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Friedensverhandlungen in Mali

Der Preis für den Frieden

Analyse

Malis Regierung geht auf die Rebellengruppen im Norden zu, doch deren Forderungen werden von der Mehrheit der Malier abgelehnt. Setzt Präsident »IBK« Aufarbeitung und Rechtsstaatlichkeit für Wahl- und Verhandlungserfolg aufs Spiel?

Die Entführung und Hinrichtung zweier französischer Journalisten in Kidal am 2. November zeigt das Fortbestehen der terroristischen Bedrohung und asymmetrischen Kriegsführung im Norden Malis deutlich auf. Bereits seit Ende September kam es nach einer Phase relativer Ruhe im Norden Malis zu mehreren Anschlägen gegen die malische Armee.
 
Verübt wurden die Anschläge sowohl von der Tuareg-Rebellengruppe MNLA (»Mouvement National de Libération de l’Azawad«) als auch von dem Al-Qaida Ableger AQMI (»Al Qaida au Maghreb Islamique«) beziehungsweise seiner Splittergruppe Mujao (»Mouvement pour l'unicité et le jihad en Afrique de l'Ouest«). Am 23. Oktober gerieten erstmalig die Truppen der MINUSMA (»Mission multidimensionnelle intégrée des Nations Unies pour la stabilisation au Mali«) ins Visier eines gezielten Anschlags. Gegen Ende Oktober beschossen Islamisten, vermutlich Mujao, den Flughafen von Gao mit Granaten.
 

Vorläufiges Friedensabkommen von Ouagadougou

 

Zur Lösung des Konflikts mit der radikalen Tuareg-Gruppe MNLA, die eine Minderheit selbst unter den Tuareg darstellt und sich in der Unruheprovinz Kidal konzentriert, wurde mit der Unterzeichnung eines vorläufigen Friedensabkommens im Juni in der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou ein erster Schritt getan. Dieses Übergangsabkommen sah mit der Teilnahme Kidals an den Präsidentschaftswahlen im Juli beziehungsweise August und der damit verbundenen Entsendung von Vertretern der malischen Verwaltung nach Kidal eine erste Stabilisierung vor.

 
Eine graduelle Rückkehr der malischen Armee nach Kidal erfolgte unter Aufsicht der MINUSMA; die Rebellen der MNLA mussten die Stationierung der Truppen akzeptieren, malische Armee und MNLA wurden unter Aufsicht von MINUSMA und der französisch geführten Serval-Mission gestellt. Die Entwaffnung der Rebellen sollte laut Abkommen schrittweise erfolgen und erst nach einem endgültigen Friedensabkommen zum Abschluss kommen.
 
Doch bisher bewegt sich nichts; die malische Regierung ist von ihrer ursprünglichen Forderung, eine Entwaffnung als Vorbedingung für die Aufnahme von Verhandlungen zu machen, abgerückt. Laut einer aktuellen Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung Mali fordert einer Mehrheit von 61 Prozent der landesweit Befragten die Entwaffnung der Rebellen als zentralen Gegenstand der Verhandlungen.
 

Streitpunkt Freilassung von Gefangenen

 

Darüber hinaus war gerade im Zuge des Übergangsabkommens die Frage der Freilassung von Gefangenen sehr umstritten; im Oktober entschloss sich die malische Regierung, 36 von 122 Gefangenen aus der Haft zu entlassen sowie Haftbefehle gegen 29 Personen aufzuheben, eine weitere juristische Verfolgung ist jedoch nicht ausgeschlossen– eine Maßnahme, die in der malischen Öffentlichkeit auf deutliche Kritik stieß. Laut Artikel 18 des Übergangsabkommens ist die Freilassung von inhaftierten als »vertrauensbildende Maßnahme« durchaus vorgesehen.

