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Hassan Ruhani und Bürgerrechte in Iran

Glasnost und Galgen

Analyse

Präsident Hassan Ruhani ermuntert die Iraner, sich offen und angstfrei zu äußern. Gleichzeitig steigt die Zahl der Hinrichtungen rapide an. Wie ernst ist es dem Kleriker mit den Bürgerrechten in seinem Land?

Es sind alarmierende Zahlen aus Iran: Die UN schätzt, dass bereits über 80 Menschen seit Beginn des Jahres 2014 hingerichtet wurden. Nicht nur die Vereinten Nationen sind besorgt, sondern auch die Iraner: Seit Wochen strömen Berichte über Hinrichtungen durch die persischsprachigen Nachrichtenportale und sozialen Netzwerke. Es sind so viele, dass die Nachrichtenseite Iran Wire sich für die teils grausamen Erzählungen vor ihren Lesern rechtfertigen muss und der persischsprachige Dienst der BBC sich in der Pflicht sieht, mit seinen Zuschauern über Sinn und Zweck der Berichte zu diskutieren.

 

Ein islamischer Geistlicher aus der Stadt Qom regte vor ein paar Wochen an, wegen der schlechten Publicity auf öffentliche Hinrichtungen zu verzichten. Klar ist: Die enorme Zahl der Hinrichtungen seit Beginn des Jahres passt nicht zu den neuen Tönen aus Teheran. Der iranische Präsident Hassan Ruhani hatte in seinem Wahlkampf gezielt an jene Emotionen appelliert, die sich dann in seiner Bürgerrechtscharta manifestierten: die Betonung der Zivilgesellschaft, der Glaube an die Bürgerrechte, Rechtsstaatlichkeit – eine Umkehr der Politik seines Vorgängers Mahmud Ahmadinejad.

 

Die Hoffnungen im In- und Ausland an einen raschen, grundlegenden Wandel sind hoch. Und nach den ersten diplomatischen Erfolgen ist die mediale Aufmerksamkeit auf Iran so groß wie seit den grotesken Auftritten Ahmadinejads nicht mehr. Lag die Erwartungshaltung vor ein paar Monaten noch bei »Es wird schwer, aber wir geben Ruhani Zeit«, so fragt man sich nun: »War er ehrlich mit uns?« »Die Versuche der iranischen Regierung, ihr Image im Ausland aufzubessern, sind bedeutungslos, wenn zeitgleich immer mehr Menschen hingerichtet werden«, meint etwa Amnesty International.

 

Der moderate Kleriker Ruhani: nicht mehr als ein Bauernfänger der iranischen Theokratie? Im Februar, am Jahrestag der Islamischen Revolution, traditionell ein Tag der pflichtbewussten Funktionäre und wirklichen Gefolgsleute der Islamischen Republik, sagte Ruhani in Richtung seiner Kritiker aus dem konservativen Lager, dass die Öffnung des Landes der Weg zu einem besseren Iran wäre – und nicht etwa Drohungen und harsche, altbackene Rhetorik.

 

Die Öffnung des Landes und der so notwendige Politikwechsel: Das ist in Iran eine lange Reise, die durch schwieriges politisches Terrain führt. Die Konservativen und Hardliner, für die der Wahlsieg Ruhanis ein Schock war, verfügen über enorme institutionelle und finanzielle Ressourcen, um Reformen zu verhindern. Und sie haben die ideologische Motivation, diese Ressourcen zu gebrauchen. Auf Bedrohungen wissen die Hüter der gesellschaftlichen und politischen Ordnung zu reagieren. Und sie wissen die aktuelle Nachrichtenlage zu nutzen.

 

»Sie erwarten, dass wir unser Schweigen brechen?«

 

Da äußert sich Ruhani zu den vielen Zuschriften, die er aus dem ganzen Land und besonders von Universitäten und Institutionen bekommt: »Warum sprecht ihr nicht offen?«, fragt er seine Landsleute – nicht ohne einen Hieb in Richtung der politischen Gegner: »Warum überlasst ihr die Arena den wenig Gebildeten? Warum mischen sich unsere großen Wissenschaftler nicht ein?« Wenig später bekommt der ehemalige Präsident der Universität Teheran und Reformanhänger Mohammad Maleki Besuch.

 

Es sind Agenten des Staatsapparates, die ihn und seinen Sohn davor warnen, das Wort zu ergreifen. Ruhani bekam die Antwort von Maleki: »Und sie erwarten von uns, dass wir unser Schweigen brechen?« Auch die ethnischen Minderheiten, die fast fünfzig Prozent der Bevölkerung stellen, erwarten von Ruhani, dass wie versprochen ihre Rechte gestärkt werden. Die Regierung hat erkannt, dass man Azeris, Araber und Belutschen nicht von der gemeinsamen iranischen Identität ausschließen kann.

 

Der Unterricht ihrer Muttersprache an den lokalen Schulen wäre ein wichtiger Schritt, dachte sich die Regierung und setzte das Vorhaben auf die Agenda. Von den Mitgliedern des konservativen Establishments hagelte es wüste Kritik und wie zum Beweis ihrer weitreichenden politischen und institutionellen Macht, wurden am »Tag der Muttersprache« aserbaidschanische Bürgerrechtler im Nordiran festgenommen. Unter scharfer internationaler Kritik steht der Fall des arabisch-iranischen Poeten Hashem Shaabani aus der Stadt Ahvaz.

 

Shaabani schrieb auf Arabisch, er übersetzte Literatur aus dem Arabischen ins Persische und war eine wichtige Figur in der arabischen Community: Ein unabhängiger Geist, der die Mühen der iranischen Araber nach einer kulturellen Identität verkörpert – in einem Staat, der seiner arabischen Minderheit elementare Rechte verweigert und ihre Anstrengungen, sich vom Zentralstaat zu lösen, erst befördert. In einer Rede in der Region Ahvaz hat Ruhani die staatliche Diskriminierung scharf kritisiert.

 

Nur kurze Zeit nach der Rede im Januar wurde Shaabani, der seit 2011 im Gefängnis saß, an einem geheimen Ort hingerichtet. Es erinnert an die Amtszeit Mohammed Khatamis, der wie Ruhani Gewand und Turban trägt und 1997 mit einer ähnlichen Botschaft von Freiheit und Wandel zum Präsidenten gewählt wurde. Allerdings blieben konkrete Reformen aus, Hoffnung schlug in Enttäuschung um, weil seine konservativen Gegner den politischen Spielraum verengten und Veränderungen verhinderten.

 

Mit einer Reihe von Morden an Schriftstellern und Dissidenten im Jahr 1998, den sogennanten »Kettenmorden«, versuchte man, den Präsidenten zu diskreditieren. Von den Hinrichtungen heute gehen ähnliche Signale aus: an den Präsidenten, die Reformer, die ethnischen Minderheiten und an die politischen Zirkel im Westen. Signale, die die Glaubwürdigkeit der neuen Regierung untergraben. Und über Erfolg oder Misserfolg der Reformbemühungen entscheiden können.

Von: 
Florian Bigge

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