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Fußball und der Konflikt auf den Molukken in Indonesien

Die Mannschaft

Feature

Bis heute sind die Nachwirkungen des Konflikts auf den Molukken zu spüren. »We are Moluccans« blickt hinter die Schatten der Vergangenheit und fängt einen Hoffnungsschimmer ein, der 2006 von einer kleinen Jugendfußballmannschaft ausging.

Es regnet in Strömen. Das gleißende Licht der Scheinwerfer umhüllt die Fußballer in ihren durchnässten Trikots. Die Spieler sprinten durch den tropischen Regen und umkämpfen zunächst elegant, dann immer entschiedener, den Ball – bis der Schiedsrichter eine gelbe Karte zückt. Hätte jemand Regisseur Angga Dwismas Sasongko vorgeschlagen, seinen geplanten Film mit dieser Szene zu beginnen, wäre die Antwort wohl ein verständnisloses Kopfschütteln gewesen.

 

Als der Javaner auf die Molukken reist, kommt er mit einer festen Absicht: Er möchte mehr über die wahren Hintergründe und Nachwirkungen des von 1999 bis 2001 andauernden Konflikts auf den Molukken erfahren. Kämpferische Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen führten mit Eintreffen von islamistischen Kämpfern aus Java zu Vertreibungen, Pogromen und Massakern auf fast allen Inseln des Archipels. Schätzungen zufolge starben über 10.000 Menschen, überwiegend Christen. 2002 wurde ein Waffenstillstand unterzeichnet, dennoch blieben Ausschreitungen auch in den folgenden Jahren nicht aus. Laut des 2004 ermordeten indonesischen Menschenrechtlers Munir war der Konflikt nur oberflächlich religiös motiviert, besonders militärische Interessen hätten eine große Rolle gespielt.

 

Schatten der Vergangenheit

 

Auf den sogenannten Gewürzinseln spürt der Regisseur den Schatten der Vergangenheit nach. Er möchte herausfinden, wie der Konflikt entstehen konnte und Material für seinen Film sammeln. Dabei lernt er Sani Tawainella kennen, Rollertaxifahrer und ehemaliger Fußballspieler der indonesischen Nationalliga. Der junge Filmemacher wirft alle seine ursprünglichen Pläne über den Haufen, als Sani Tawainella ihm seine Geschichte erzählt.

 

Es ist Anfang 2000. Sani Tawainella fährt mit dem Roller von Tulehu in die 25 Kilometer entfernte Hauptstadt Ambon, um Lebensmittel für seine Familie zu kaufen. Gerade als er ein Kiosk betreten will, kommt es zu Ausschreitungen. Zwei Gruppen bewaffneter Männer stürmen aufeinander los, als der Rollertaxifahrer ein Kind zwischen den Fronten entdeckt. Er versucht, das Kind an sich zu drücken und zu schützen, doch aus Panik rennt es davon und wird in dem Gemenge erschossen. Selbst Vater zweier Kinder, lässt ihn das Erlebte nicht mehr los.

 

Er beobachtet besorgt, wie immer mehr Jungen in seinem Dorf in die religiösen Konflikte involviert werden. Um die Kinder von der Gewalt fern zu halten und auf andere Gedanken zu bringen, fängt er an, mit ihnen Fußball zu spielen und sie zu trainieren. Damit beginnt eine aufregende, turbulente und prägende Zeit für ihn, die Jungen und viele andere Menschen.

 

Eine andere Seite des Konflikts

 

Sani Tawainellas Geschichte bewegt Angga Dwismas Sasongko dazu, seine Perspektive zu wechseln. Ihm wird bewusst, dass es neben den Kämpfern auch tausende weitere Menschen gab, die zur Zeit der Konflikte nach einer friedlichen Lösung suchten. Ihre Bemühungen bekamen jedoch nur wenig öffentliche Aufmerksamkeit. Die Beobachter des Konflikts, insbesondere die Medien, stellten vor allem die Gewalt in den Mittelpunkt.

