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Flucht aus Zentral- und Westafrika

Flucht in die Sackgasse

Feature

Nachdem die Tuareg weite Gebiete in Nord-Mali erobert haben und für sich in Anspruch nehmen, geht es für viele für viele Flüchtlinge aus Zentral- und Westafrika weder vorwärts noch rückwärts. Nur wenige schaffen es über das Atlasgebirge.

Verlegen schaut der Malier Suliman Trauli aus seinem Zimmer und ist sich nicht ganz sicher, ob er antworten soll, denn eigentlich hat er keine Arbeitserlaubnis, um in Algerien zu arbeiten und nach den Ereignissen in Mali hat er Angst, dass er abgeschoben wird. Doch der Arbeitskräftemangel im algerischen Ghardaya, nördlich der Sahara, kommt ihm zu Gute. »Kommen sie ruhig rein«, sagt er schließlich und lädt mich in sein Zimmer. Ein einfacher Gaskocher, einige Nägel an der Wand dienen als Kleiderhaken und eine Decke hängt quer im Zimmer und teilt den Raum in zwei Hälften. Auf den drei Matratzen schlafen sie zu fünft. Er und sein 18-jähriger Bruder Muhammad kamen vor sechs Monaten nach Algerien um zu arbeiten, wie viele Malier zog es sie in den Palmenhain von Ben Isguen.

 

Sie verrichten einfache Handwerkstätigkeiten und sind bereit, auch unter der sengenden Sonne für wenig Geld hart zu arbeiten. Ihr Anblick erinnert an Sklavenarbeiter. Verschüchtert und sehr zurückhaltend bewegen sie sich in ihrer zerlumpten Kleidung, die aus Spenden in Europa stammt, im Palmenhain in Ben Isguen bei Ghardaya. Von der Polizei geduldet und von den Arbeitgebern ausgebeutet, fristen sie hier ihr Dasein. Sie wohnen in einfachen Zimmern und Baracken. Kein einziger Araber, der hier arbeitet. Alle hier kommen aus Mali.

 

Im Moment geht es für sie jedoch weder vorwärts noch rückwärts. Erst recht, nachdem in ihrem Heimatland das Militär die Regierung um Präsident Amadou Touré aus dem Amt geputscht hat und in Nord-Mali, an der Grenze zu Algerien, die schwerbewaffneten Tuareg der MNLA (Nationale Befreiungsbewegung für Azawad) nun ein riesiges Gebiet unter ihre Kontrolle gebracht und für unabhängig erklärt hat, wird es immer schwerer zurückzukehren. Hunderttausende Malier befinden sich zudem auf der Flucht in die Nachbarländer Malis. Sie haben von den Massakern an der malischen Bevölkerung in Nord-Mali gehört. Sie alle haben Angst, der Gewalt der Tuareg-Rebellen zum Opfer zu fallen.

 

Suliman und sein Bruder Muhammad haben die Hoffnung nach Europa zu fliehen bereits aufgegeben

 

Doch nach Norden geht es auch nicht. An den dicht gestaffelten Straßensperren fischen die algerischen Polizisten die Schwarzafrikaner ohne Arbeitserlaubnis aus dem Verkehr und schicken sie noch vor dem Atlasgebirge zurück. Offizielle Zahlen gibt es nicht, doch im Straßenbild von Algier, Oran oder Constantine sind Schwarzafrikaner nicht zu finden. Sie sollen die schwierige Arbeitsmarktlage in Nord-Algerien nicht noch verschärfen. Denn die liegt im Land bei 13 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit ist noch höher und führte vergangenes Jahr einige Male zu Unruhen.

 

Zu den innenpolitischen Herausforderungen kommen noch die außenpolitischen Konflikte an den Grenzen Algeriens. Die Umstürze in Tunesien und Libyen im Osten des Landes auf der einen Seite und der ungelöste Konflikt mit Marokko um die West-Sahara auf der anderen Seite. Umsturz und Chaos in Mali kommen da zur Unzeit.

 

Relativ wenige Schwarzafrikaner schaffen es an die Grenze oder sogar bis Europa, aber dafür sind es inzwischen immer mehr Araber, die den gefährlichen Sprung über das Mittelmeer wagen. Khalid und sein Freund aus dem Bab al-Ouad, einem ärmeren Stadtteil in Algier, gehören zu denen, die es versuchen wollen. »Mein Cousin arbeitet in Lille. Wenn ich es nach Frankreich schaffe, dann schaffe ich es auch dort Arbeit zu finden.« Doch die Einreisebestimmungen wurden von Frankreich in den letzten Jahren massiv verschärft. So bleibt Khalid keine andere Möglichkeit, als über das Mittelmeer nach Europa einzureisen. Wie er wollen zahlreiche Jugendliche der Chancen- und Perspektivlosigkeit entfliehen und ihr Glück auf die Probe stellen.

 

Suliman und sein Bruder Muhammad haben die Hoffnung nach Europa zu fliehen bereits aufgegeben. Zwar sollte Algerien lediglich ein Zwischenstopp für sie sein, aber sie haben bereits mehrfach versucht, nach Algier zu gelangen und haben nun Angst, ganz abgeschoben zu werden. Sie sind in Gharaya mit ihrer Arbeit zufrieden und wollen abwarten, wie sich die Situation in Nord-Mali entwickelt. Außerdem, so Suliman, ließe sich in Europa, dass sich in der Krise befinde, nun auch kein Geld mehr verdienen. Seine Freunde in dem Zimmer sehen das anders. Sie haben es auch schon einige Male versucht und sie wollen auch weiterhin nach Europa gelangen. Egal was es kostet. Viele Alternativen haben sie ohnehin nicht.

Von: 
Özgür Uludag

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