlen, über Gerechtigkeit – für die Dauer eines Theaterstückes.
Und wie haben Sie sich überhaupt engagieren können in den letzten Jahren – gesellschaftlich und beruflich?
Als Künstler arbeiten wir zwangsläufig mit und für die Gesellschaft, in der wir leben – und stehen auch unter der Dominanz der Politik. Man muss sich neue Rahmen und sogar Regeln erschaffen, um in einer Gesellschaft und in einer bestimmten Gruppe überleben zu können. Ganz offen gesagt, in diesem Land begegnen einem Millionen von Gesichtern, in denen ungeschriebene Regeln stehen: Regeln, Rahmen, Theorien und Formeln, die sich von Haus zu Haus, im Büro, auf der Bühne, auf dem Friedhof verändern.
»Irans Künstler haben durch ihre Arbeit immer Fenster in die Mauern geschlagen«
Und welche Überlebensstrategie haben Sie sich als Künstlerin zugelegt?
Innovativ sein und die eigene Geschichte auf einem gerade noch möglichen und legalen Weg erzählen. Etwa durch Änderung der Szenerie und der Wortwahl. Nur muss man das exakte Gefühl und die Atmosphäre dann genauso übermitteln können. Das erfordert Mut und Kreativität – und ein spezielles Publikum, das dann auch versteht und akzeptiert.
... und eine andere Kulturpolitik?
Das ganze politische System im Iran verneint den Kulturbereich und sieht die Kunst nicht einmal als seriösen Beruf an. Ein konservativer Präsidentschaftskandidat formulierte es treffend: »Wenn die Arbeitslosigkeit nicht so hoch wäre und es seriöse Jobs gäbe, dann hätten sie keine Zeit, so ein billiges Zeug zu machen!« Mit dem billigen Zeug meinte er das Theater, die Kunst, die Kultur. Man braucht allerdings guten Geschmack, um Kunst und Theater überhaupt bewerten zu können.
Aber entfaltet sich nicht in der Zensur auch die trotzige Stärke der Künste?
Natürlich haben iranische Intellektuelle und Künstler nie aufgehört zu schreiben und zu arbeiten – unbeachtet aller Umstände. So hoch die Mauern auch waren, sie haben durch ihre Arbeit immer Fenster in die Mauern geschlagen. Nur haben uns die letzten Jahre mit all den Einschränkungen nicht so innovativ inspiriert wie zuvor. Wir sind passiv geworden. Aber natürlich haben Sie Recht, dass es diese Begrenzungen in der iranischen Geschichte bis auf ein paar wenige und kurzweilige Ausnahmen immer gegeben hat – auch vor der Islamischen Revolution. Da hatten die Einschränkungen nur eine andere Farbe. Regisseure durften nicht arbeiten oder saßen im Gefängnis.
Wie sollten Künstler und Intellektuelle sich in den nächsten Jahren verhalten, soll man sich an Veränderungen beteiligen, vielleicht auch eine neue Brücke schlagen zwischen dem Kulturbereich und der Gesellschaft?
Wir können einen süßen Traum haben. Das ist das einzige Mal, dass ich mir wirklich ein Sandmännchen wünsche, der dem neuen Präsidenten und seinem ganzen Kabinett hilft, indem er ihnen süße Träume bringt, die sie an alle Leute in jenem Land übertragen. Möge es so sein. Bald.