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Friedensverhandlungen in Israel und Palästina

Es wird verhandelt – komme was wolle

Analyse

2014 steht ganz im Zeichen der von den USA vorangetriebenen Friedensverhandlungen. Ob diese abgebrochen, ohne Ergebnis auslaufen oder doch verlängert werden, ist entscheidend für die zukünftige Strategie der palästinensischen Führung.

Betrachtet man den Terminplan des amerikanischen Außenministers John Kerry, könnte man meinen, außerhalb des Nahostkonflikts gäbe es keine anderen außenpolitischen Baustellen für die USA. Anfang Januar besuchte der Außenminister, der noch nicht einmal ein Jahr im Amt ist, bereits zum zehnten Mal Israel und die Palästinensischen Gebiete. Sein größter Erfolg beschränkt sich bisher darauf, dass sich die beiden Seiten nach jahrelanger Verhandlungspause Ende Juli 2013 darauf einigen konnten, für neun Monate an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

 

Doch bereits nach wenigen Treffen wurde deutlich, dass sich die Gräben zwischen den beiden Seiten während der Amtszeit der rechtsgerichteten israelischen Regierung von Benjamin Netanjahu vertieft haben. Einige der bisher rund 20 Treffen waren durch wüste Anschuldigungen gekennzeichnet. Während anderer Gespräche redeten die Konfliktparteien lediglich über den amerikanischen Sondergesandten für die Friedensgespräche, Martin Indyk, miteinander.

 

Siedlungen und Siedlergewalt im Fokus

 

Wieder einmal stehen dabei die illegalen israelischen Siedlungen im Westjordanland und Ostjerusalem und deren Bewohner im Zentrum des Disputs. Netanjahu wurde von den Palästinensern vor die Wahl gestellt, als Voraussetzung für Verhandlungen den Siedlungsbau einzufrieren oder palästinensische Häftlinge freizulassen. Der israelische Ministerpräsident war eher dazu bereit, die mindestens 104 vor den Osloverträgen verhafteten Palästinenser freizulassen, als den Siedlungsbau für eine zeitlich befristete Periode zu stoppen, obwohl sich unter den Gefangenen eine große Zahl verurteilter Mörder befindet.

 

Um die Zustimmung seiner rechtsgerichteten Kabinettskollegen zu gewinnen, wurden im Gleichschritt zu den bisherigen drei Freilassungsstufen weitere Bauprojekte in den Siedlungen genehmigt. Dabei handelt es sich nicht nur um die großen Siedlungsblöcke, sondern auch um abgelegene Siedlungen, die Israel im Rahmen eines Friedensvertrages in jedem Fall räumen müsste. Dazu kommt die nicht endende Gewalt einer kleinen Minderheit militanter Siedler gegen palästinensische Zivilisten und deren Besitz.

 

Gehen die israelischen Sicherheitskräfte in Einzelfällen gegen auch nach israelischem Recht illegale Siedlungsexpansionen vor, kommt es anschließend häufig zu sogenannten »Price Tag«-Attacken. Seit einiger Zeit nehmen die Palästinenser diese Angriffe und auch die nächtlichen israelischen Razzien nicht mehr tatenlos hin, sondern wehren sich. Durch solche Zusammenstöße stieg die Zahl der palästinensischen Opfer im letzten Jahr deutlich an.

 

Wurden laut der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem im Jahr 2012 acht Palästinenser durch israelische Sicherheitskräfte im Westjordanland getötet, waren es 2013 mit 27 mehr als dreimal so viel. Anfang Januar lieferten sich palästinensische Dorfbewohner eine Schlägerei mit Siedlern, die ihre Habseligkeiten attackierten, und nahmen diese kurzzeitig fest. Diese einmalige Aktion ging zwar glimpflich aus, doch haben solche Zwischenfälle ein hohes Eskalationspotential.

 

Darüber hinaus werden die Verhandlungen dadurch erschwert, dass die Palästinenser Kerry nicht als neutralen Vermittler betrachten. In einem Rahmendokument zu den Sicherheitsvereinbarungen, das Kerry im Dezember 2013 präsentierte, sind eine jahrelange israelische Militärpräsenz im Jordantal und eine »unsichtbare« Anwesenheit an den künftigen palästinensisch-jordanischen Grenzübergängen vorgesehen. Das Tal mit seinen etwa 60.000 palästinensischen Einwohnern und den 21 Siedlungen, in denen etwa 6.500 Israelis leben, wird von der Palästinensischen Nationalbehörde als ein profitables wirtschaftliches Entwicklungsgebiet und potentieller Brotkorb für die gesamten Palästinensergebiete betrachtet.

 

Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas machte bereits mehrfach deutlich, dass die Palästinenser nicht einen israelischen Soldaten in ihrem Staat dulden werden. Einer internationalen Militärmission der NATO gegenüber sei man hingegen aufgeschlossen. Außerdem verübeln es die Palästinenser Kerry, dass er Netanjahus Forderung nach Anerkennung des jüdischen Charakters Israels zu unterstützen scheint.

 

Damit würde nicht nur die Zukunft der mehr als eineinhalb Millionen Palästinenser mit israelischer Staatbürgerschaft, sondern auch der über fünf Millionen palästinensischen Flüchtlinge in Frage gestellt. Auch in anderen Bereichen liegen die Vorstellungen derart weit auseinander, dass Kerry es anscheinend bereits aufgegeben hat, sein ursprüngliches Ziel eines umfassenden Abkommens bis April weiter zu verfolgen.

