Lesezeit: 9 Minuten
Interview mit dem Kriminalarchäologen Michael Müller-Karpe

»Für den etablierten Antikenhandel wäre es das Ende«

Interview

Der Kriminalarchäologe Michael Müller-Karpe über ein neues Gesetz zum Schutz von Kulturgütern, den »Islamischen Staat« und seine vor Gericht verhandelte Behauptung, dass an orientalischen Antiken »Blut klebt«.


 

zenith: Herr Müller-Karpe, nach dem Urteil des Freiburger Landgerichts vom 13. Februar 2015 dürfen Sie es ja sagen. Also ...

Michael Müller-Karpe: ... wer Antiken ungeklärter Herkunft kauft, fördert nicht nur Kulturzerstörung, weil er damit Raubgrabungen sponsert. Er sollte sich auch klar machen, dass an vielen Antiken, die im Handel angeboten werden, Blut klebt.

 

Wenn man heute im Handel Antiken kaufen oder ersteigern will, die aus dem Nahen Osten stammen, etwa aus Mesopotamien und der Levante: Gibt es überhaupt legale Ware von dort?

Kaum. Wo soll die herkommen? Seit 1869 ist das Graben nach Antiken verboten und deren Export auch und seit 1884 sind alle archäologischen Funde dort im öffentlichen Eigentum des jeweiligen Herkunftslandes. Ein legaler Handel mit solchen Dingen ist in aller Regel gar nicht möglich.

 


Michael Müller-Karpe, 60,

ist Archäologe am Römisch-Germanischen Zentralmuseum Mainz. Am 13.2. wies das Landgericht Freiburg eine Klage gegen ihn ab. Ein Händler hatte Müller-Karpe Verleumdung und Geschäftsschädigung vorgeworfen, weil dieser u.a. in einer ARD-Sendung einen Zusammenhang zwischen in Deutschland gehandelten Antiken und Terrorfinanzierung in Nahost hergestellt hatte.


 

Seit mehreren Jahren werden Sie ziemlich regelmäßig von Antikenhändlern deutschlandweit bezichtigt, Sie würden mit Ihren Äußerungen den Handel in ein schlechtes Licht rücken. Auch die Gerichte haben sich des Öfteren mit dem Problem beschäftigt. Warum ist der Handel derzeit so nervös?

Der Antikenhändler Christoph Léon sagte kürzlich im Spiegel-Interview bezüglich der im Handel angebotenen Antiken: »Alles stammt irgendwann aus Raubgrabungen.« Es geht hier um ein zerstörerisches Milliardengeschäft – und daran will man sich noch möglichst lange bereichern.

 

Das scheint ja nun schon seit langer Zeit so zu gehen. Insbesondere nach der Irak-Invasion 2003 strömten mesopotamische Schätze auf den Markt. Selbst wenn die illegale Herkunft nachgewiesen werden konnte, wurden Hehler nur sehr selten strafrechtlich belangt. Aber warum ist der Handel gerade jetzt so aufgeregt?

Das hängt sicherlich mit den Meldungen zusammen, dass Terroristen wie der »Islamische Staat« ihr Kriegsgerät auch mit dem Plündern archäologischer Stätten finanzieren. Wer auch weiterhin im internationalen Markt für Antiken ungeklärter Herkunft mitmischen will, nimmt damit nicht nur billigend in Kauf, dass er mit geplündertem Kulturgut handelt. Ihn plagt möglicherweise jetzt auch die Sorge, er könne damit Kriegsverbrechen fördern.

 

Laut einem jüngsten Bericht des Wall Street Journal ist der Handel mit Antiken eine Haupteinnahmequelle des »Islamischen Staates«. Die Zeitung zitiert einen irakischen Geheimdienstoffizier, demzufolge ein zweistelliger Millionenbetrag allein durch die Plünderung christlicher Ikonen und Mosaike aus Zentralsyrien erzielt worden sein soll. Ein ehemaliger Mitarbeiter von Europol sagte dem Blatt, die IS-Milizen würden über ihr internationales Netzwerk auch die traditionellen Mittelsmänner im Geschäft umgehen und direkt an Händler herantreten. In dem Freiburger Verfahren aber behauptete der Anwalt des Klägers gegen Sie, Raubgrabungen im Irak hätten nichts mit dem »IS« zu tun und auch in Syrien gebe es aktuell keine Bedrohung des Antikenbestandes durch die Miliz. Wie kommt man zu solchen Behauptungen?