 

So entscheidet sich Angga Dwismas Sasongko kurzerhand, einen Film zu drehen, der eine andere Seite des Konflikts zeigt, und macht Sani Tawainellas Erlebnisse zum Mittelpunkt seiner Erzählung. »We are Moluccans« zeigt, wie es dem ehemaligen Nationalspieler Schritt für Schritt gelingt, die Jungen für den Fußball zu begeistern und sie so von den religiösen Konflikten fernzuhalten.

 

Doch seine Aktivitäten mit den Jugendlichen sind sehr zeitintensiv, was zu Reibungen mit seiner Ehefrau führt, welche die Familie vernachlässigt sieht. Auch die Jugendlichen stehen Schwierigkeiten gegenüber. Viele Eltern sehen den Fußball als Zeitverschwendung, unter der die schulischen Leistungen ihrer Kinder leiden.

 

»Es geht hier nicht um Religion, sondern um Fußball«

 

Sani Tawainella und die Jungen lassen sich nicht entmutigen, zu groß ist ihre Begeisterung für den Ballsport. Als sich das Team für die Jugend- Nationalmeisterschaft im entfernten Jakarta qualifiziert, legt sich die anfängliche Skepsis vieler Gemeindebewohner – sogar Stolz macht sich breit. Zur Unterstützung nimmt Sani Tawainella zwei christliche Spieler aufgrund ihrer Qualifikation in seine Mannschaft auf. Die muslimischen Jungen treten ihnen von Anfang an feindlich gegenüber.

 

Auf Höhe des Meisterschaftsturniers droht der Teamgeist vollends zu zerbrechen. »Es geht hier nicht um Religion, sondern um Fußball«, verhallt die eindringliche Botschaft des Trainers an das Team – zumindest vorübergehend. Sani Tawainellas Geschichte hat gewisse Parallelen mit der Entstehung des Films: Trotz entmutigender äußerer Umstände entscheiden sich die Filmemacher, ihre Ideale und Träume zu verwirklichen. Sechs Monate lang erhalten sie nur Absagen von Produktionsfirmen – konfessionelle Konflikte seien ein zu heikles Thema und besäßen überdies nur wenig kommerziellen Wert.

 

Angga Dwismas Sasongko und der Molukker Glenn Fredly, eigentlich R&B-Sänger und Songwriter, entscheiden sich, den Film selbst zu produzieren. Kommerzielle und geschäftliche Interessen rücken in den Hintergrund. Was die Filmemacher antreibt, ist ihr Wille, ein neues Licht auf die Molukken zu werfen. Sie wollen dem Friedlichen, Menschlichen und Hoffnungsvollen, das neben all den Gräueltaten oft übersehen wurde, ein Sprachrohr geben –  was ihnen durchaus gelingt.

 

Eine neue, gemeinsame Identität

 

Nicht nur auf die Molukken wirft der Film ein anderes, helleres Licht. Auch auf den indonesischen Fußball, der oft wegen Spielmanipulation, Korruption und besonders fanatischen und gewaltfreudigen Fans Schlagzeilen macht. Im Film tritt er als Medium für Frieden auf und, vor dem Hintergrund der konfessionellen Konflikte, als bindendes Glied, das eine neue gemeinsame Identität schafft.

 

Am 21. März 2015 wurde das Melodram im Rahmen des internationalen Fußballfilmfestivals 11mm in Berlin zum ersten Mal in Deutschland gezeigt. Doch ist es nicht nur was für Fußballfans. Allen, die Ihre Träume verwirklichen und ihren Leidenschaften nachgehen wollen, macht der Film Mut. Und für Liebhaber des indonesischen Films ist er ohnehin ein Muss.


We are Moluccans

Regie: Angga Dwimas Sasongko

Mit: Chicco Jerikho, Sharifa Umm

Produktion: Visinema Pictures (Indonesien 2014)

Originalfassung: Indonesisch (Originaltitel: »Cahaya dari Timur: Beta Maluku«)

 

Von: 
Marisa Reichert

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