 
Auf eine mögliche Aufhebung von Haftbefehlen wird in dem Abkommen hingegen nicht eingegangen. Die ermöglicht es mehreren Rebellen jedoch, bei den anstehenden Parlamentswahlen anzutreten. Sie haben bereits angekündigt, auf der Liste der Partei des Präsidenten zu kandidieren – ein Vorgehen, das die Kritik noch weiter anheizt. Die Freilassungen beziehungsweise Aufhebung von Haftbefehlen als vertrauensbildende Maßnahme sind aus Sicht der Rebellen ein wichtiges Zeichen, mit der die malische Regierung ihre Ernsthaftigkeit für den beginnenden Friedensprozess unter Beweis stellen kann.
 
Das Vertrauen der malischen Bürger in einen halbwegs funktionierenden malischen Rechtsstaat und eine politisch unabhängige Justiz wird jedoch damit allerdings aufs Spiel gesetzt. Für die viel zitierte Versöhnung ist eine funktionierende Rechtsstaatlichkeit, die eine Untersuchung und Verfolgung der verübten Verbrechen unabhängig von politischen Interessen ermöglicht, das beste Instrument.
 

Keine Autonomie für den Norden Malis – sagt die Mehrheit im Norden

 

Der im September ins Amt eingeführte Präsident Ibrahim Boubacar Keita (»IBK«) hatte bereits mehrfach deutlich gemacht, dass eine Autonomielösung nicht in Frage kommt. Damit stimmt er mit der landesweiten öffentlichen Meinung überein – laut einer Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung spricht sich eine Mehrheit von über 70 Prozent gegen eine Autonomie für Kidal beziehungsweise den Norden Malis aus.

 
Besonders auffällig ist die hohe Ablehnung in den nördlichen Regionen Gao und Timbuktu. Stattdessen setzt die Regierung nun auf eine verstärkte Umsetzung des seit Jahren laufenden (sowie stockenden) Prozesses der Dezentralisierung. Bereits frühere Regierungen hatten über diesen Ansatz den Konflikt im Norden zu lösen versucht. In einem großen Forum diskutierten kürzlich hunderte von landesweit angereisten Teilnehmenden über die genaue künftige Ausgestaltung der Dezentralisierung.
 
Präsident IBK machte bei seiner Begrüßung deutlich, dass »definitive Antworten auf die Frustrationen, die den Irredentismus unserer Tuareg-Brüder nähren, gegeben werden müssen.« Daran schlossen sich die »Nationalversammlungen« an, die Anfang November in Bamako mit über 3.000 Teilnehmenden stattfanden. Diese sollen unter breiter Einbindung verschiedener gesellschaftspolitischer Akteure die Grundlage für weitere Verhandlungen schaffen. Dabei wurde deutlich, dass die Forderung der MNLA nach Autonomie keinerlei Rückhalt findet – insbesondere nicht bei den Vertretern der nördlichen Regionen Malis, einschließlich Kidal.

 

Wiederaufnahme der Verhandlungen erst nach den Parlamentswahlen wahrscheinlich

 

Das Übergangsabkommen von Ouagadougou sieht die Wiederaufnahmen von Verhandlungen 60 Tage nach der Bildung der neuen Regierung vor. Entsprechend müsste die Regierung jetzt, Anfang November, die Verhandlungen offiziell wieder aufnehmen. Mit einer Wiederaufnahme ist jedoch erst nach der Durchführung der Parlamentswahlen am 24. November beziehungsweise 15. Dezember zu rechnen. Präsident IBK will die Wahlen und das Abschneiden der eigenen Partei nicht gefährden, und auch seine Position stärken.

 
Beide Seiten stellen nun Vorbedingungen für weitere Verhandlungen: So fordert die malische Regierung ein Ende der Besetzung des Radios in Kidal, das gegenwärtig nur von den Rebellen genehmigte Inhalte senden darf sowie die Nutzung des Amtssitzes des Gouverneurs von Kidal. Die MNLA fordert wiederum weitere Freilassungen inhaftierter Mitstreiter sowie die Aufhebung von Haftbefehlen. Mit der Ankündigung von Präsident IBK, Anfang November weitere Gefangene freizulassen »falls das der Preis für den Frieden sei«, geht die Regierung weiter auf die Rebellen zu. Nun ist es an den Rebellen, Zugeständnisse zu machen.
 

Annette Lohmann,

leitet seit 2010 das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bamako.

Von: 
Annette Lohmann

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