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Einheitsregierung in Israel

Die Salami-Regierung

Analyse

In einem taktisch brillanten Schachzug hat Benjamin Netanjahu mit der Kadima von Schaul Mofaz eine Einheitsregierung geschmiedet. Die Opposition schäumt vor Wut – doch bei den Wählern genießt Israels Premier nie dagewesene Popularität.

Benjamin Netanjahu ist ein Lügner. Diesen Satz wiederholte Schaul Mofaz über Monate und Wochen hinweg immer wieder. Der frisch gebackene Kadima-Vorsitzende und sein Mantra sind nun Geschichte.

 

In einem überraschenden Coup sind Mofaz und seine Partei von der harten Oppositionsbank in die Netanjahu-Administration gewechselt. Das israelische Parlament wird folglich nicht aufgelöst und es finden nächsten September auch keine vorgezogenen Knessetwahlen statt. Es ist ein politisches Erdbeben, wie es Israel seit der Gründung der Kadima im Jahr 2005 nicht mehr erlebt hat.

 

Netanjahu zementiert seine Macht endgültig

 

Ministerpräsident Netanjahu hat mit diesem brillanten Schachzug sein politisches Meisterstück abgeliefert, hat er doch seine vor dem Zerfall stehen Regierungskoalition auf unbestimmte Zeit gerettet und verfügt nun über 94 von 120 Sitzen in der Knesset. Mit dieser absoluten Mehrheit kann er jedes Gesetz durch das israelische Parlament bringen – selbst wenn es in den eigenen Reihen Abweichler gibt.

 

Dass dürfte spätestens dann der Fall sein, wenn er im Sommer das bei seinen religiösen Kabinettspartnern auf absolute Ablehnung stoßende neue Wehrgesetz in Angriff nimmt, wonach künftig auch Ultraorthodoxe ihren Dienst für Volk und Vaterland in der Armee ableisten müssen.

 

Schaul Mofaz ist von der Unendlichkeit weit entfernt

 

Auf die Frage, welchen Dienst sich Mofaz mit dem überraschenden Schritt getan hat, antworten sich Analysten wie Kommentatoren in Israel unisono: Keinen. Dass er nun nicht mehr Oppositionsführer, sondern dem Lockruf erlegener Königsmacher ist, dürfte seiner Reputation und der der Partei weiteren Schaden zugefügt haben; er wird gar als neuer Faust bezeichnet, der in Goethes gleichnamiger Tragödie seine Seele an den Teufel verkaufte, um im Gegenzug die Unendlichkeit zu erlangen.

 

Davon kann freilich keine Rede sein. Statt Unendlichkeit bietet die Regierungsbeteiligung Mofaz eine kurzzeitige und fragile Machtposition, schließlich hätten er und die Kadima nach jüngsten Umfragen bei Neuwahlen nicht mehr 30, sondern lediglich zehn Sitze im israelischen Parlament errungen.

 

Die Opposition schäumt vor Wut – und versinkt in der Bedeutungslosigkeit

 

Nun ist er stellvertretender Ministerpräsident und Minister ohne Portfolio – und hat in den Augen der Opposition damit maßgeblich dazu beigetragen, dass das Jerusalemer Polit-Establishment von den Bürgern, dem eigentlichen Souverän in einer Demokratie, nur noch als Intrigantenstadl wahrgenommen werde und das israelische Parteiensystem immer mehr an Weimarer Verhältnisse erinnere.

 

Nach Angaben der Tageszeitung Jedioth Ahranoth erklärte die Vorsitzende der Awoda, Shelly Yachimovich, man habe den mit »Abstand jemals in der israelischen Politik stattgefundenen irrwitzigsten Zick-Zack-Kurs gesehen«, der die Wähler ignoriere und bezeichnete die neu gebildete Regierung als eine »Koalition der Feiglinge«. In das gleiche Horn voller Empörung stieß der Altvordere Benjamin Ben Eliezer: »Ich bin 1984 in die Knesset eingetreten, aber so etwas wie das, habe ich noch nie erlebt«, zitiert ihn die Haaretz. Doch mehr als das Entsetzen zur Schau stellen, können beide nicht. Schließlich versinkt die Opposition bei der nun vorherrschenden Machtverteilung in der Bedeutungslosigkeit.

 

Deri und Lapid wurde der Wind aus den Segeln genommen

 

Dort könnten, zumindest temporär, auch der religiöse Ariyeh Deri und der liberale Hoffnungsträger Yair Lapid, der erst vor wenigen Monaten seinen Job als TV-Moderator aufgegeben hatte, landen. Beiden wurde der Wind aus den Segeln genommen, da im Spätsommer keine Neuwahlen stattfinden werden und sie sich noch einmal zwei Jahre gedulden werden müssen, um bei den Wählern für ihre Ideen und Vorstellungen werben zu können.

 

Dass Lapid – der jüngst seine Partei »Jesch Atid – Es gibt eine Zukunft« gegründet hat, über deren Satzung Verteidigungsminister Ehud Barak sagte, sie sei strenger als die der syrischen Baath-Partei – darüber entsetzt ist, ließ er seine Anhänger via Facebook wissen.

 

Noch am Dienstag schrieb er mit Blick auf die »widerliche Koalition, die diejenigen, die ihr beigetreten sind, unter sich begraben« werde: »Es ist die alte Art der Politik – hässlich und korrupt. Es ist Zeit, sie aus unserem Leben zu verbannen. Das ist eine Politik der Sitze, nicht der Prinzipien, in der es um die Interessen von Gruppen geht und nicht um die der gesamten Nation.«

 

33 Regierungsmandate, die eigentlich keine sind

 

886.839 Israelis dürften Lapid Recht geben. Denn die Umfragen belegen es glasklar: Ehud Baraks Atzmaut-Partei würde derzeit nicht in die Knesset einziehen, Mofaz´ Kadima ist im Sinkflug begriffen – aber beide zusammen besitzen 33 Mandate, die das Ergebnis von 886.839 Wählerstimmen sind. Jede einzelne dieser tausenden von Stimmen wurde aber bei den vergangenen Wahlen für die Zentrumspolitik der Kadima abgegeben, oder für die sozialistische der Awoda, aus der Barak nebst Mandaten vor einem Jahr ausgetreten war. Die Netanjahu-Administration verfügt demnach über 33 Sitze im Parlament, die nicht dem Wählervotum entsprechen.

 

Doch im Regierungsviertel im Jerusalemer Stadtteil Giv’at Ram kann man im Gegenzug entspannt auf eine Umfrage des Massenblattes Israel Hajom verweisen, die die Beliebtheitswerte der Spitzenpolitiker repräsentativ zeigt. Noch vor zwei Wochen konnten sich nur 29 Prozent aller Israelis Benajmin Netanjahu als nächsten Ministerpräsidenten vorstellen. Nach seiner Regierungsumbildung sind es nun 39,6 Prozent; sie goutieren offenbar die stabilen Verhältnisse und sind weniger am Zustandekommen selbiger interessiert.

 

Oder wie es der Likud-Parteigänger und derzeitige Umweltschutzminister Gilad Erdan in Anlehnung an Bismarcks Ausspruch »Wer weiß, wie Gesetze und Würste zu Stande kommen, kann nachts nicht mehr ruhig schlafen« formulierte: »Die Leute lieben Salami, aber niemand will sehen, wie sie hergestellt wird.«

Von: 
Dominik Peters

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