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Identität und Pluralismus in Indonesien

Wie hoch tragen Garudas Flügel?

Feature

Eine Einführung in Indonesiens Gegenwart und Geschichte zeigt, dass wachsende Islamisierung, Demokratie und religiöser Pluralismus keine Widersprüche sein müssen. Aber kann Indonesien seinen Einheits-Kurs auf Dauer halten?

»Dieses viertgrößte Land der Erde, das Land mit den weltweit meisten Muslimen, mit seinen so reichen und vielfältigen Kulturen, […] das sich inzwischen zur drittgrößten Demokratie der Erde gemausert hat, [übt] eine niemals abreißende Faszination auf mich aus.« Diese Faszination ist in Franz Magnis-Susenos Buch »Garuda im Aufwind« durchaus herauszulesen. Der Philosoph, Politikberater, Jesuit sowie Träger des Bundesverdienstkreuzes, ist einer der bekanntesten Intellektuellen Indonesiens und gilt als führender Vertreter des Dialogs zwischen den Religionen und als Vorkämpfer für Demokratie und Menschenrechte.

 

Seit über fünf Jahrzehnten lebt er in Indonesien. Magnis-Suseno nimmt uns mit auf einen Rundflug durch Indonesiens Geschichte und Kultur. Zunächst orientieren wir uns im heutigen Indonesien, das seit einem Jahr von Joko Widodo regiert wird, dem ersten Präsidenten ohne Verbindung zur politischen wie wirtschaftlichen Clique des ehemaligen Diktators Suharto. Wer ist dieser »Mann des Volkes«? Wie konnte er sich gegen seinen Opponenten Prabowo Subianto, ehemaliger Schwiegersohn Suhartos, durchsetzen? Und wie wird sich Indonesien unter seiner Führung entwickeln?

 

Um Indonesiens Gegenwart verstehen zu können, führt die Reise weiter in die jüngste Vergangenheit. Magnis-Suseno erklärt, wie sich die junge Demokratie nach dem Rücktritt Suhartos 1999 trotz mehrerer Regierungswechsel, religiösen Extremismus und Konflikten Schritt für Schritt entwickeln und stabilisieren konnte. Nach dieser ersten Orientierung führt der Rundflug in weitem Bogen zur Vorgeschichte dieses weltweit größten Inselstaates.

 

Kurz und verständlich erläutert der Pater, wie der Islam Einzug in das Inselgebiet fand und welche Rolle die niederländische Kolonie bei der Entstehung eines indonesischen Nationalbewusstseins spielte, noch vor der Bildung des »Pancasila«-Staates, der den mythischen Vogel Garuda in seinem Wappen trägt. Bevor der Flug langsam wieder in Richtung Gegenwart führt, vorbei an der Entwicklung Indonesiens nach der Unabhängigkeitserklärung, machen wir einen Abstecher zur javanischen Kultur. Sie dient als Beispiel für eine indonesische Landeskultur, für die das Motto »Bhinneka Tunggal Ika – Einheit in Verschiedenheit« gilt, und ist essentiell für ein Verständnis der Entwicklungen unter den ersten beiden Präsidenten Sukarno und Suharto.

 

Im Laufe des Rundflugs schenkt Magnis-Suseno dem Islam besonderes Augenmerk. Kleine Exkursionen führen zu den wichtigsten Stationen des indonesischen Islams in Gegenwart wie Vergangenheit. Der Autor beobachtet eine wachsende Islamisierung, die für ihn jedoch nicht in Widerspruch zum Fortbestehen des indonesischen Einheitsgefühls steht.

 

»Die kaum zu fassende Einheit dieses Reiches der mehr als zehntausend Inseln scheint heute nicht mehr ernstlich gefährdet«

 

»Die kaum zu fassende Einheit dieses Reiches der mehr als zehntausend Inseln […] scheint heute nicht mehr ernstlich gefährdet. Allerdings sind die Konfliktpotentiale immer noch besorgniserregend.« Diese sieht er nicht in der Existenz islamistischer Radikaler begründet, sondern in der Schwäche der politischen Klasse, insbesondere der politischen Parteien. »Garuda im Aufwind« ist kein wissenschaftliches Buch und auch keines aus der Sicht eines Beobachters.

 

Es ist ein Buch aus Sicht eines Teilhabenden.« So bezeichnete der Malaiologe Berthold Damshäuser Magnis-Suseno neben vielen deutschen Indonesienexperten und -wissenschaftlern als einzigen wirklichen »Indonesien-Kenner«. Zwischen den Zeilen scheinen Magnis-Susenos optimistische Sichtweise, die sich bereits im Titel zeigt, und sein entschlossener Glaube an die in der »Pancasila«, der indonesischen Staatsphilosophie, ausgedrückte »Einheit in Verschiedenheit« durch. Trotz seiner, wie der Autor selbst betont, subjektiven Betrachtung der Ereignisse, schildert er diese, ohne dabei Partei für eine bestimmte Seite zu ergreifen. Bildhafte Erzählungen sowie Anekdoten aus Magnis-Susenos Leben machen es leicht, dem Text auch ohne Vorkenntnisse zu folgen.

 

Zu bemängeln ist, dass das Buch eine Vielzahl an Rechtschreib- wie Flüchtigkeitsfehlern enthält. Magnis-Suseno zeichnet in seinem neuen Buch, das nach über 25 Jahren an »Neue Schwingen für Garuda« anknüpft, ein umfassendes und übersichtliches Bild der Geschichte, Politik und Kultur der Inselnation und versucht eine Einordnung des Islams im heutigen wie künftigen Indonesien. Das Buch wird derzeit auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt, bei der Indonesien Ehrengast ist.


Garuda im Aufwind

Eric-Emmanuel Schmitt

Das moderne Indonesien

Franz Magnis-Suseno

Dietz Verlag, 2015

172 Seiten, 14,90 Euro

 
Von: 
Marisa Reichert

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