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Ehud Barak und die Arbeiterpartei in Israel

»Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich«

Analyse

Nach zwei Jahren Medienabstinenz macht »Mr. Security« von der Kraft des Wortes Gebrauch. Ehud Barak sieht Israel auf dem Weg zum Apartheidstaat, wirbt für die Arbeiterpartei – und widerspricht Alzheimergerüchten.

Das Privileg des Politpensionärs – Ehud Barak genießt es in vollen Zügen. In den vergangenen zwei Jahren hat »Mr. Security« sich nur zu Kurzaufenthalten in seinem luxuriösen Appartement in Tel Aviv aufgehalten; fernab der Heimat pendelte er die meiste Zeit als hoch bezahlter Berater und Redner zwischen den Metropolen dieser Welt. Aus dem politischen Tagesgeschäft hat sich der umtriebige Privatier währenddessen raussgehalten. Nun, mitten im israelischen Wahlkampf, meldet er sich zurück.

 

In einem Interview, das die linksliberale Tageszeitung Haaretz am 9. Januar mit dem 72-Jährigen geführt hat, spricht er Tacheles. Auf die Frage, wann die Welt Israel behandeln werde, wie weiland F.W. de Klerk in Südafrika, erklärt Barak, er halte es mit Mark Twains Ausspruch – nachdem sich Geschichte nicht wiederholt, sich aber reimt – und ist sich deshalb sicher: »Es wird kommen. Wir marschieren auf einem rutschigen Pfad in Richtung eines Staates für zwei Nationen.«

 

»…und Du kannst weiter Zigarre rauchen und Pistazieneis essen«

 

Die Gründe hierfür sind nach Auffassung Ehud Baraks vielfältig: »Wir regieren eine andere Nation seit 47 Jahren. Wir ignorieren das Faktum, dass sich die Situation in der internationalen Arena grundlegend geändert hat. Die politischen Führer und die Menschen selbst«, so Barak, »erinnern sich nicht mehr an die Umstände und den Kampf, aus dem heraus der Staat Israel entstanden ist; niemand kennt den Holocaust noch durch persönliche Erfahrung.

 

Was sie seit Jahrzehnten sehen, ist die Umkehr des Images, das Israel lange zustand: David mit der Steinschleuder wird nicht von Goliath bedroht.« Daneben macht er aber auch Benjamin Netanjahu schwere Vorwürfe; zwar attestiert Barak ihm, ein homo politicus zu sein, der komplexe Zusammenhänge in einem historischen Zusammenhang erfasse, gleichwohl sei dieser zu zögerlich, mehr Schamir, weniger Begin. Das Palästinenserproblem werde vertagt, strategische Gesprächsrunden in der Residenz von »Bibi« Netanjahu, so erzählt es Barak, seien stets so verlaufen, dass sein Vorschlag, mit den Palästinensern endgültig einen politischen Fahrplan auszuhandeln, abgeblockt worden sei, da Netanjahu ein politische Kraftwerk namens Avigdor Lieberman – damals Außenminister – gefürchtet habe.

 

Angesichts dieser Gemengelage habe er sich im Laufe solcher Unterredungen stets gesagt: »Und Du kannst jetzt weiter Zigarre rauchen und Pistazieneis essen.« Ein Seitenhieb auf Netanjahu und dessen Vorliebe für grünes Speiseeis. Das Vertagen und Aussitzen des Palästinenserproblems, so Barak weiter, sei indes keine Strategie, da die internationale Staatengemeinschaft den Druck auf Israel stetig erhöhe. »So lange diese Stimmen aus Eritrea oder Mauretanien kommen, gut; wenn sie jedoch aus Skandinavien und Großbritannien kommen, dann haben wir ein ernsthaftes Problem.«

 

»Es ist immer möglich, Schimon Peres in die Arena zu schmeißen«

 

Israel dürfe sich nicht in eine »Die Welt ist gegen uns«-Haltung einigeln. Schließlich hätten seinerzeit auch die südafrikanischen Machthaber diese Rolle angenommen und gesagt: »Wir gaben den Schwarzen alles, die Möglichkeit zu arbeiten und vergleichsweise leben sie nun besser, als zuvor in ihren Wüsten; wir haben ihnen die Möglichkeiten gegeben und sie entwickeln sich.« Endgültig in Rage gerät Barak, als er sich zur Debatte äußert, ob Israel seitens der Palästinenser als »jüdischer Staat« anerkannt werden müsse, damit es überhaupt zu Friedensverhandlungen kommen kann, wie es die politische Rechte fordert.

 

»Der Zionismus«, so Barak, »wurde gegründet, damit wir entscheiden können. Haben wir nach Anerkennung durch die Ägypter, Jordanier oder Syrer gefragt?« Wesentlich entspannter ist er, als es um die Gerüchte geht, er sei an Alzheimer erkrankt. Wie bereits vor zwei Monaten, als er dies in einem Interview mit Aruz1 verneinte, so tut er es auch dieses Mal. Mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen verteilt er großzügig Lorbeeren an Jizchak Herzog, Vorsitzender der Arbeiterpartei, die Barak seinerzeit fluchtartig verlassen hatte, und plädiert für eine Links-Mitte-Regierung unter Beteiligung von Polit-Shootingstar Mosche Kachlon.

 

Diesen vergleichsweise jungen Politiker solle man nun eine Chance geben – und falls alle Stricke reißen sollten, habe die Avoda noch ein Ass im Ärmel: »Es ist immer möglich, Schimon Peres in die Arena zu schmeißen.« Zu einem etwaigen politischen Engagement in der Zukunft sagt Barak, es werde – leider Gottes – der Tag kommen, an dem sich die israelischen Entscheidungsträger an ihn wenden würden, ergo: Wenn die sicherheitspolitische Gefährdungslage nur einer lösen kann: »Mr. Security«. Bescheidenheit war noch nie seine Stärke. Humor schon.

Von: 
Dominik Peters

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