Reina Lewis forscht über das Verhältnis von Mode und Religion. Im Interview erklärt sie, warum der »Mipsterz«-Trend unter Muslimen so eine starke Debatte auslöste und welche Bedeutung muslimische Modeblogger und Designer haben.
zenith: Ein kurzes Internetvideo, das eine Gruppe schick gekleideter junger Musliminnen in New York zeigt, sorgte 2014 für Furore. Warum löste der »Mipsterz«-Clip eine solche Welle an Reaktionen aus?
Reina Lewis: Das Video dokumentiert, wie sich eine Gruppe junger Frauen in Nordamerika tatsächlich kleidet. Die Mädchen sehen sich als praktizierende Gläubige. Viele Muslime waren von den Mipsterz oder »Muslim Hipsters« begeistert; andere fanden, ihre Gemeinschaft sei falsch dargestellt und das sei keine sittsame Kleidung.
Ging es dabei wirklich nur um Kleidungsfragen?
Die Kontroverse kreiste um verletzte Gefühle – und die Deutungshoheit über Bilder von Muslimen. Man muss es vor diesem Hintergrund sehen: Muslime im Westen begegnen vielen Vorurteilen und Kritik. Islam wird meist mit Terror verknüpft, es gibt wenig Freundliches in den Massenmedien. Taucht dann einmal ein positives Image auf – und erhält es auch noch so viel mediale Aufmerksamkeit wie die Mipsterz –, erheben alle Anspruch darauf. Jeder will es für seine Zwecke nutzen. Gäbe es mehr solche positiven Bilder, wären die Leute weniger ängstlich, welche Botschaft transportiert wird. Doch weil es so wenige sind, zählt jedes Bild.
Sind Hijabistas und muslimische Modeblogger die Folge globalisierten Konsums oder ein spezifisch muslimisches Phänomen?
Beides trifft zu. Frühere Generationen von Hijabis waren oft gegen die so genannten westlichen Konsumgesellschaften eingestellt. Sie sahen darin einen Gegensatz zu ihrem spirituellen Verständnis ihrer selbst. Während heute, im 21. Jahrhundert, junge Menschen die Konsumkultur benutzen, um Stereotype herauszufordern. Mode ist eines der Mittel, durch die eine junge Generation von Muslimen in vielen Teilen der Welt ihre religiöse und spirituelle Identität ausdrückt.
Nach dem Motto: Wir zeigen euch, wie gut Islam aussehen kann ...
Viele junge Frauen sagen: »Wenn ich Hidschab trage, dann will ich das mit Style tun.« Sie stellen das Vorurteil in Frage, Muslime seien primitiv, und benutzen globalisierte Mode, um ihre moderne muslimische Identität zu kommunizieren.
Welche Rolle spielt das Internet dabei?
Eine sehr wichtige: Fashionblogger verbreiten Ideen und Styles für muslimische und sittsame Mode weltweit. So kann etwa ein indonesischer Modedesigner oder Blogger ein Trendsetter für junge Muslime in Australien und in England sein.
Wie beeinflusst Mode die Identität und Wahrnehmung einer Person?
Alle Kleidung beeinflusst, wie wir wahrgenommen werden, und wir haben keinen Einfluss darauf. Ich kann nicht kontrollieren, wie andere Leute meine Erscheinung interpretieren. Die Queen trägt oft ein Kopftuch unter ihrem Kinn geknotet. Kaum jemand denkt, dass sie Hidschab trägt.
Apropos: Warum ist das Kopftuch sowohl im Westen als auch in muslimischen Ländern immer noch ein Diskussionsthema?
Meiner Meinung nach wird seit dem Ende des Kalten Krieges und insbesondere seit dem 11. September 2001 eine Rhetorik verbreitet, die Muslime als »uns« entgegengesetzt darstellt: Sie seien anders und stünden im Gegensatz zur »westlichen« Moderne. Dadurch werden kopftuchtragende Frauen zu einem Spannungsfeld. Sie sind auf einmal übersichtbar als Muslime. Während andere Muslime nicht so leicht zu erkennen sind, wird das Kopftuch zum Siedepunkt in Debatten über Identität, Nationalität und Politik. Das war der Fall in westlichen Ländern, aber auch in muslimisch dominierten Gesellschaften wie der Türkei.
Reina Lewis
ist Professorin für Kulturwissenschaften am London College of Fashion der University of the Arts London. Sie beschäftigt sich insbesondere mit Glaube und Mode, Debatten über Verschleierung sowie muslimischen Bloggern und Designern. Ihr neues Buch »Muslim Fashion. Contemporary Style Cultures« erscheint Anfang 2015.
Ist es auch aus diesem Grund wieder interessanter geworden, Kopftuch zu tragen?
Seit der weltweiten Reislamisierung hat das Tragen des Kopftuchs innerhalb von Phasen zugenommen. Mehr junge Frauen als früher tragen Hidschab – und zwar sehr modisch. Blättert man durch ein Modemagazin, sieht man beim Street Style nie die Hijabis. Doch geht man etwa in London durch die Straßen, sieht man viele stylische Frauen mit Kopftuch.
Die Realität muslimischer Kleidung und Mode wird in westlichen Medien also ausgeblendet?
In Ländern, in denen Muslime die Minderheit ausmachen, wird im Mode- und Lifestylejournalismus nicht über Hijabi-Mode berichtet. In den Tagesmedien zwar schon. Aber dort wird es nie als Modeentwicklung gesehen, sondern immer mit Religion verknüpft und mit Ängsten über Sicherheit, Terrorismus und Fundamentalismus in Verbindung gebracht. Dabei ist diese Art der Kleidung für viele junge Frauen zwar ein Ausdruck von Spiritualität oder Glauben, aber es ist zugleich auch einfach Mode für sie.
Und wie sind solche Entwicklungen zu deuten? Werden Jugendliche religiöser oder entfernen sie sich von der Religion?
Außerhalb des Nahen Ostens, in nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaften, sehen wir eine Zunahme von Religiosität und religiösem Bewusstsein unter Muslimen. Das gleiche sehen wir bei jungen Juden, Hindus und Christen. Viele Mütter der Hijabistas haben kein Kopftuch getragen oder es anders getragen. Diese junge Generation entscheidet sich bewusst, ihre Religiosität auszudrücken. Im Nahen Osten übrigens ebenso: Auch dort gibt es neue Trends, wie sich Frauen verhüllen, wie sie das Kopftuch interpretieren.