Der Krieg in Syrien blockiert wichtige Handelsrouten von der Türkei in die arabische Welt. LKWs stecken tagelang in staubigen Kolonnen fest, Transportunternehmer suchen nach neuen Routen, um die Absatzmärkte am Golf zu erreichen.
Dunkle Wolken hängen im Frühjahr 2014 über dem Betonportal, das nach Syrien führt. Auf der Straße vor dem Grenzübergang stauen sich LKWs, Stoßstange an Stoßstange. Seit Stunden haben sie sich keinen Meter bewegt. Knapp 500 LKWs rollten täglich über den türkischen Grenzübergang Cilvegözü nach Syrien. Türkische Fuhrunternehmer transportierten ihre Waren nach Aleppo und weiter nach Jordanien bis in die Golfstaaten.
So war es bis Juli 2012. Dann lieferten sich auf der syrischen Seite des Grenzübergangs Rebellen und Assad-Truppen heftige Gefechte. Zwölf Türkische LKWs gingen in Flammen auf, mehrere weitere wurden geplündert. Die Türkei sperrte daraufhin die Grenze zu Syrien für den Handelsverkehr, für Personen blieb sie weiterhin geöffnet. »Etwa 120 LKW-Ladungen erreichen täglich Syrien«, sagt der türkische Grenzbeamte.
Viel zu wenige, um die steigende Nachfrage zu decken. Denn viele Güter können seit dem Ausbruch des Krieges nicht mehr in Syrien hergestellt werden. »Geliefert werden vor allem Nahrungsmittel«, sagt er. »Aber auch Zement, Eisen und Generatoren.« Seit die Türkei die Tore nach Syrien dicht gemacht hat, müssen die tonnenschweren Waren in einer Pufferzone hinter dem Betonportal auf syrische LKWs umgeladen werden. Eine zeitraubende Angelegenheit, zumal die Kolonne täglich anwächst. lautet die Botschaft.
Vom ersten Sattelschlepper beim Grenzportal bis zum Ende der Kolonne sind es zwölf Kilometer, zweispurig. Hatems Sattelschlepper steht etwa fünf Kilometer vor der Grenze. Seit zwei Wochen lebt er am Straßenrand, schläft in der Fahrerkabine. Dieselgestank. Staub. Langeweile. »Vor dem Krieg dauerte der Grenzübertritt ein bis zwei Tage«, sagt er. Neben seinem Lastwagen hat er Klappstühle aufgestellt.
Im Staukasten unterhalb der Ladefläche stehen Gaskocher und Teekanne, eine Zuckerdose und mehrere Gläser. Hier schlägt er mit seinen Kollegen die Stunden tot. Fünf weitere Tage werde es vielleicht noch dauern, bis er die Ladung Zement an der Grenze umladen kann, sagt Hatem und zündet sich eine Zigarette an. Der Grenzübergang Cilvegözü liegt in der türkischen Provinz Hatay.
Die Region zwischen der syrischen Grenze und dem Mittelmeer ist wirtschaftlich ganz besonders vom Handel mit Syrien, Jordanien und der arabischen Halbinsel abhängig. Eine Untersuchung des türkischen Think Tanks »International Middle East Peace Research Center« (IMPR) fasst die Auswirkungen der Syrienkrise auf den Grenzverkehr in Zahlen: Im Juli 2011 überquerten 15.000 LKWs die Grenze nach Syrien.
Obwohl bereits zu diesem Zeitpunkt bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Assad-Gegnern und der syrischen Armee in einigen Städten Syriens tobten, waren das in etwa gleich viele wie noch im Jahr zuvor. Als mit Dezember 2011 die Sanktionen gegen das Assad-Regime in Kraft traten, sank die Zahl auf etwa die Hälfte. Im Juli 2012 fuhren noch 3.000 LKWs nach Syrien, bevor die Grenze für den Handelsverkehr Ende Juli geschlossen wurde.
Ein großer Teil des Handels hat sich auf den Seeweg verlagert, insbesondere auf Schiffe, auf denen die Fracht nach dem RoRo-Verfahren (»Roll on, Roll off«) direkt auf die Ladefläche gefahren wird. So bringen RoRo-Schiffe beladene LKWs von Iskenderun zum israelischen Hafen Haifa. Auf dieser Route können die Waren innerhalb von drei Tagen bis nach Jordanien weiter transportiert werden. Schnell genug für verderbliche Produkte wie Fleisch, Früchte und Gemüse.
Die Fähre über das Rote Meer erspart den teuren Weg durch den Suez-Kanal
Wegen fehlender diplomatischer Abkommen ist es aber problematisch, Güter über Israel bis weiter nach Saudi-Arabien zu liefern. Laut Auskunft von UTIKAD, einer Interessensvertretung türkischer Transportunternehmer, verlaufe daher die Hauptroute von der Türkei nach Saudi-Arabien über Ägypten. Während die LKWs per Schiff transportiert werden, gelangen die Fahrer per Flugzeug nach Alexandria.
Im ägyptischen Hafen Damietta nehmen sie ihre LKWs in Empfang und fahren im Konvoi Richtung Suez, dort setzen sie auf einer Fähre nach Saudi-Arabien über. Die RoRo-Schiffe können so die hohen Kosten für die Passage durch den Suez-Kanal vermeiden. Die Route dauere acht bis zehn Tage und koste etwa doppelt so viel wie der Landweg, heißt es bei UTIKAD. Auch Syrien wird nach UTIKAD-Angaben weiterhin per Seeweg beliefert.
Vom türkischen Hafen Tasucu in der Provinz Mersin aus gelangen Güter nach Tartus. Dort werden die Container auf syrische LKWs umgeladen, die sie ins Landesinnere bringen. Der blockierte Handelsweg nach Syrien hat auch Yahya Önat, Transportunternehmer mit Sitz in Antakya, hart getroffen. Wie viele Händler in der Grenzregion spricht der Türke fließend Arabisch. »Vor dem Syrienkrieg konnte ein LKW in vier bis fünf Tagen Saudi-Arabien erreichen«, erinnert sich Önat.
Um Güter in die Golfstaaten zu transportieren, hat er auf Schiffstransport umgestellt. Doch er liefert auch weiterhin Waren nach Syrien, zumindest bis zur Grenze. »Die Kosten sind allerdings erheblich gestiegen«, sagt er. Die 50 Kilometer lange Strecke von Antakya bis zur Grenze koste ihm wegen der langen Wartezeiten 1.400 US-Dollar pro LKW. Rentabel sei es aber immer noch.
Auf Önats Schreibtisch steht ein gerahmtes Foto, das ihn mit Schildkappe vor einem weißen Sattelschlepper zeigt. Erinnerung an eine Zeit, als er noch selbst über den Irak nach Iran und weiter bis Afghanistan gefahren ist. Önat hofft auf ein baldiges Ende des Krieges in Syrien. Damit das Betonportal beim Grenzübergang Cilvegözü nicht länger Endstation, sondern wieder Tor zur arabischen Welt ist.