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Giftgas und Völkerrecht in Syrien

So geht es einfach nicht

Kommentar

Für den geplanten Vergeltungsschlag gegen Assad verlieren die USA nach und nach Verbündete und Legitimation. Das haben sie sich selbst zuzuschreiben. zenith-Redakteur Nils Metzger hätte den Bruch des Völkerrechts beinahe gutgeheißen.

Es war eine überaus angenehme Abwechslung zur aufgeheizten Stimmung vieler Kommentarspalten und Diskussionen in den sozialen Medien. Zwar ist das britische Parlament generell für seine überaus kultivierten, unstrukturierten und unterhaltsamen Debatten bekannt – in einer Sitzung, in der es tatsächlich um Krieg und Frieden geht, haben diese Tugenden ein die Demokratie an sich stärkendes Ergebnis hervorgebracht.

 

Regierungschef David Cameron präsentierte sein Anliegen, die Abgeordneten verzichteten auf Polemik, sondern begründeten detailliert, warum viele von ihnen gerne ihrem Premier gefolgt wären, schließlich jedoch, um mit Joschka Fischer zu sprechen, »not convinced« waren. Und Cameron beugte sich ihrem Beschluss, obwohl er dazu nicht verpflichtet war. Völlig anders verlief die Entscheidungsfindung in den USA. Durch voreilige Äußerungen haben Präsident Barack Obama und sein Außenminister John Kerry die Bedeutung der UN-Inspekteure heruntergespielt, nicht die breite Debatte gesucht, sondern ausgewählte Kongressmitglieder mit Informationen versorgt, andere Geheimdienstberichte ganz bewusst an US-Medien weitergegeben.

 

Das ersetzt keine demokratische Meinungsbildung. Obama musste das schmerzhaft feststellen - welchen politischen Preis er persönlich und welchen Machtverlust die USA insgesamt hinnehmen müssen, wird sich am Verhalten der syrischen Regierung und Baschar al-Assads in den kommenden Monaten zeigen. Dass der US-Präsident gestern Abend bekannt gab, mit der militärischen Tradition der USA zu brechen und den Militärschlag von einem tief gespaltenen Kongress absegnen zu lassen, war nur das erste Symptom einer diplomatischen Blamage.

 

Es existieren zahlreiche Narrative zur Rekonstruktion der Ereignisse des 21. August. Das syrische Staatsfernsehen präsentierte Aufnahmen, die angeblich aus Tunneln unterhalb von Ghouta stammen, wo Rebellen chemische Kampfstoffe gelagert haben sollen. Andere Videos zeigen Rebellen, die ein Gebiet in Damaskus mit aus Gasflaschen hergestellten Sprengsätzen beschießen. Ein Bericht der US-amerikanischen Nachrichtenseite MintPress berichtet, Rebellen seien bei der Explosion eines solchen Sprengsatzes in einem der Tunnel unterhalb von Ghouta ums Leben gekommen und dass die betroffene Rebelleneinheit die Chemiewaffen via Dschabhat al-Nusra aus Saudi-Arabien erhalten habe.

 

Die USA legen die Belege für ihre angeblich sehr umfangreiche Recherche nicht vor – das ist nicht nachvollziehbar

 

Dem gegenüber stehen vor Ort gefundene Geschoss-Überreste der syrischen Armee, eine generelle Offensive der syrischen Armee gegen die betroffenen Stadtteile und der Umstand, dass Assad bereits zuvor chemische Kampfstoffe eingesetzt haben soll, wobei die Beweiskette hierfür äußerst lückenhaft ist. Weitere Details veröffentlichte das Weiße Hause am 30. August in Form eines Geheimdienstberichtes, demzufolge die syrische Armee den Angriff vorbereitet habe und Soldaten vorsorglich mit Schutzausrüstung ausgestattet habe.

 

Man könne nachvollziehen, von wo aus die Raketen verschossen wurden und dass es in Folge zwischen Vertretern der syrischen Regierung und den am Einsatz beteiligten Soldaten mehrere aufgeregte Telefongespräche gegeben habe. Die betroffenen Gebiete seien daraufhin intensiver als zuvor mit Artillerie beschossen worden. Die Krux ist, dass die USA die Belege für ihre angeblich sehr umfangreiche Recherche nicht vorlegen – sie bleiben als geheim eingestuft, um Quellen vor Ort und die Methoden der Sicherheitsdienste zu schützen. Das ist nicht nachvollziehbar. Wenn es eine Situation gibt, in der man seine Argumentation offen begründen muss, dann bei der Legitimation eines Militäreinsatzes.