 

Stattdessen versucht er, beide Seiten von einem Rahmenabkommen zu überzeugen, das Verhandlungen über die ursprünglichen neun Monate hinaus um ein Jahr verlängern würde. Dieses Papier müssten die beiden Seiten weder unterschreiben noch vorbehaltlos annehmen. Etwaige Einwände würden notiert werden. Spannend wird es noch einmal, wenn am Ende der Neunmonatsperiode in einer vierten Stufe die letzten palästinensischen Langzeitgefangenen freikommen, denn dann sollen auch 14 Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft freigelassen werden.

 

Mehrere Politiker israelischen Regierungsparteien haben bereits deutlich gemacht, dass es sich dabei um eine rote Linie handle, die nicht überschritten werden dürfe, da es sich dabei um eine innere Angelegenheit Israels handle. Die Palästinenserführung vertritt den Standpunkt, dass eine Nichtfreilassung zum automatischen Ende der Verhandlungen führen würde.

 

Strategien für die Zeit nach den Verhandlungen

 

Der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat machte bereits deutlich, dass eine Mehrheit der Fatah sowie der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) gegen eine Verlängerung der Verhandlungen sei. Sie würden es vorziehen, die palästinensische Mitgliedschaft in Dutzenden internationalen Organisationen anzustreben, darunter dem Internationalen Strafgerichtshof, um so Israel unter Druck zu setzen. Dabei hilft der Status als »Beobachtender Nichtmitgliedsstaat« in den Vereinten Nationen, den die Palästinenser seit 2012 innehaben.

 

Ein Ende der Verhandlungen ohne ein Abkommen mit einer gleichzeitigen globalen diplomatischen Offensive birgt jedoch große Gefahren. Entscheidend für einen Erfolg dieser Strategie wäre eine breite Unterstützung innerhalb der internationalen Gemeinschaft. Die Palästinenser müssten vor allem die USA und europäische Länder davon überzeugen, dass die Schuld am Scheitern der Verhandlungen bei Israel liegt.

 

Die für Februar geplanten Nahostbesuche von Bundeskanzlerin Angela Merkel und des britischen Premierministers David Cameron bieten dafür gute Gelegenheiten. Gelingt dies nicht, drohen erneute finanzielle Sanktionen wie eine Reduzierung von Hilfsgeldern. Auch in Israel bereitet man sich anscheinend auf gegenseitige Schuldzuweisungen vor. In einer aktuellen Präsentation des israelischen Ministers für Strategische Angelegenheiten, Yuval Steinitz, für die Regierung und internationale Journalisten wurde der palästinensischen Führung anhand Dutzender Beispiele aus Schulbüchern und offiziellen Medien vorgeworfen, Hass auf Israel zu schüren und Kinder aufzuhetzen.

 

Es ist momentan jedoch keinesfalls auszuschließen, dass Präsident Abbas letztendlich auch gegen eine Mehrheit von PLO und Fatah einer Fortsetzung der Verhandlungen zustimmt. Bereits die derzeitigen Gespräche gehen auf einen Alleingang von Abbas und seinen Beratern zurück. Die ehemalige Ministerin Hanan Ashrawi bestätigte in einem Gespräch, dass eine Mehrheit im Exekutivkomitee der PLO gegen die Wiederaufnahme war. Dies sei der Grund dafür gewesen, dass Abbas es nie zu einer Abstimmung kommen ließ.

 

In einer Umfrage des palästinensischen Meinungsforschungsinstituts PSR vom September 2013 sprach sich auch eine relative Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung gegen die Gespräche aus, während mehr als zwei Drittel der Befragten von einem Scheitern ausgingen. Während des letzten Besuches von Kerry in Ramallah gab es kleinere Demonstrationen gegen die Verhandlungen.

 

Will Abbas auf Grundlage eines Rahmenabkommens die Verhandlungen fortführen, könnte er das wohl nur, wenn es in diesem Dokument für alle Streitpunkte – darunter Grenzen, Ostjerusalem, Flüchtlinge und Sicherheit – konkrete Lösungsansätze und amerikanische Garantien gibt. Denn die Zahlen von PSR zeigen, dass trotz des Pessimismus eine relative Mehrheit der Palästinenser weiterhin eine Zweistaatenlösung unterstützt.

 

Gaza bleibt weiter außen vor

 

Weiterhin völlig offen ist dabei das Schicksal Gazas, das in den weitgehend geheim gehaltenen Gesprächen wohl kaum eine Rolle spielt. Die Leidtragenden der Spaltung der Palästinensergebiete sowie der regelmäßigen Eskalationen zwischen Hamas und Israel sind die Bürger Gazas. Seit dem Sommer 2013 ist eine rapide Verschlechterung der dortigen Lebensbedingungen zu verzeichnen.

 

Der Konflikt der Hamas mit dem Militärregime in Ägypten hat zu einer Schließung fast aller Schmuggeltunnel zwischen Gaza und der ägyptischen Sinaihalbinsel geführt. Treibstoff und Baumaterialien werden immer knapper. Zeitweise war das einzige Elektrizitätswerk geschlossen, was zu Stromausfällen auch in Krankenhäusern und Klärwerken führte. Eine Aussöhnung zwischen Fatah und Hamas, die auch auf das Verhältnis zwischen den Islamisten und Kairo einen positiven Einfluss haben würde, scheint bei einer Fortsetzung der Verhandlungen nahezu ausgeschlossen zu sein.

 

Die Zukunft der Gespräche und die Strategie von Präsident Abbas für den Tag danach werden also auch über das Schicksal Gazas und die Aussichten auf eine Wiedervereinigung Einfluss haben.


Jörg Knocha ist Programmmanager bei der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) Ramallah. Der Artikel stellt die Meinung des Autors dar und spiegelt nicht grundsätzlich die Meinung der KAS Ramallah wider.

Von: 
Jörg Knocha

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