Der »Islamische Staat« wird unweigerlich untergehen – seine Unterstützer und die leidende Zivilbevölkerung werden bleiben. Was hat die westlich-irakisch-kurdische Zweckallianz ihnen zu bieten?
Die kurdischen Peschmerga und die irakische Armee ziehen den Belagerungsring um die Millionenstadt Mosul enger. Der Countdown für die Frühjahrsoffensive tickt. Es wird ein blutiger Kampf werden, Straße für Straße, wie bereits im syrischen Kobane. Nur werden sich die Islamisten diesmal hinter einer zumindest teilweise loyalen Bevölkerung verstecken können. Dass die Anti-IS-Allianz nur mit wenig Unterstützung rechnen kann, liegt auch an ihrem eigenen Vorgehen.
Ende Dezember bombardierte die US-Luftwaffe einen vermeintlichen Kommandoposten des »Islamischen Staats« (IS) in der syrischen Kleinstadt Al-Bab unweit von Aleppo. Erst nach Recherchen des US-Nachrichtendienstes McClatchyDC kam heraus, dass es sich dabei tatsächlich um ein improvisiertes Gefängnis der Terrororganisation handelte. Mehr als 50 Zivilisten kamen bei dem Angriff ums Leben. Wie schon in anderen Fällen zuvor hatten sich die internationalen Streitkräfte geweigert, lokale Informanten zu nutzen, um zivile Opfer zu verhindern.
Die Furcht, durch solche inoffiziellen Kontakte zu Milizen und Oppositionsgruppen, oft aus dem islamistischen Spektrum, indirekt den IS zu unterstützen, ist besonders auf US-Seite groß. Der Grundsatz, nicht mit Terroristen zu verhandeln, verhindert jedes Zugehen auf die dortige Bevölkerung. Obwohl sie es öffentlich kaum zugeben würden, zahlten verschiedene europäische Staaten in den vergangenen Jahren dreistellige Millionenbeträge an den IS, um entführte Staatsbürger, meist Journalisten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, freizukaufen.
Trotz des hehren Ziels haben diese Geldbeträge erst zum Aufblühen der Entführungsindustrie geführt, unter der vor allem lokale irakische und syrische Zivilisten wie Aktivisten zu leiden haben. Sie verschwinden deutlich häufiger als Ausländer in kriminellen Netzwerken, ohne dass eine Regierung für ihre Befreiung aufkäme. Neben Öleinnahmen wurden Entführungen zum wichtigsten Geschäftsfeld des IS.
Während die Assad-Luftwaffe über den gesamten Bürgerkrieg hinweg nur sehr selten gezielte Luftschläge in Koordination mit Bodenkräften durchführte, sondern meist wahllos zivile und militärische Gebiete bombardierte, um den Aufbau ziviler Oppositionsstrukturen und die Rückkehr von Flüchtlingen zu verhindern, konzentrieren sich die von den USA geführten Kräfte auf militärische Ziele und IS-Kommandostrukturen. Dabei passieren Fehler, vermeidbare Fehler.
Aus Sicht der Zivilisten vor Ort macht das die Gleichsetzung von syrischer Regierung und internationalen Luftschlägen einfach. Die zivilen Opfer der Luftangriffe wie auch die bereitwillige Kooperation europäischer Staaten mit dem IS, sobald die Sicherheit eigener Bürger betroffen ist, hinterlässt bei den Menschen einen zwiespältigen Eindruck. Die Forderungen der konservativen sunnitischen Bevölkerung nach mehr Teilhabe am politischen Prozess wie am Wohlstand werden vermutlich in beiden Ländern nicht erhört werden.
So grausam die IS-Herrschaft auch ist, in Peschmerga und irakischer Armee werden die Einwohner Mosuls kaum Befreier sehen. Der Volksaufstand der konservativen Sunniten in Syrien ist mit dem IS zwar nicht am Ende, aber jede Aussicht darauf, als Sieger hervorzugehen, ist dahin. Der Kampf mit den Regierungen in Damaskus und Bagdad wird mit niedrigerer Intensität andauern – zumindest in Syrien ist die allgemeine Kriegsmüdigkeit spürbar.
In den Wintermonaten, wenn die Menschen mehr mit dem Wetter als mit dem Feind ringen, nahmen die Opferzahlen zuletzt etwas ab. Und westliche Regierungen müssen planen, ob und wie sie mit einer geächteten syrischen Regierung wieder in Dialog treten können. Zumindest leisten erste Think-Tanks in den USA bereits Überzeugungsarbeit für diesen Schritt. Die korrupten und bei Teilen der Bevölkerung verachteten Regierungen in Bagdad und Damaskus dazu zu bewegen, auch Geld in den Wiederaufbau oppositioneller Gebiete zu stecken, ist eine kaum zu meisternde Herausforderung – zumal in Syrien für die Beseitigung der Kriegsschäden kaum Geld vorhanden sein wird.
Effektiv und dauerhaft den Unterstützerkreis des IS in den sunnitischen Gebieten Syriens und Iraks zu verkleinern, wird nur möglich sein, wenn diese Gebiete nach Ende der IS-Herrschaft eine spürbare Verbesserung der Lebensqualität erfahren. Ohne die Hilfe humanitärer Organisationen wird das nicht umsetzbar sein und ohne internationalen Druck werden beide Regierungen ein solches Aufbauprogramm nicht gestatten.