 

Das ist doppelt frustrierend, da die von der US-Regierung und anderen angesprochenen Indizien es als sehr wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Gasangriff von der syrischen Armee durchgeführt wurde. Verglichen mit den Argumenten der Gegenseite allemal – nur darf man sich in dieser zentralen Frage nicht von Wunschdenken leiten lassen. Man kann sich nicht damit zufrieden geben, die Unschuld der Rebellen zu beweisen, die Schuld der Regierung muss ebenso bewiesen werden.

 

Die dafür nötigen Informationen existieren nach Aussagen der amerikanischen Regierung, nur werden sie der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht. Während jeder meiner vergangenen Reisen ins syrische Bürgerkriegsgebiet gab es mehrere Konstanten: Respekt vor den schwarz beflaggten Checkpoints der Dschabhat al-Nusra, quälende Überlegungen, wie man als freier Journalist seine Recherchen in Syrien finanzieren kann und das anhaltende Dröhnen der Kampfjets und Hubschrauber über den Köpfen.

 

Gleich wie lang ein Gebiet bereits in Händen der Rebellen, gar eines zivilen Revolutionsrates war, an jedem neuen Tag fielen die Bomben auf Wohngebiete, auf Bäckereien, Schulen und vereinzelt, zufällig, auch auf Widerstandsnester der Aufständischen. Diese in meiner Wahrnehmung wahllosen Luftschläge, die nicht Teil gezielter Bodenoffensiven mit »Close Air Support« sind, sollen schlicht Terror verbreiten. Sie verhindern, dass Flüchtlinge heimkehren und Hilfslieferungen verteilt werden können. Sie sind ein tägliches, sinnloses Massaker – mehrheitlich an Zivilisten.

 

»Ich habe keine Stimme, sondern nur dieses Gewehr, um mit ihnen zu sprechen«

 

Ich hatte nie die Gelegenheit, mit Soldaten der syrischen Armee Einsätze zu erleben, mit ihnen über die Angst zu sprechen, im nächsten Moment von einer am Straßenrand platzierten Sprengfalle zerfetzt zu werden, oder in einem Krieg verheizt zu werden, dessen Sinn sie vielleicht gar nicht mehr erkennen können. Die syrische Regierung erlaubt diesen Einblick nicht, vergibt Visa nur an ausgewählte Journalisten, kontrolliert, wie jede andere Armee der Welt auch, was die einfachen Rekruten über den Verlauf des Krieges denken dürfen.

 

Ganze alawitische Gemeinden entlang der syrischen Küste bluten langsam aus in diesem zähen Bürgerkrieg – wie diese Gemeinschaften den Krieg bewältigen, geht im Geschrei des Hurra-Patriotismus unter, genau wie differenzierte politische Ideen auf Seiten der Opposition von endlosen Allahu-Akbar-Rufen übertönt werden. Bassam, einer der Rebellen, mit denen ich im Februar und März mehrere Wochen zusammen lebte, berichtete mir, wie sehr es ihn betrübt, in seiner Heimatstadt Hasaka gegen alte Schulfreunde kämpfen zu müssen.

 

»Als wir vor Jahren nebeneinander in der Klasse saßen, war es jedem egal, welche Religion der andere hatte, wie viel Geld seine Familie verdiente. Wir waren zu jung, um das politische System um uns herum zu erleben.« Der Wehrdienst habe sie alle verändert, jedem von ihnen seine Rolle in einer von Geheimdiensten dominierten Gesellschaft bewusst gemacht. »Gerne möchte ich jedem von ihnen erklären, warum ich zu den Demonstrationen gegangen bin, mich danach der Freien Syrischen Armee angeschlossen habe. Aber ich habe keine Stimme, sondern nur dieses Gewehr, um mit ihnen zu sprechen«, beklagt Bassam.

 

Seine Revolution hatte er sich anders vorgestellt. Militärisch können die Rebellen den Krieg kaum gewinnen, ebenso wenig die Regierung. Ein großflächiges militärisches Eingreifen in diesen unübersichtlichen Bürgerkrieg ist aufgrund der Zersplitterung der Opposition, der zahllosen Frontlinien und der zahlreichen Kriegsverbrechen auf allen Seiten nicht ratsam.

 

Nicht immer ist eine strategische Einschätzung des militärisch Möglichen gleich Kriegshetze

 

Krieg herrscht in Syrien schon lange. Es wird kein Konflikt vom Zaun gebrochen, wie es im Irak 2003 der Fall war. Das Aufbauen einer Drohkulisse ist legitim und ein übliches Mittel der Außenpolitik – dass Medien in dieser Situation ebenfalls einen kühlen Kopf bewahren und nicht ausschließlich zweifelhafte Geheimdienstquellen oder Gerüchte verbreiten sollten, geht im hektischen Nachrichtengeschäft teils unter.