Die Plünderungen sind Fakt. Die Satellitenaufnahmen der völlig zerstörten archäologischen Stätten, die wie Mondlandschaften aussehen, lassen sich leider nicht einfach wegdiskutieren. Aber es ist schon bemerkenswert, mit welcher Vehemenz hier ein Anwalt die vermeintlich unzutreffenden Vorwürfe gegen den »IS« bestreitet ...

 

Die Bundesregierung will nun erklärtermaßen den Kulturgüterschutz in Deutschland verbessern. Was halten Sie von der neuen Initiative?

Es sieht so aus, dass die Bundesregierung jetzt endlich die Reißleine zieht und ernsthaft gegen den Handel mit geplündertem Kulturgut vorgehen will. Man plant offenbar, dass ab kommendem Jahr der Handel mit Antiken nur noch geduldet werden soll, wenn gültige Exportdokumente des Landes der Fundstelle vorgelegt werden. Aus meiner Sicht eine längst überfällige Maßnahme. Aber wenn sie tatsächlich so umgesetzt wird, bedeutet dies das Ende des etablierten Antikenhandels in Deutschland.

 

Warum?

Kein gewinnorientiertes Unternehmen wäre lebensfähig, wenn es ausschließlich mit Antiken handelte, die nachweislich nicht aus Plünderungen oder Schmuggel stammen.

 

»Welches Interesse sollte die Weltgemeinschaft haben, geplündertes Kulturgut zu legalisieren – um damit die rücksichtslose Gier Einzelner zu befriedigen?«

 

Wäre ein internationales Abkommen zur Zertifizierung von Antiken denkbar? Etwa wie im Fall der sogenannten Blutdiamanten?

Dieses System gibt es doch längst: Bei gesetzeskonformer Entnahme von Bodenfunden und genehmigter Ausfuhr entstehen immer amtliche Dokumente: Grabungslizenzen, Fundmeldungen, Exportlizenzen. Und das nicht erst seit gestern: In Griechenland seit 1834, im Osmanischen Reich und seinen Nachfolgestaaten, zum Beispiel Irak und Syrien seit 1869, in Iran seit 1930. Das Problem: Für den Handel wurden solche Dokumente kaum ausgestellt, da der in den allermeisten Herkunftsländern seit Generationen bereits verboten ist. Wenn diese Dokumente fehlen, ist generell davon auszugehen, dass da etwas faul ist. Welches Interesse sollte die Weltgemeinschaft haben, geplündertes Kulturgut, bei dem diese Dokumente natürlich fehlen, zu legalisieren – um damit die rücksichtslose Gier Einzelner zu befriedigen?

 

Viele geplünderte Antiken werden nun vermutlich zwischengelagert, bis die öffentliche Aufmerksamkeit für das Problem wieder nachlässt. Außerdem will man sich die Preise ja nicht durch ein Überangebot verderben. Viel Ware wird wohl erst in einigen Jahren auf dem Markt auftauchen. Wer kann sie dann aufspüren?

Das was schon geplündert ist, ist im Grunde bereits verloren. Das sind Kinder, die schon in den Brunnen gefallen sind. Mit der Zerstörung der im Fundkontext im Boden erhaltenen Informationen haben die Plünderer ihnen gewissermaßen die Zunge herausgeschnitten: Sie können uns vieles nicht mehr erzählen. Unser ganzes Augenmerk muss dem Schutz der archäologischen Stätten gelten, die noch nicht zerstört sind. Und dafür müssen mir den zerstörerischen Markt austrocknen. Antiken müssen ihren Marktwert verlieren: Plündern darf sich nicht mehr lohnen!

 

Sehen Sie seitens der großen Kunstauktionshäuser, die ja mit Kunst aus allein möglichen Epochen handeln, ein Umdenken und eine Bereitschaft, auf den Handel mit Antiken ohne Exportlizenzen freiwillig zu verzichten? Etwa aus Gründen von Compliance und Reputation?

Leider nein. Ein ehemaliger Präsident eines deutschen Kunsthändlerverbandes hat mir einmal auf meine Frage, wie hoch denn der Anteil der Umsätze sei, die deutsche Kunsthändler mit archäologischen Funden erzielen, gesagt: ein Prozent! Auf meine erstaunte Nachfrage, warum man sich denn nicht von den schwarzen Schafen trenne, die doch offensichtlich die ganze Branche in Misskredit bringen, seine lapidare Antwort: Für die Antikenhändler geht es um hundert Prozent und die sind auch unsere Mitglieder.

Von: 
Daniel Gerlach

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