 

Das ist mehr monetären Zwängen und Prestigedenken geschuldet, als einem handfesten Interesse an der Eskalation. Nicht immer ist eine strategische Einschätzung des militärisch Möglichen gleich Kriegshetze; die Unterschiede etwa zur CNN- und FoxNews-Berichterstattung im Vorfeld des Irak-Feldzuges sind enorm. Die andauernden Blockaden des UN-Sicherheitsrates erfordern eine Reform des Gremiums, gegebenenfalls eine Erweiterung um mehrere Schwellenländer und die Abschaffung des Veto-Systems.

 

Genauso ist es jedoch zutreffend, dass die USA in den vergangenen Wochen und Monaten nie ernsthaft an einer diplomatischen Lösung des Konflikts gearbeitet haben. Der andauernde Konflikt mit dem Iran verhindert Zugeständnisse an Moskau und Teheran.

 

So ist ein militärisches Eingreifen in Syrien nur ohne Mandat des Sicherheitsrates, unter Bruch des Völkerrechts, möglich. Ein solcher Schritt wäre kein Novum im Syrien-Krieg. Im Januar und Mai 2013 bombardierte die israelische Luftwaffe mehrfach militärische Ziele in Syrien – ohne dass der vielbeschworene Flächenbrand eingesetzt hätte. Die internationale Gemeinschaft, insbesondere die Verbündeten Assads, fanden sich damit ab. Das ist keine optimale Lösung, jedoch eine vertretbare, möchte man den Einsatz chemischer Waffen nicht enttabuisieren.

 

Zwar ist die syrische Luftwaffe bislang nicht am Einsatz chemischer Waffen beteiligt, jedoch stellt die Bombardierung vermuteter Lagerstätten für chemische Kampfstoffe ein nicht vertretbares Risiko für die Zivilbevölkerung dar. Zu Zeiten des Kalten Krieges war für die Neutralisierung dieser Bestände der Einsatz atomarer Waffen vorgesehen.

 

Ein klarer Schlachtplan und ein klares militärisches Ziel müssen formuliert werden

 

Dem gegenüber steht die Möglichkeit, gezielt die syrische Luftwaffe außer Gefecht zu setzten. Deren Basen sind deutlich von Wohngebieten getrennt, im Gegensatz zu Panzern, Infanterie und Kommandoeinrichtungen lassen sich Flugzeuge nur schwer vor Bombardements schützen und schon gar nicht, wenn man sie weiterhin einsetzen möchte. Eine Studie des »Institute for the Study of War« geht davon aus, dass eine Neutralisierung der syrischen Luftwaffe allein durch Marschflugkörper möglich ist.

 

Argumentierten die USA offener und überzeugender für ihre Sache, so könnten sie anhand dieses Schlachtplanes eine zeitlich begrenzte Vergeltungsaktion gegen die Regierung in Damaskus führen und das Risiko minimieren, in den Konflikt hinein gezogen zu werden. Doch das müssen sie kommunizieren, auch um zu verhindern, dass Nachbarstaaten wie der Iran und Kräfte im Libanon dies als Gelegenheit nehmen, Städte in Israel unter Beschuss zu nehmen.

 

Während der britische Premier Cameron in der Parlamentsdebatte davon sprach, gezielt die Fähigkeit Assads, Chemiewaffen einsetzen zu können, reduzieren zu wollen, bringen US-Vertreter auch andere Szenarien ins Spiel: Mal sollen allgemein Armeebasen zum Ziel werden, mal Orte mit politischer und moralischer Symbolkraft. Selbstverständlich wird das Pentagon keine exakte Liste der Ziele publizieren, dennoch hinterlassen diese unterschiedlichen Szenarien einen Beigeschmack.

 

Auch an mir nagen Zweifel, dass der sogenannte »Mission Creep« einsetzt, dass die Luftschläge nach wenigen Tagen nicht beendet sein werden, dass stetig neue Ziele ins Visier genommen werden. Ein klarer Schlachtplan und ein klares militärisches Ziel müssen formuliert werden. Wäre der Einsatz umfangreicher begründet gewesen, ich hätte ihm auch ohne UN-Mandat zugestimmt. Die militärische Gewalt hätte Gutes bewirken können. Gegenwärtig bin ich nicht überzeugt, dass die USA diesen Schritt wagen sollten.

Von: 
Nils Metzger

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